Farben der Gewalt

Eine junge bajoranische Widerstandkämperin versucht das Leben eines kranken Freundes zu retten. Dabei tritt sie eine Lawine los, die mehr als einen Unschuldigen ins Verderben reißt …

Star Trek Story von Adriana Wipperling

Der Tag begann wie jeder andere beim bajoranischen Widerstand: mit Hitze, Hektik, schlechtem Essen, dreckigem Wasser und Gesprächen über den nächsten Kampfeinsatz. Wir lebten im Augenblick, ohne einen Gedanken an die Vergangenheit oder Zukunft zu verschwenden. Und in diesem Augenblick gehörte unsere gesamte Aufmerksamkeit den Waffen, die wir reinigen und durchchecken mussten. Unsere Erinnerungen und Träume waren nichts weiter als ein Hintergrundrauschen, so etwas wie das Summen des allgegenwärtigen Ungeziefers …
„Wenn wir das nächste Cardi-Schiff ausweiden, nehmen wir aber gleich ein paar Dosen Insektenspray mit!“ knurrte meine Freundin Yarath. Mit verbissener Miene schlug sie eine Stechfliege breit, die sich schon so voll gesogen hatte, dass das Blut in alle Richtungen spritzte.
„Insektenspray? Blödsinn!“ konterte Branqo, ein großer, breiter Kerl, der auf seine derbe Weise recht charmant sein konnte. „Hier gibt’s nur eine Sorte Blutsauger, nämlich die mit den Schuppen! Gegen die braucht man ein Spray – nicht gegen so harmlose kleine Fliegen!“
„Dich lassen sie ja auch in Ruhe“, stellte ich klar.
„Na, ist doch wahr!“ schimpfte Branqo unbeirrt weiter. „Mistviecher sind das, Ungeziefer … fressen uns alles weg, so wie die Heuschrecken von Kressari … Unsere Frauen sind schon ganz abgemagert, das ist wirklich nicht mehr schön …“
„Hört, hört, da haben wir die grausamste Folge des cardassianischen Terrors: Die Frauen sind zu mager!“ spottete Yarath.
„Ich hab eben gern die Arme voll“, verteidigte sich Branqo.
„Na, dafür lohnt es sich doch zu kämpfen!“ Gabor, der Anführer unserer Widerstandszelle, lächelte verschmitzt.

Ich drehte mich zu Yaraths Freund Talis um, denn er war schon den ganzen Tag ungewöhnlich still. Seine blauen Augen wirkten glasig, sein schulterlanges schwarzes Haar zottelig und verschwitzt. Er war ohnehin schon ziemlich dürr, aber nun gleich er einem Skelett, das mit mechanischen Bewegungen sein Phasergewehr schrubbte. Unter der Sonnenbräune war sein Gesicht fahl, sein Teint glich bebackenem Käse.
„Talis?“
Keine Reaktion.
Ich stieß ihn sanft an. „Alles in Ordnung?“
„Ja, klar“, antwortete er abwesend.
„So siehst du aber nicht aus!“ gab ich zurück und wühlte in meiner Ausrüstung nach dem medizinischen Scanner.
„Lass mal, das wird schon wieder …“ wehrte er ab und versuchte zu lächeln.
Ich ignorierte sein Protestgegrummel und aktivierte den Scanner.
Als ich einen Blick auf die Anzeige warf, rutschte mir kurz das Herz in den Magen. „Achtunddreißig Komma fünf“, las ich mit spröder Stimme vor.
Yarath sog die Luft scharf ein, Gabor presste die Zähne zusammen, Branqo fluchte leise.
Arem, der jüngste in unserer Truppe, runzelte die Stirn. Er war erst sechzehn, zwei Jahre jünger als ich, aber auf mich wirkte er viel erwachsener.
„Himmel, nun regt euch mal nicht künstlich auf“, murmelte Talis. „Ich hatte schon höheres Fieber und hab sogar noch gekämpft, als …“
„Als das letzte Mal jemand Fieber hatte, gab es zwei Tage später eine Beerdigung!“ unterbrach ich ihn hart.
Die Erinnerung an Larina tat noch immer weh. Sie war eine so enge Freundin gewesen, eine Frau, die sich mit Leib und Seele der Freiheit Bajors verschrieben hatte … Und dann war sie noch nicht einmal im Kampf gefallen, sondern auf elende Weise an Nierenversagen krepiert.
„Ilana hat recht“, pflichtete Gabor mir bei.
Yarath packte den widerstrebenden Talis beim Arm und schleppte ihn entschlossen ab.
„Richtig, du Superheld! Du kriegst jetzt schöne kühle Wadenwickel und Jooma-Tee und bleibst so lange im Bett, bis du dich wieder wie ein Mann anfühlst, und nicht wie ein Backofen!“
„Yarath, du brauchst mich nicht zu stützen. Ich kann laufen! Ich mache mir meine Wadenwickel selbst! Und diesen scheußliche Tee …“
„Wirst du brav drinken – selbst wenn ich dich mit geladenem Phaser dazu zwingen muss!“
„Du genießt das richtig, nicht wahr? Aber vergiss nicht, dass du es mit einem waschechten Sohn der Antagiras zu tun hast!“ Er versuchte, all seine Männlichkeit und Adelswürde in diese zwei schlichten Sätze zu legen, aber seine Stimme klang wie eine schlecht geölte Motorsäge.
Meine Finger wurden ganz klamm. Plötzlich konnte ich an nichts anderes mehr denken als Larinas starren, leblosen Körper … wie ich eines Tages neben ihr aufgewacht war und nicht begreifen wollte, dass sie nicht mehr atmen, nie wieder mit mir sprechen würde … „Nicht schon wieder!“ betete ich. „Bitte nicht schon wieder!“

