DAMALS (1988-2000): Die friedliche Revolution in der DDR

Ort: Brandenburg an der Havel Zeitzeuge: Anneliese Wipperling Wussten wir kurz vor der Wende was uns bevorstand? Nun, wer außerhalb der Blase Partei- und Staatsapparat arbeitete, konnte relativ leicht erkennen, dass vieles schon lange nicht mehr rund lief. Man schob das in Parteikreisen gern auf Sabotage durch den bösen Westen und den leider noch nicht voll entfalteten sozialistischen Menschen. Der Sozialismus war eine gute Sache, die irgendwann gelingen musste weil die genialen Klassiker des Marxismus -Leninismus sich gar nicht irren konnten. Die Tatsache, dass es 40 Jahre lang irgendwie funktioniert hatte, musste doch etwas bedeuten. Oder? Tatsächlich glaubten viele Genossen bis zum Schluss an ein gutes Ende, hielten die wirtschaftlichen Schwierigkeiten für eine Art Geburtswehen und reagierten fassungslos auf die friedliche Revolution der Völker gegen den sogenanntem real existierenden Sozialismus. In Polen fing es an. Da gaben die Genossen der katholischen Kirche und Papst Wojtyla die Schuld. Und natürlich der CIA und dem Westen im Allgemeinen. Den braven Parteisoldaten war überhaupt nicht klar, wie groß die unterdrückte Wut im Volk war. Wie sehr die Leute diese Maskerade eines Kollektivlebens satt hatten. Wie sehr sie es leid waren, entweder den Mund zu halten oder zu lügen. Ich war damals mit der Opposition liiert. Mein Ex Klaus W. (ein Berliner) war bei Bündnis 90 aktiv und ging regelmäßig zu den Treffen mit Pfarrer Eppelmann. Ich fand das zwar ganz spannend, hielt es aber für Spinnerei. Da Klaus auch sonst ein ziemlich schräger Typ mit merkwürdigen und weltfremden Ansichten war, konnte ich mir Continue Reading →


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DAMALS (und heute): „Unsere Demokratie“

Ort: Brandenburg an der Havel Zeugin: Anneliese Wipperling Wahlen in der DDR waren merkwürdige Folkloreveranstaltungen. Einerseits propagandistisch zu ungeheurer Wichtigkeit aufgeblasen … andererseits gab es überhaupt nichts zu entscheiden. Gewählt wurde nämlich eine Einheitsliste der Nationalen Front. Die Namen standen bereits vorher fest. Es ging nur noch um eine möglichst hohe Wahlbeteiligung. Zur Nationalen Front gehörten SED, NDPD, LDPD, CDU, Bauernpartei, FDGB, DFD und FDJ. Ich hoffe, ich habe niemanden vergessen. Die angeblich mit der SED befreundeten Parteien nannte man Blockparteien oder auch spöttisch „die Angeblockten“. Die sogenannten Massenorganisationen waren durchweg von der SED dominiert. Es war alles so geregelt, dass überhaupt nichts schiefgehen konnte. Eine Opposition, die stören konnte, gab es nicht. Trotzdem wurde ein Riesenaufwand getrieben. Überall hingen Fahnen und Plakate mit markigen Losungen. Das Wahllokal war festlich geschmückt. Junge Pioniere sangen revolutionäre Lieder. Es gab Solidaritätsbasare mit hübschen, mehr oder weniger nutzlosen Basteleien. Erfahrene Genossen und junge FDJ-ler klingelten bei säumigen Bürgern an der Wohnungstür und forderten sie auf, zur Wahl zu gehen. Manche machten sich dann leise murrend auf den Weg, andere verdünnisierten sich bis 18.00 Uhr oder stellten sich tot. Zu gehbehinderten oder kranken Mitbürgern wurde eine fliegende Wahlurne geschickt damit ihre wertvollen Stimmen ja nicht verlorengingen. Der brave DDR-Bürger betrat (oft in Begleitung seiner Kinder) feierlich das Wahllokal, zeigte seinen Personalausweis und die Wahlbenachrichtigung vor, empfing seinen Wahlzettel, faltete ihn in aller Öffentlichkeit feierlich zusammen und steckte ihn in die Wahlurne. Wer die einzige Wahlkabine benutzte, war verdächtig und wenn man auch noch das Continue Reading →


