Um mit Tilly zu sprechen: „War das ein geiler Scheiß!“
Im Ernst, nach der letzten Episode, die schon von hoher Qualität war, schafft es Discovery erneut, sich zu steigern. Auch wenn ich mich immer noch nicht mit der neuen Optik der Klingonen anfreunden kann, ist „Choose you Pain“ rein objektiv eine runde Sache. Das titelgebende klingonische „Ritual“, wonach die Gefangenen gezwungen werden, zu wählen, ob sie selbst oder ihre Zellengenossen die Prügel der Wärter beziehen sollen, ist zwar sadistisch und fies – doch man braucht als Trekki schon eine recht selektive Wahrnehmung, um zu behaupten, dass es gar nicht zu den Klingonen passt. Den bösartigen, verschlagenen Exemplaren aus der TOS-Zeit, die üble Todeslager wie Rura Penthe erfunden haben, ist es auf jeden Fall zuzutrauen. Selbst einige der ehrenhafteren Exemplare aus TNG könnten auf solche Ideen kommen, um die Opferbereitschaft ihrer Gefangenen zu testen. Nur haben sie im 24. Jh. in der Regel keine Gefangenen gemacht.
Hier allerdings erführen sie keinen geringeren als Captain Lorca, der sich immer mehr als zwielichtige Gestalt entpuppt. Natürlich fragt sich jeder, ob es wirklich nötig war, die Crew seines letzten Schiffes zu töten, damit sie nicht den Klingonen in die Hände fällt: Gab es tatsächlich keine andere Lösung? Sagt Lorca vielleicht nicht die ganze Wahrheit? Wieso war er als Captain nicht auf seinem Schiff?
Dieses Rätsel wird uns wohl noch ein paar Folgen lang beschäftigen.
Wo wir gerade bei zwielichtigen Gestalten sind: Lorcas Zellengenossen sind ein altbekannter Gauner aus TOS und ein junger, attraktiver Sternenflotten-Lieutenant, der irgendwie zu edel und gut ist, um wahr zu sein (jedenfalls, wenn man Discovery-Maßstäbe anlegt – bei TNG wäre ich natürlich nicht auf so eine Idee gekommen ). Es kursieren ja im Fandom schon diverse Gerüchte, dass er ein klingonischer Spion oder sogar ein chirurgisch veränderter Klingone sein könnte. Letzteres halte ich allerdings für unwahrscheinlich, denn der Gute musste nach seiner Rettung sicherlich zum Checkup beim Doktor – und Pille hatte Arne Darwin immerhin in 10 Sekunden enttarnt . Aber ein Spion – vielleicht sogar ein unfreiwilliger, dem Dank Gehirnwäsche und Programmierung zum Schläfer gar nicht bewusst ist, was er tut – könnte er schon sein.
Ausgerechnet, als der Captain in der klingonischen Folterhölle fest sitzt, macht der Tardigrade als zentraler Bestandteil des Antriebssystems schlapp und die Crew steht nun vor einem moralischen Dilemma: Das volle Potenzial des Antriebs ausschöpfen und damit riskieren, dass das Wesen womöglich stirbt – oder den Captain noch eine Weile länger bei den Klingonen schmoren lassen?
Saru als amtierender Kommandant macht in der Situation alles andere als eine gute Figur. Das ist zwar angesichts seines Hintergrundes und seiner mangelnden Erfahrung sehr verständlich und er gesteht seine Fehler durchaus ein. Doch spätestens, als er für sein … ähm, nicht so glorreiches Captain-Intermezzo nicht sich selbst, sondern indirekt Michaels Meuterei verantwortlich macht, hat er seinen Status als sympathischste Figur der Serie endgültig vergeigt.
Das schaffen dafür die beiden Mädels, die mich am Anfang nur genervt haben: Burnham und Tilly.
Tilly hat fast nichts mehr gemeinsam mit dem Pubertier aus Episode 3, das (angeblich) so schräg drauf war, dass es keine Zimmergenossin mit ihr ausgehalten hat. Neben der Psycho-Macke von Lorca, der inneren Zerissenheit von Michael, den Allüren von Stamets und dem Bootcamp-Gehabe der letzten Sicherheitschefin erweist sie sich immer mehr als erfrischend normales Mädchen.
Michael gelingt der Spagat zwischen vulkanischer Logik und menschlichen Emotionen immer besser. Womöglich liegt es an der Darstellerin, die inzwischen mehr Übung gewonnen hat und nicht mehr ständig in der einen oder anderen Richtung übertreibt. Wie sie sich für den Tardigraden einsetzt oder Sarus angeknackstes Selbstverstrauen wieder aufbaut, ist schon toll.
Aber zu meiner Überraschung ist es am Ende Stamets, der die Folge rockt. Abgesehen davon, das er wirklich „geilen Scheiß“ durchzieht, um das Schiff zu retten, dürfen er und der Doktor das erste schwule Paar in ST sein, ohne dass ein Brimborium darum gemacht wird. Sie sind einfach zusammen und das ist gut so .
Nicht nur daran sieht man, dass Discovery wirklich mit der Zeit geht. Ja, die Handlung ist düsterer als bei TNG oder sogar DS9, die Charaktere sind keine Lichtgestalten, sondern haben jede Menge Probleme, seelische Abgründe oder eine dunkle Vergangenheit. Trotzdem schimmert auch immer wieder der Spirit von Star Trek durch, wie z.B. in der wunderschönen Szene mit der Befreiung des Tardigraden.
Fazit: Gut gemacht, weiter so .
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