Gabor umarmte mich behutsam und da wurde mir klar, dass ich laut gesprochen hatte. „Es kommt sicher alles in Ordnung“, erklärte er zuversichtlich und drückte mir einen Kuss auf die Stirn. „Die Propheten lieben Talis – dass kannst du glauben! Er ist sogar schon aus dem Maul einer hungrigen Riesen-Rastipure entwischt und hat dabei nur einen kleinen Zeh verloren.“
„Wenn er da mal nicht heftig übertrieben hat“, murmelte ich.
Talis war dafür berüchtigt, seine Abenteuer gern mit etwas Dichtung auszuschmücken. Wer ihn gut kannte, wusste allerdings ganz genau, wann er seiner Fantasie freien Lauf ließ, denn dann pflegte er, ironisch zu blinzeln. Wahrscheinlich liebte er es einfach, die Leute zu schockieren. Wenigstens ab und zu … Es war wohl nicht leicht, eine Freundin zu haben, die so abgebrüht war, wie Yarath.
Dessen ungeachtet, fügte ich lauter und nachdrücklicher hinzu: „Vielleicht hat er diesmal nicht soviel Glück … Was willst du also tun? Seine Pflege den Propheten überlassen?“
Gabor löste sich von mir und zog die Stirn in Falten. Hatte er etwa Angst, die Propheten würden wegen meines spöttischen Tonfalls beleidigt sein? Aber dann begriff ich, dass seine wahre Sorge Talis galt. Unsere medizinischen Vorräte waren schon seit Tagen aufgebraucht. Wir hatten bisher ein Riesenglück gehabt, dass niemand krank geworden war.
Ich durchschaute Gabor. Sein Optimismus war oft nur gespielt. Gut gespielt, aber nichtsdestotrotz vorgetäuscht. „Wir müssen irgendwas tun, verdammt …“
„Hast du einen Vorschlag, Ilana? Raus damit!“ Die Worte kamen schroff und abgehackt über seine Lippen.
Ich musste ihn enttäuschen. Ich hatte keinen Vorschlag.
„Dann sollten wir Talis? Pflege wohl besser den Propheten überlassen“, knurrte Gabor.
„Nein, warte …“ Urplötzlich kam mir eine Idee. „Ich kenne jemanden, der uns helfen könnte. Er versteht einiges von Medizin, hat eine ganze Hausapotheke in seinem Schrank und …“
Gabors Augen verengten sich. „Ein Außenstehender?“
„Ich bin mir sicher, dass wir ihm trauen können“, fuhr ich im Brustton der Überzeugung fort. „Er hat ein Farmhaus, etwa zehn Kilometer von hier entfernt …“
„Und weshalb traust du ihm?“
Ich seufzte ungeduldig. „Jaslan ist ein guter Freund meiner Mutter. Er hat mal zwei Jugendlichen geholfen, die aus einem Flüchtlingslager abgehauen waren …“ Der fünfzehnjährige Junge und seine dreizehnjährige Schwester waren nur noch Haut und Knochen gewesen. Ohne Jaslans Nahrungsmittel und seine Kräuterheilkunst wären die beiden vielleicht nicht mehr am Leben. Inzwischen waren sie längst beim Widerstand.
Gabor atmete heftig ein und aus. „Er ist nicht zufällig Arzt?“
„Nein, Künstler.“
Gabors Mundwinkel zuckten abfällig. „Künstler? Auch gut. Wenn seine Hausapotheke nichts bringt, kriegt Talis wenigstens ein hübsches Grabmal.“
„Das finde ich nicht witzig!“
Er berührte meine Schultern mit einer sanften Geste, die ein Kribbeln durch meinen ganzen Körper jagte. „Talis wird nicht sterben!“
„Dann bringen wir ihn zu Jaslan! Oder hast du eine bessere Idee“
„Momentan nicht“, lenkte er ein.
„Schon gut, Liebster.“ Ich gab ihm einen zarten Kuss auf die Nasenspitze. „Jetzt müssen wir die Gruppe zusammentrommeln und ganz schnell entscheiden, was zu tun ist! Sonst könnte es für Talis zu spät sein!“
„Der Ernst der Lage ist mir durchaus bewusst, Ilana!“
„Daran zweifle ich doch gar nicht!“
Er lächelte knapp. „Dann bin ich zufrieden.“

