Anneliese Wipperling: „Dichter, Dilettanten und Dämonen – Plaudereien über das Schreiben“

dichter_bodDieses Buch enthält 18 sehr persönliche Texte über die Freuden und Fallstricke der Schriftstellerei.

Die Autorin selbst schreibt seit fast 40 Jahren: zuerst Lyrik, später Romane und Kurzgeschichten. Äußerst freimütig plaudert sie über Schreibblockaden, Anfängerfehler, nächtliche Heimsuchungen, cholerische Schreibzirkelleiter, DDR-Kulturpolitik, außerirdische Helden und Ideen klauende Ex-Freunde.

Ihr kurzweiliger, selbstironischer, oft schonungsloser Umgang mit Erfolgen und Niederlagen, Verlagen und Literaturforen, kleinlichen Kritikern und eigenwilligen Romanfiguren macht diesen Band zu einem Leseerlebnis für Autoren und alle, die es werden wollen. “Dichter, Dilettanten und Dämonen” wird Anfängern weiterhelfen und “alte Hasen” zum Schmunzeln bringen.

Leseprobe aus „Die Krux mit den Mentoren“:

Verständlicherweise interessieren sich Verlage hauptsächlich dafür, wie gut sich ein Produkt verkaufen lässt. Wer nun glaubt, dass das freie Fahrt für standardisiertes Mittelmaß bedeutet, hat vermutlich nicht begriffen, wie Märkte funktionieren.
Ein so genannter Bestseller muss nämlich einerseits innovativ sein – sonst würde er sich nicht ausreichend vom Einheitsbrei abheben – andererseits darf er aber auch nicht zu kühn sein. Sonst könnte es nämlich passieren, das sich dafür nur eine kleine Gruppe Leser interessiert … und damit kann der Verlag nicht genug verdienen. Das Ganze hat viel Ähnlichkeit mit der berüchtigten Quadratur des Kreises: aufregend neuartig und dennoch konventionell, ehrlich aber trotzdem angepasst, kritisch jedoch nicht an den Grundfesten der Gesellschaft rüttelnd … irgendetwas bleibt immer auf der Strecke. Der Spagat zwischen Anspruch und Massenwirksamkeit ist einfach zu schmerzhaft.
Im Gegensatz zur Mathematik kann man freilich bei der Bewertung von Kunst – was ohnehin ein schwieriges Pflaster ist – ziemlich leicht schummeln. Mithilfe der Medien lässt sich ein eher mittelmäßiges Werk sehr leicht zum Geniestreich aufblasen. Wenn nur die Werbetrommel heftig genug gerührt wird und man sogar ein paar einflussreiche Kritiker oder Autoren zu begeisterten Meinungsäußerungen veranlassen kann, steht dem Siegeszug des neuen Bestsellers erst einmal nichts im Wege.
Sehr viele Menschen trauen sich nämlich nicht, zu sagen, dass der Kaiser eigentlich nackt ist. Wenn alle in den höchsten Tönen von einem Buch schwärmen, ist es äußerst heikel, gegen den Strom zu schwimmen. Das erfordert viel geistigen Mut und großes Selbstbewusstsein … ganz abgesehen davon, dass begeisterte Fans auf Kritik ziemlich rabiat reagieren können. Manche Bücher, Serien oder Filme sind eben Heiligtümer, an denen kein anständiger Mensch mit frecher Zunge herumkrittelt.

 

Leseprobe aus „Dichten wie Goethe & Co.?“:

Ich war noch Schülerin und unterhielt mich in der Brandenburger Theaterklause mit einem der Schauspieler. Er war der Schurke oder zwielichtige Kerl vom Dienst und wir fetzten uns zunächst ein wenig, weil ich mit einer Inszenierung von Lessings „Nathan der Weise“ nicht klargekommen war. Sie hatten das Stück kräftig modernisiert und streckenweise aus meiner Sicht ins Lächerliche gezogen.
„Warum habt ihr das nicht im Original gespielt?“ fragte ich anklagend.
„Glaubst du wirklich, dass man das heute noch wie zu Lessings Zeiten spielen kann?“ konterte der Schauspieler mit leisem Lächeln. „Diese Klassiker … so eine schwülstige Ausdrucksweise … das kann man vielleicht noch lesen, aber wenn das einer auf der Bühne laut ausspricht, wirkt es nur noch unfreiwillig komisch.“
Ich war entsetzt. Bisher hatte ich in der Schule brav an den Wurzeln unserer Kultur geknabbert. „Du meinst tatsächlich …“
„Versuch es vor dem Spiegel! Nimm die Regieanweisungen ernst und schau genau hin! Du wirst sehr schnell verstehen, was ich meine.“
„Du hältst unsere Klassiker für veraltet?“ Meine Lehrer hätten so etwas nicht einmal zu denken gewagt. „Aber um die Vergangenheit zu verstehen …“
„Das Theater ist kein Museum“, belehrte mich der Bösewicht vom Dienst sanft. „Unsere Aufgabe ist es, die Leute im Saal zu unterhalten. Wenn das funktionieren soll, muss man die
alten Geschichten in die Sprache von heute übersetzen und die Konflikte neu in der Gegenwart verankern. Wenn du so etwas für Blasphemie hältst, ist das dein Problem. Dann ist dir leider nicht zu helfen.“

 

Farbcover & Illustrationen: Adriana Wipperling
Seitenzahl: 192 Seiten DIN A5
Preis: 12,50 EURO
Bezug: Engelsdorfer VerlagB E S T E L L E N  
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