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DAMALS (und heute): „Vertraue der Wissenschaft!“

„Vertraue der Wissenschaft!“ Das ist eine beliebte Forderung mit der sich prächtig allzu freche und kritische Mäuler stopfen lassen: „Du bist ungebildet und dumm. Die Wissenschaft weiß es besser. Viel besser! Vertrau nicht deinen eigenen Augen und Ohren! Noch nicht einmal deiner Nase! Höre auf die unbestechliche, objektive und grandiose Wissenschaft! Dann kannst du gar nichts falsch machen.“ Tja, dazu müsste man erstmal definieren, was Wissenschaft überhaupt ist. Die Ansichten variierten über die Jahrhunderte und ihre Protagonisten waren jedes mal ganz sicher, dass es sich bei ihrer eigenen Arbeit um lupenreine Wissenschaft handeln würde. Als ich zu studieren anfing, war man (nach etlichen fürchterlichen Irrtümern des 20. Jahrhunderts) zum Glück zumindest in den Naturwissenschaften etwas vorsichtiger geworden. Ich habe bereits im 1. Semester gelernt, dass es keine absoluten Wahrheiten gibt. Nur mehr oder weniger wahrscheinliche Hypothesen. Und dass es zwei Wege zur Erkenntnis gibt: die reine Logik (den mathematischen Beweis) und das Experiment. Wir Chemiestudenten waren da sehr selbstbewusst: Was man mit analytischen Methoden nicht erfassen kann, ist nicht da. Basta! Und wir haben die Laberköppe von den „weichen“ Geisteswissenschaften (die HiWis) nicht ernst genommen. Was ist eine Bürgerbefragung oder das Luftschloss eines Philosophen gegen einen sauber ausgeführten analytischen Trennungsgang? Ganz recht: nix! Trotzdem bin ich, genau wie viele andere Naturwissenschaftler und Techniker auf dieses eigentlich von uns so heftig verachtete Gelaber hereingefallen. Das ist mir immer noch peinlich. Aber darüber irgendwann später mehr. Dass alle Wissenschaften anfällig für peinliche Irrtümer sind, möchte ich mit einer kleinen (unvollständigen) Aufzählung deutlich Continue Reading →


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DAMALS (1939-1945 und 1945-1953): Von Tätern, Mitläufern und Widerstandskämpfern

Wenn heute jemand sagt, dass nicht alle Nazis schlechte Menschen waren, wird er sofort in die rechtsextreme Ecke gestellt. Im schlimmsten Fall wird er medial hingerichtet. Ein guter Mensch kann doch unmöglich so einer fiesen Ideologie verfallen! Ein guter Mensch fällt nicht auf dumpfe Propaganda herein! Ein guter Mensch leistet tapfer Widerstand und opfert sich ohne zu zögern für das Gute! Wenn es denn so einfach wäre! Nach der großen Wirtschaftskrise mit Massenarbeitslosigkeit und galoppierender Inflation wirkte Hitler auf viele verzweifelte Deutsche zunächst wie eine Lichtgestalt, wie ein Macher, der das Elend beendete und Arbeit und Wohlstand zurückbrachte. Wir können uns heute gar nicht mehr vorstellen, wie groß damals die Not war. Viele Menschen verloren alles, was sie sich aufgebaut hatten: ihre Ersparnisse, ihre Wertgegenstände, ihre Häuser, ihre Karriere … ihre Hoffnung. Das Geld war nichts mehr wert. Bei uns zu Hause lag lange ein einseitig bedruckter Geldschein aus jener Zeit herum. Da stand etwas von 1 Milliarde Mark drauf und Mama sagte, dass man dafür gerade mal ein Brot kaufen konnte. Wenn es Lohn gab, musste er so schnell wie möglich ausgegeben werden denn am nächsten Tag war er womöglich nur noch die Hälfte wert. Die Kriminalität war hoch. Auch eigentlich bürgerliche, gut sozialisierte Leute drehten krumme Sachen um zu überleben. Mein Vater z.B. besorgte sich illegal ein Gewehr und wilderte in den Brandenburger Wäldern. Da das Geld nichts mehr wert war, blühte der Tauschhandel. Ich mag gar nicht darüber nachdenken, was außer Rehbraten gegen Butter oder Brot noch Continue Reading →