Branqo und Arem waren nach kurzem Zögern einverstanden mit meinem Vorschlag. Talis war der Patient, folglich hatte er nichts zu melden … Blieb noch Yarath. Ich beschloss, sie vor vollendete Tatsachen zu stellen, und schlüpfte unaufgefordert ins Zelt der Beiden. Dass ich sie bei irgendetwas störte, war angesichts von Talis? schlechter Verfassung nicht anzunehmen.
Yarath runzelte die Stirn. Talis, der von Kopf bis Fuß in kühle, feuchte Tücher gewickelt war, hob träge den Kopf. Seine Augen sahen schon ganz verquollen aus.
„Ilana?“ fragte er irritiert. „Was … ?“
Ich atmete tief durch und erklärte schnell, was Gabor und ich uns überlegt hatten.
„Das ist doch wohl nicht dein Ernst“, protestierte Yarath. „Das Risiko ist viel zu groß, wenn wir einen Außenstehenden, der nicht vom Oberkommando überprüft wurde …“
„Er ist in Ordnung, Yarath!“
„Weiß er, dass wir zum Untergrund gehören?“
„Woher denn?“
Yarath seufzte hörbar. „Wie weit ist dieses Farmhaus weg?“
„Zehn Kilometer.“ Ich lächelte trocken. „Plus/minus zwei.“
„Ach, und wie sollen wir dort hinkommen? Zu Fuß etwa? Das dauert viel zu lange! Außerdem, so einen Gewaltmarsch wird Talis nicht durchstehen.“
Dieser Einwand gab mir zu denken. „Wir müssen ja Talis nicht hinschleppen. Ich kann auch allein bei Jaslan vorgegehen und die Medizin holen … Ich brauche ihm ja nicht in die Ohren zu singen, dass wir vom Untergrund sind … ich sage einfach …“
„Er wird sicher fragen, weshalb du nicht zu einem richtigen Arzt gehst.“ Yarath fixierte mich mit einem stechenden Blick. „Solange nicht sicher ist, dass wir diesem Künstler-Freak trauen können, akzeptiere ich nur unter Protest …“
„Yarath … lass gut sein …“ krächzte Talis.
Da hörst du es – Talis hat trotz Fieber mehr Verstand als du! dachte ich gehässig. Ich war kurz davor, Yarath diese unangenehme Wahrheit an den Kopf zu schleudern, als Gabor die Zeltplane beiseite schob. „Seit ihr soweit?“ fragte er nur.
„Ach, es ist also schon beschlossene Sache?“ Yarath beäugte mich scheel.
„Außer dir haben alle dafür gestimmt“, entgegnete Gabor sachlich.
„Ja, ja, es lebe die Demokratie“, grummelte Yarath.
Wir einigten uns spontan, dass es vernüntiger wäre, Talis mitzunehmen. Jaslan, so dachten wir, würde Talis besser helfen können, wenn er einen Blick auf ihn werfen, mit ihm sprechen, ihn berühren und scannen konnte.
Yarath beugte sich der Mehrheit und half Talis beim Anziehen. Später wünschte ich, ich hätte ihre Bedenken ernst genommen. Yarath mochte ab und zu verbohrt sein, doch ihre Instinkte waren in Ordnung. Jedenfalls besser als meine, wie es schien …

* * *

Der Weg war in Wahrheit viel länger als zehn Kilometer. Um Cardi-Patrouillen und neugierigen Passanten aus dem Weg zu gehen, schlugen wir uns querfeldein durchs Grasland, Gabor und ich nahmen Talis in die Mitte, als wir zu erschöpft waren, lösten uns Yarath und Arem ab. Branqo hielt die Stellung im Lager. Als wir Jaslans Gartentor erreichten, ging die Sonne bereits unter.
Die verrottete Holzpforte aufzustoßen, war ein Leichtes – doch wir hätten eine Machete gebrauchen können, um uns durch das mannshohe Unkraut zu kämpfen. Ein klingonisches Bat’leth wäre noch besser gewesen.
Yaraths Augen waren wie schwarze Grillkohlen, als sie meinen Blick erwiderte. „Ich bezweifle immer noch, dass es eine gute Idee war, hier her zu kommen.“
„Richtig, lass uns abhauen, Gabor“ maulte Arem. „Das ist doch bestimmt …“
„Vergiss es!“ schnitt ihm Gabor das Wort ab. „Ich habe Blasen an den Füßen, die bestimmt so fett sind, wie Springbälle. Das sollte nicht umsonst gewesen sein, nur weil du die Hosen voll hast!“
Talis atmete rasselnd und Yarath strich ihm zärtlich übers Haar.
„Ich hab nicht die Hosen voll“, konterte Arem beleidigt. „Aber hier stimmt was nicht – das merkt doch ein Blinder mit Holzbein.“
Alle sahen mich herausfordernd an – bis auf Talis, der kurz vorm Einschlafen war.
„Jaslan ist zu Hause, da bin ich mir ziemlich sicher“, erklärte ich. „Er geht nicht gern aus dem Haus, nur wenn es sich nicht vermeiden lässt ….“ Nun konnte ich mir ein süffisantes Lächeln nicht verkneifen. „Er ist eben der typische, exzentrische Künstler, lebt in seiner Traumwelt … Zu meiner Mutter sagte er mal, sein Universum würde eine Riss bekommen, wenn er sich dem ganzen Elend da draußen zu oft aussetzt.“
Gabor verdrehte die Augen.“ Klingt ja nach einem richtigen Lebenskünstler.“
„Ich gebe ja zu, dass er ziemlich schräge Ansichten hat – aber wenn er Talis helfen kann, soll uns das doch egal sein, oder?“
„Hast recht“, stimmte mir Gabor zu. „Hauptsache, er verquatscht sich nicht irgendwo.“
„Wie denn, wenn er wie eine malkorianische Einsiedlerschnecke lebt“, spottete Arem.
„Er hat tatsächlich zwei Flüchtlingskindern geholfen, ohne dass sein Universum einen Riss bekommen hat?“ fragte Yarath in provozierendem Ton.
„Nun, wenn Realitätsflucht ein Studienfach wäre, hätte Jaslan einen Doktortitel – aber er lässt niemandem im Stich, der ihn um Hilfe bittet“, verteidigte ich ihn.
„Ein Künstler sollte sich nicht in seinem Haus verkriechen“, meinte Yarath verächtlich. „Wenn dein Freund ein großes Werk schaffen will … etwas, dass mehr ist, als nette Unterhaltung oder Nippes im Küchenschrank, muss sein Pagh in jeder wachen Minute offen sein. Und zwar nicht nur für hübsche bunte Blumen, sondern auch für die Probleme seines Volkes. Er muss den Unterdrückten und Verzweifelten neue Hoffnung schenken, bis den Unterdrückern die Kacke im Hintern dampft!“
Yarath hatte vollkommen Recht, deshalb nickte ich nur. Allerdings hoffte ich, sie würde sich mit ihren Ansichten über Kunst so lange zurückhalten, bis Talis versorgt war.

Mit Gabor im Schlepptau folgte ich einem kaum erkennbaren Weg zu Jaslans Haustür, holte tief Luft und schlug der Türklopfer drei mal gegen das verwitterte Holz.
Jaslan öffnete nicht sofort. Ich spürte förmlich, wie mich ein scharfes Auge durch den Türspion beobachtete. Dann wurde die Tür aufgerissen und Jaslan strahlte mich an. Er sah fast genauso aus, wie ich ihn in Erinnerung hatte: ein Mann in den besten Jahren, groß und ein bisschen schlaksig, mit blaugrauen Augen und einem scharfgeschnittenen Gesicht. Sein dunkles Haar war noch länger geworden, reichte ihm fast bis zur Taille und war von grauen Fäden durchsetzt.
„Ilana!“ Er umarmte mich. „Es ist schön, dass du hier bist! Möchtest du einen Tee oder willst du dich gleich ausziehen und auf die Rattancouch legen? Das Licht ist gerade mal perfekt.“
„Wie bitte?“ entfuhr es Gabor.
Jaslans Blick fiel zum ersten Mal auf meinen Begleiter, der besitzergreifend seinen Arm um mich legte und offensichtlich bemüht war, größer zu wirken.
„Das ist übrigens mein Freund Gabor“, stellte ich ihn vor und schmunzelte.
Jaslan lächelte zurück. „Das wurde aber auch Zeit! So ein hübsches Mädchen wie du …“
Gabor räusperte sich laut.
„Keine Angst, ich habe nicht vor, deine Freundin zu verführen. Ich möchte sie nur malen.“
„Das geht nicht“, erwiderte ich schnell – und auf Jaslans enttäuschten Blick fuhr ich fort: „Ich weiß, was wir für diesen Sommer ausgemacht haben, aber ich habe keine Zeit dafür.“
„Ich auch nicht“, beeilte sich Gabor, zu sagen.
Jaslan musterte erst meinen Freund, dann mich. „Schade“, meinte er. „Es gibt kaum ein besseres Modell als dich, Ilana. Und der junge Mann wäre in rosa Ölfarbe sicher auch ein faszinierender Anblick!“
Gabor verdrehte die Augen, was soviel heißen sollte, wie: „Muss es ausgerechnet rosa sein?“
„Obwohl ihr beide meinem Kollegen Spiro viel zu schön wärt“, sinnierte Jaslan ungerührt weiter. „Der malt nur Krüppel und Brandopfer und Debile mit raushängender Zunge – schauderhaft! Er hat Ilanas Mutter ein paarmal portraitiert – und das einzige Bild, auf dem sie sich halbwegs wiedererkannt hat, fand er kitschig. Typisch für den alten Miesmacher! Sie hat es ihm abgekauft, bevor er es vermurksen konnte. Kluges Mädchen! Auf all seinen anderen Portraits sah sie nämlich aus wie ein siebzigjähriger Hafenarbeiter – zudem noch einer, der einen besonders schweren Drogenentzug hinter sich hat.“
Als Jaslan meine Mutter erwähnte, stieg plötzlich eine heiße, irrationale Wut in mir auf. Nicht nur auf die Cardassianer, sondern auch auf dekadente Schwachköpfe wie Jaslan.
„Willst du denn gar nicht wissen, wie es ihr geht?“ fragte ich eisig.
Er sah mich verwirrt an. „Natürlich … Wie geht es ihr?“
„Ich weiß es nicht“, antwortete ich mit unbewegter Miene. „Ich weiß es deshalb nicht, weil sie von Cardassianern verschleppt wurde. Und zwar schon vor Monaten.“
Jaslans Augen drückten blankes Entsetzen aus. „Wieso … wann …“
Wenn du dich noch für irgendwas anderes interessieren würdest, als dein Ego und deine Kitschpostkartenbilder, hättest du es längst erfahren! ging es mir durch den Kopf. Ich verachtete mich selbst, weil ich den Mund hielt, aber ich wollte nicht riskieren, dass Jaslan uns rauswarf, bevor wir ihn um Hilfe bitten konnten.
„Sie wollen wissen, wieso?“ mischte sich Yarath ein. „Ganz einfach: Sie war jung, sie war schön, und irgendsoein geiler, alter Löffelkopf wusste nicht, wohin mit seiner Blutwurst.“
Ihre Worte bereiteten mir Bauchschmerzen, besonders, da Yarath von meiner Mutter in der Vergangenheit sprach. Ich klammerte mich so sehr an die Hoffnung, Mom eines Tages wiederzusehen – aber für Yarath machte es keinen Unterschied, ob sie lebte oder tot war. Sie war eine Sexsklavin der Cardassianer, lebendig begraben.