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DAMALS (1939-1945): Was es bedeutet, mit Lebensmittelmarken einzukaufen

Wahrscheinlich kann sich heute niemand mehr vorstellen, was es bedeutet, mit Lebensmittelmarken einzukaufen. Es heißt, dass du nicht einfach auswählen kannst, was du haben möchtest, sondern dein Essen und andere wichtige Gebrauchsgüter zugeteilt bekommst. Du gehst mit deinem Einkaufszettel in den Laden und gibst ihn zusammen mit einer Karte der Verkäuferin. Auf der Karte sind viele kleine Rechtecke aufgedruckt. Sie sind mit Warennamen wie Butter, Fleisch, Kartoffeln, Mehl oder Seife beschriftet. Jedes Kästchen steht für eine Standardmenge. Die Verkäuferin nimmt eine Schere und schneidet aus deiner Karte, was du bestellt hast und wirft die Schnipsel weg. Dann packt sie deinen Einkauf ein und du darfst bezahlen und ihn nach Hause tragen. Wenn du nicht gut wirtschaftest, kannst du am Ende des Monats nichts mehr kaufen. Es ist dein Problem, wie du dann die Familie satt kriegst. Da gibt es dann verschiedene Optionen: Betteln, Klauen, Angeln, Wildern, Pilze suchen … Über mehr mag ich nicht nachdenken. Ob es im ersten Weltkrieg Lebensmittelmarken gab, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass Essen sehr knapp war und meine Großeltern deshalb zu Freizeitlandwirten mutiert sind. Mein Großvater war Lokführer und die Bahn erlaubte ihren Mitarbeitern, das Gelände neben den Gleisen zu beackern. So hatten sie Korn, Gemüse, Schweine und Ziegen. Die Kinder waren satt und die Verwandtschaft kam regelmäßig um sich durchzufuttern. Meine Oma meinte Jahre später, das wäre so eine entsetzliche Plackerei gewesen, dass sie, wenn sie nochmal die Wahl gehabt hätte, sich auch lieber irgendwo durchgeschnorrt hätte. All diese entfernten Cousinen, Patentanten Continue Reading →


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DAMALS (1939-1945): Der ganz normale Bombenalarm

Ich glaube, jeder kann sich unter dem Begriff Blockwart etwas vorstellen. Das war ein systemtreuer Nachbar (oft ein Mitglied der NSDAP), der mit Begeisterung seine Augen und Ohren dem Regime lieh. Ein Provokateur, ein falscher Fuffziger … eine Petze vom Dienst. Ich bin mir nicht sicher, aber ich denke die meisten kannten ihren und nahmen sich entsprechend in acht. Neben den Blockwarten gab es ganz offiziell auch noch Luftschutzwarte. Die kümmerten sich darum, dass die Luftschutzkeller in ordentlichem Zustand waren, dass Feuerlöscher, Wasser und Schaufeln zum frei graben nach der Zerstörung des Hauses vorhanden und in gutem Zustand waren. Jedes Haus (bzw. bei Mehrfamilienhäusern jeder Eingang) musste einen geeigneten Kellerraum für den Luftschutz freimachen. Auch öffentliche Einrichtungen, Kinos und Theater hatten so etwas. Weit sicherer als die Keller waren Luftschutzbunker aus Beton. Unweit unseres Wohnblocks stand auch einer und ich habe als Kind vom Fenster aus zugesehen, wie er gesprengt wurde. Mit Beginn der Bombenangriffe durch die Alliierten wurde die Verdunkelungspflicht eingeführt. Undurchsichtige Rollos oder schwere Gardinen sollten nach Einbruch der Nacht dafür sorgen, dass kein Lichtstrahl nach außen drang. Man hoffte, dass die feindlichen Bomber so unsere Stadt nicht finden wurden. Jeden Abend ging der Luftschutzwart durch die dunklen Straßen und spähte nach den kleinsten Lichtstrahlen. Wenn er etwas sah, schrie er laut: „Licht aus!“ Wenn der nachlässige Bewohner nicht schnell genug reagierte, klingelte der Luftschutzwart und forderte persönlich die Einhaltung der Vorschriften. Genutzt hat das wenig. Wenn der Bombenalarm heulte wurde es ernst. Natürlich fanden die Bombergeschwader die Continue Reading →


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