Jaslan fuhr erschrocken herum. Yarath, die sich mit Talis und Arem im Türrahmen drängte, reckte trotzig das Kinn vor. Als Jaslan bemerkte, wie bleich und schweißgebadet Talis aussah, schluckte er heftig und bat meine Freunde ohne Umschweife herein. Er versorgte unseren kranken Kameraden mit der Routine eines Feldsanitäters, wobei Yarath ihn keine Sekunde aus den Augen ließ und Arem sich den Bauch mit Keksen vollschlug.
„Es … es tut mir schrecklich Leid“, murmelte er verstört, während er die Medizin für Talis mixte. „Die Sache mit Kiral, Ilanas Mutter, meine ich. Es ist so …“
„Ich denke, das Wort, dass Sie suchen, ist sinnlos“, unterbrach ihn Yarath scharf. „Vielleicht auch grausam oder abscheulich. Aber so sind die Cardis nun mal.“
„Dass Sie die Cardassianer hassen, verstehe ich gut. Was sie auf unserer Welt anrichten, ist wirklich abscheulich.“ Jaslan hob den Kopf. „Aber meine Freundin Jenaria sagte einmal, von keinem Volk würde die Exportausgabe etwas taugen.“
„Exportausgabe!“ Yarath lachte bitter auf. „Täglich verhungern bajoranische Kinder, werden Frauen von Cardassianern vergewaltigt – ganz zu schweigen von den Arbeitslagern, den Folterungen und den Hinrichtungskommandos! Wie würden Sie das wohl nennen? Einfuhrzoll?“
Jaslans Reaktion war erstaunlich gelassen. „Wie ich schon sagte: Ich verstehe Sie sehr gut. Aber nicht alle Cardis sind Monster. Auch wenn es Ihnen schwerfällt, das zu glauben.“
„Das fällt mir in der Tat schwer“, konterte Yarath hitzig. „Zeigen Sie mir einen einzigen unschuldigen Cardi – und ich fresse Ihren Glasperlenvorhang!“
„Das lässt sich arrangieren“, entgegente Jaslan kühl. „Am besten, Sie holen gleich Messer und Gabel. Selbstverständlich können Sie auch die Finger nehmen, falls Ihnen die Benutzung von Besteck mittlerweile zu dekadent vorkommt.“
„Was lässt sich arragieren?“ fragte sie lauernd und verschränkte die Arme vor der Brust. „Sagen Sie bloß, Sie kennen irgendeinen Cardassianer, der keine Verbrechen an unserem Volk begangen hat? Falls dieses erlesene Exemplar hier auf Bajor rumkriecht, gehört es doch ebenfalls zur Exportausgabe – oder etwa nicht?“ Yarath lächelte voller Begeisterung über ihre eigene Schlagfertigkeit. „Selbst wenn es noch niemanden umgebracht hat, frisst es uns wertvolle Nahrungmittel weg. Ganz zu schweigen von dem vielen Müll, den es auf unserem armen, gebeutelten Planeten hinterlässt.“
Ich staunte nicht schlecht, dass Yarath offenbar unter die Ökologen gegangen war. Ein bisschen peinlich war mir ihr Verhalten schon – schließlich bemühte sich der Mann sehr gewissenhaft um Talis. Aber im Stillen gab ich ihr recht. Der liebe Jaslan konnte nur dann auf den Boden der Realität zurückkehren, wenn ihn jemand ab und zu ein paar unangenehme Wahrheiten servierte. Ich selbst hatte dafür zu viele Skrupel – jedenfalls in dieser Situation.

Yarath sagte nur noch einen Satz … einen einzigen Satz, der mich zusammenzucken ließ, als hätte mir jemand ein scharfes Messer in die Eingeweide gejagt: „Denken Sie an Ilanas Mutter.“
Dann küsste sie Talis auf die Stirn und verließ den Raum, ohne den Maler eines Blickes zu würdigen. Sie glitt nahezu lautlos durch den dichten Perlenvorhang – und ich fragte mich einen Moment voller Bewunderung, wie sie das wohl anstellte.
Aber dann wurde ich von Gabor abgelenkt. „Ilana hat geschworen, Kiral zu finden und zu befreien.“ Er lächelte mir zu.
„Wie denn?“ fragte Jaslan skeptisch. Dann begriff er: „Ihr seid vom Untergrund, nicht wahr?“
„Sie verraten uns doch nicht, oder?“ fragte Talis alarmiert. Er richtete sich auf und wirkte schon wieder erstaunlich vital.
„Hey, es geht dir besser!“ rief ich erfreut.
Talis lächelte. „Was immer Sie mir da eingeflößt haben, Jaslan – es war offenbar genau das Richtige! Diese ekelhaften Halsschmerzen sind fast weg.“ Seine Stimme klang immer noch ziemlich kratzig – aber wesentlich besser als vor einer Stunde.
„Sieht mir verdächtig nach der orellianischen Grippe aus …“
„Die kann man doch heilen, oder?“ fragte ich beklommen.
„Aber natürlich“, versicherte mir Jaslan leutselig. „Ich selbst hatte sie schon vier oder fünf Mal und lebe immer noch.“
„Woher wissen Sie eigentlich so viel über Medizin?“ fragte Gabor neugierig.
„Mein Vater war Heilpraktiker“, erklärte Jaslan.
„Und er wollte natürlich, dass Sie in seine Fußstapfen treten und sein Dejara fortführen“, vermutete Gabor. In traditionellen bajoranischen Familien war es nämlich üblich, dass die Söhne den Namen und die Kastenzugehörigkeit – das Dejara – des Vaters erbten, während Mädchen automatisch zur Kaste der Mutter gehörten.
„Er hat mir vieles beigebracht“, erwiderte Jaslan. „Natürlich war er nicht sehr glücklich, als ich einen anderen Weg wählte – aber zu diesem Zeitpunkt waren die Cardis schon hier, hatten das Kastensytem abgeschafft … also konnte ich tun, wozu ich Lust hatte.“
Irgendwas störte mich an diesem Satz. Gabor offenbar auch, denn er fragte mit finsterer Miene: „Das klingt ja fast so, als wären Sie froh, dass die Cardis hier sind …“
„Natürlich nicht! Aber …“ Nun musterte er Gabor von Kopf bis Fuß. „Was ist Ihr Dejara, mein Junge?“
„Meine Großeltern waren Viehzüchter. Sie hatten eine Yaktanbüffel-Farm.“
„Und? Sie würden doch nicht Ihr ganzes Leben lang Yaktan-Büffel hüten wollen, oder?“
Gabor zog eine Grimasse. „Eher nicht. Wenn ich mir vorstelle, dass so ein armes Tier vertrauensvoll aus meiner Hand frisst, um dann zum Dankbarkeitsfestival im Kochtopf zu landen … Das ist abartig! Ich würde es nicht mal schlachten können, das wäre Verrat.“
Jaslan runzelte die Stirn. „Wie viele Cardassianer haben Sie eigentlich ins Jenseits befördert, Sie Sensibelchen?“
„Achtunddreißig.“
„Sie haben Sie gezählt?“
„Klar!“ Gabor hob den rechten Mundwinkel. „Ich kann mir schon denken, was jetzt kommt …“
„Wie ein Vegetarier sehen Sie mir auch nicht aus …“
„Ich jage – das ist etwas anderes!“
„Und wenn es irgendwann mal genug zu essen geben sollte, kaufen Sie wahrscheinlich beim Fleischer.“ Jaslan lächelte voller Ironie. „Wie praktisch!“
„Hey, bitte keine Tierschutzdebatte vorm Abendbrot!“ fuhr ich entnervt dazwischen.
„Abendbrot – das ist ein gutes Stichwort. Ich mach uns was zu essen.“
„Brillante Idee“, meinte Gabor.
Jaslans Blick wurde härter. „Aber dann erwarte ich, dass ihr auf Nimmerwiedersehen verschwindet! Ihr bringt mich ganz schön in die Bredouille!“
„Wie Sie wollen“, erwiderte Gabor und folgte Herrn des Hauses durch den Glasperlenvorhang.

„Was ist mit dir?“ fragte ich Talis. „Hast du keinen Hunger oder geht es dir noch zu schlecht?“
„Doch, ich habe Hunger.“ Er lächelte hintergründig. „Aber ich lasse mich lieber bedienen.“
„Adelige!“ flachste ich.
„Ich bin krank – vergiss das nicht!“
„Du siehst aber schon wieder ganz gut aus.“
„Ja, dein Freund hat sich alle Mühe gegeben, mich wieder aufzupäppeln. Und als Dank bekommt er Totschlag-Argumente á la Yarath um die Ohren gehauen.“
„Naja, ihre Totschlag-Argumente entbehren nicht einer gewissen Logik …“
Talis seufzte. „Mag sein. Aber ich fürchte, Yarath ohne Feindbild ist wie Winter ohne Kälte. Kein Wunder bei ihrer Kindheit … Vollwaise, fing mit elf an, zu töten …“
„Das klingt fast so, als würde sie dir Leid tun“, staunte ich. „Deine Kindheit war doch sicher auch kein Zuckerschlecken …“ Ich sah ihn forschend an. Dabei fiel mir ein, dass ich so gut wie nichts über seine Familie oder seine Vergangenheit wusste.
„Meine Kindheit war ganz okay“, antwortete er. „Bis mein Vater beschuldigt wurde, Spengstoff an Terroristen geliefert zu haben. Oder waren es Waffen? Ich weiß es nicht mehr so genau …“ Er atmete heftig und ballte die Hände zu Fäusten. „Natürlich war er unschuldig – aber das hat die Cardis nicht interessiert.“
„Das tut mit Leid“, versicherte ich ihm ehrlich und berührte seine Schulter.
„Ich nehme alles zurück – Yarath hat recht“, stieß er hervor.
„Trotzdem hätte sie Jaslan gegenüber etwas … nun ja … höflicher sein können.“
Talis lachte rauh. „Yarath und höflich? Da kennst du sie aber schlecht!“
„Du siehst sie ziemlich kritisch, nicht wahr?“
„Ich liebe sie“, erklärte er fest.
„Dann kann sie sich ja revanchieren und dir dein Essen ans Bett bringen“, scherzte ich.
Er lächelte. „Sag ihr das!“

Jaslan kochte ziemlich gut – aber die Gespräche bei Tisch waren so krampfig, die Pausen des Schweigens so lang, dass ich es bald nicht mehr aushielt und mir wünschte, Yarath würde eine ihrer Propagandareden halten. Statt dessen warfen sie und Arem mir immer wieder abschätzende Blicke zu. Als würden sie mich dafür verantwortlich machen, dass mein Bekannter so ein weltfremder Spinner war …
Unter dem Vorwand, ich müsste aufs Klo, verzog ich mich bald. Ich beschloss, mich in Jaslans Atelier umzusehen, denn an seine Arbeiten hatte ich nur vage Erinnerungen.
Es roch penetrant nach Ölfarbe, als ich den weiten, schmucklosen Raum unterm Dach betrat. Ich betrachtete ein paar Gemälde, die in den fröhlichen Farben des Sommers leuchteten. Wunderschöne Bilder – doch sie konnten leicht den Eindruck erwecken, unsere Welt wäre ein blühender Vergnügungspark für nackte, gutaussehende Bajoraner.
Nein … nicht nur Bajoraner … Mein Blick blieb an einem Frauenakt in Sepia hängen und ich stolperte ein paar Schritte rückwärts. Augenwülste, Nackenkämme, Schuppen … Schuppen an Stellen, wo ich eigentlich Haare vermutet hätte … Es gab noch mehr Aktbilder von cardassianischen Frauen – und sie alle strahlten eine Sinnlichkeit aus, die mich zutiefst irritierte.
Da legte jemand seine Arme um meine Taille und küsste meinen Nacken.
„Gabor!“ rief ich verblüfft. „Ich hab gar nicht gehört, wie du …“
„Na sieh mal einer an, wo die überall schuppig sind …“ murmelte er. „Yarath sollte das besser nicht sehen – sonst setzt sie uns den Phaser auf die Brust. Und deinem Freund Jaslan sowieso.“ Dann kniff er die Augen zusammen und betrachtete die Gemälde genauer.
„Was mich ganz besonders wundert … Warum immer die selbe Frau?“
Ich blickte ihn skeptisch an. „Woher willst du wissen, dass es immer die selbe ist?“ Die Gesichtszüge waren zum Teil stark abstrahiert.
Gabor grinste flüchtig. „Du willst mir doch nicht weismachen, alle cardassianischen Frauen hätten die gleiche Körbchengröße.“
Ich verdrehte die Augen. Typisch Mann! „Wir sollten wieder runtergehen“, schlug ich vor. „Ich will nicht, dass uns die anderen suchen – und Jaslan wäre es vielleicht auch nicht recht, dass wir in seinem Atelier rumschüffeln.“
Gabor nickte. Hand in Hand verließen wir die Dachkammer, aus den Augenwinkeln bemerkte ich etwas Seltsames, etwas, das nicht hier her gehörte … ein Artefakt … nein, vielmehr eine Skulptur … Sie war eindeutig nicht bajoranisch. Der Schriftzug am Sockel war halb verborgen hinter einer Leinwand, aber ich erkannte verschnörkelte, cardassianische Buchstaben. Ihre Bedeutung versickerte irgendwo in meinem Unterbewusstsein. Es ging mich nichts an.

Ich eilte die halsbrecherische Wendeltreppe hinunter, getrieben von einem diffusen Fluchtimpuls. Gabor hatte Mühe, mir zu folgen. Ich achtete nur auf meine Füße und die steilen Stufen … da prallte ich gegen etwas … gegen jemanden … Ich hob den Kopf und mir blieb für einen Moment die Luft weg. Vor mir stand eine leibhaftige Cardassianerin.
Ich sah mich hektisch nach einem Fluchtweg um und dachte an die Waffe in meinem Stiefelschaft. Die schuppige Nemesis versperrte den engen Gang, wir saßen in der Falle … Dabei war sie nur eine unbewaffnete Frau – Gabor und ich hätten ohne weiteres mit ihr fertig werden können. Aber ich blieb wie angewurzelt stehen, Gabor tastete nach seinem Phaser.
Da tat die Cardassianerin etwa völlig Unerwartetes: Sie lächelte mich an.
Für uns waren alle Cardassianer hässlich und grausam – sonst hätte ich die Schönheit ihrer ebenmäßigen Gesichtszüge bewundert … erkannt, dass sich darunter nichts Böses oder Hinterhältiges verbarg, und ihre feminine Selbstsicherheit hätte mir gefallen.
Aber aus meiner Sicht war ihr Lächeln ein hämisches Grinsen, ihr Selbstbewusstsein Arroganz und das erwartungsvolle Leuchten in ihren Augen … es jagte mir Schauer über den Rücken. Sie war die Frau auf den Bildern – das kapierte ich mit einem Schlag. Und sie war garantiert nicht allein gekommen … Das war eine Falle!
Arem hatte Recht, Yarath hatte Recht … verdammte Scheiße!
Ein Fauchen zerschnitt die staubige Luft, ein grelles Licht blendete mich für Sekunden.
Plötzlich verzerrte sich das Gesicht der Cardassianerin in Agonie. Sie starrte mich fassungslos an, während sie wie in Zeitlupe zusammenbrach. Aus ihren Mundwinkeln sickerte dunkelrotes Blut. Sie wimmerte leise, klammerte sich verzweifelt an mir fest, zerquetschte mir beinahe die Handgelenke im Todeskampf … Meine Kehle war wie zugeschnürt.
Da kam Jaslan um die Ecke und seine Augen weiteten sich vor Entsetzen. „Jenaria!“ hauchte er und beugte sich über die sterbende Cardassianerin. Er streichelte ihr Gesicht, sprach mit ihr, aber seine Worte gingen immer wieder in einem herzzerreißenden Schluchzen unter.

Gabor und ich sahen ungläubig zu. Jaslan konnte doch nicht mit einer von denen … das war nicht normal! Ich war peinlich berührt … vielleicht, weil mir selbst zum Heulen zumute war und ich nicht verstehen konnte, wieso.
„Warum?“ schrie mir Jaslan ins Gesicht. „Sie hat euch nichts getan, verdammt …“
„Ich … ich schwöre, ich … wir haben nicht …“ stammelte ich.
Dann fiel mein Blick auf Arem. Sein Gesicht war wie schockgefroren und er hielt immer noch den Phaser in der Hand. Jenaria röchelte qualvoll und ich wünschte, Jaslan hätte den Mut, sie endlich von ihrem Elend zu erlösen.
„Idioten!“ brüllte er und eine einzelne Träne lief über seine Wange. „Feiglinge! Mörder!“
„Es tut mir schrecklich leid …“ begann ich unsicher und meine Worte waren mir selber fremd. „Arem konnte nicht wissen … Er ist ein Neuling, wahrscheinlich hat er Panik gekriegt …“
„Sei doch endlich still, du dummes Ding!“
„Warum hast du deine Freundin nicht gewarnt, dass du das Haus voller Rebellen hast?“ konterte ich hitzig. „Also geht ihr Tod genauso auf dein Konto, wie auf unseres!“
Er sah mich an, als wollte er mir am liebsten das Genick brechen. Aber in diesem Augenblick verstummte das Röcheln der Cardassianerin. Jaslan vergrub sein Gesicht in ihrem Dekolleté und heulte wie ein kleines Kind. Auf einmal dämmerte mir, was auf dem Sockel der fremdartigen Skulptur gestanden hatte: „In Liebe, Jenaria“ .
„Sie war doch nicht etwa deine Geliebte?“ fragte Yarath angewidert.
Er dauerte lange, bis Jaslan den Kopf hob, aber sein wilder Blick brannte sich tief in mein Gedächtnis. „Sie war viel mehr als das … sie war meine Seelengefährtin. Sie war brillant. Ihre Skulpturen waren das Schönste, was ich je gesehen habe – abgesehen von ihr.“ Seine Stimme zitterte, aber er fuhr tapfer fort: „Sie hat sich nie um Politik gekümmert … oder Cardassias Glorie … der ganze Schwachsinn, der ihrem Mann so wichtig war … Gul Mestral, der große Kriegsheld, der Schrecken von Kendra, heldenhafter Bezwinger von zweihundert streikenden bajoranischen Minenarbeitern … lebendig begraben hat er sie! Jenaria hat ihn verlassen, weil sie sich vor seiner sogenannten Arbeit ekelte!“
„Wie mutig!“ entgegnete Yarath spitz. „Warum hat sie den Kerl überhaupt geheiratet?“
„Lass mich doch in Ruhe mit dem altklugen Scheiß“, fuhr er sie an. „Hast du schon mal darüber nachgedacht, was es heißt, auf Cardassia zu leben? Wie schwer es dort für ein Kind ist, gegen die Entscheidungen der Familienoberhäupter aufzubegehren? Wegen welcher Lappalien manche dort schon verhaftet und gefoltert worden sind? Nein, wieso auch – denn es interessiert dich nicht. Es passt nicht in deinen schwarz-weiß karierten Betonschädel. Ich sag dir was: Jenaria hat nicht weniger riskiert, als du! Ihr sogenannter Gatte hätte ohne Skrupel den Obsidianischen Orden auf sie gehetzt, wenn er erfahren hätte …“
„Sie hatte auf Bajor nichts zu suchen“, fiel Yarath ihm ins Wort.
Ihr Hätschelkind Arem hatte eine unschuldige Zivilistin getötet. Sie war in der Defensive – und das konnte sie nicht ertragen. Ihr war nicht klar, zu welch unaussprechlichen Dummheiten sie diesen gebrochenen Mann provozierte …

„Dafür müsst ihr büßen“, murmelte er. Und dann noch etwas, das so klang, wie: „Egal, was mit mir passiert …“ Bevor ihn jemand zurückhalten konnte, griff er nach dem Kommunikator, den Jenaria ums Handgelenk trug, drückte irgendeinen Knopf … seine ganze Haltung drückte eine kalte Entschlossenheit aus, die viel unheimlicher wirkte als jeder Amoklauf. Danach verfiel er in eine Art katatonische Starre.
Gabor streichelte unauffällig meine Hand.
Arem umklammerte immer noch seinen Phaser.
Yarath legte beide Hände auf seine Schultern und flüsterte ihm irgendwas zu.
Die Chance, abzuhauen, verpassten wir.
Acht flirrende Säulen erschienen plötzlich im Wohnzimmer. Innerhalb einer Sekunde verdichteten sie sich zu cardassianischen Soldaten.
Gabors Reflexe funktionierten ausgezeichnet – meine seltsamer Weise auch. Wir zogen gleichzeitig unsere Phaser.
„Neununddreißig“, zählte er verbissen.
Der Cardassianer, den ich erschoss, zuckte nur kurz, bevor er starb … aber irgendjemand schrie.
Da erkannte ich, dass die Schreie aus dem Nebenzimmer kamen. Zwei cardassianische Soldaten traten durch den Vorhang und zerrten Talis mit sich.
Meine Kehle war auf einmal ganz trocken.
„Lasst mich los, ihr Drecksäcke, lässt mich sofort los!“ schimpfte er immer wieder.
Die Cardis taten ihm diesen Gefallen natürlich nicht. Sie verdrehten ihm mit roher Gewalt den Arm auf dem Rücken, ein Dritter schlug mit dem Gewehrkolben gegen seine Schienbeine und Talis brüllte wie ein verwundetes Tier. Seine Stimme klang wieder so rauh und heiser wie im Augenblick seines Grippeanfalls. Er versuchte sich verzweifelt zu wehren aber – geschwächt durch seine Krankheit – hatte er keine Chance.
Arem schoss daneben, weil seine Hand so stark zitterte. Ich verstand, er hatte Angst, Talis zu erschießen … aber ich bin sicher, Talis hatte sich später gewünscht, es wäre so gekommen.
Gabor und ich hatten unsere liebe Not, dem Waffenfeuer dreier besonders schießwütiger Cardis auszuweichen. Ihre Phaserblitze spengten immer wieder Löcher in die Wand, Kalk spritzte uns in die Augen.
Arem keuchte vor Entsetzen laut auf – und als ich endlich wieder klar sehen konnte, erkannte ich den Grund: Zwei Cardassianer verschwanden in einem Flirren – und Talis mit ihnen. Arems Phaserstrahl durchbohrte wirkungslos die halb transparente Gestalt eines Soldaten.
Jaslan, der bis eben weinend neben Jenarias Leichnam gekauert hatte, schreckte hoch.
Ich werde den Ausdruck seiner Augen nie vergessen: dieses ungläubige Entsetzen, als die Cardis unseren wehrlosen Freund abschleppten … wie ihm endlich ins Gehirn sickerte, was er getan hatte: etwas unvorstellbar Bescheuertes, Verwerfliches … Selbstmörderisches.
Ein Phaserblitz, der für Gabor oder mich bestimmt war, traf auf seinen Nacken und kam zu seiner Kehle wieder raus. Er starb auf der Stelle.
Und Yarath? Ich hatte sie noch nie so erlebt: Sie kniete auf dem Boden und starrte mit leerem Blick auf den Fleck, wo ihr Freund eben noch gestanden hatte. Sie war genauso gelähmt, wie Jaslan: Ihre eigene Qual schnitt sie von der Außenwelt ab.
Einer der Cardassianer packte sie bei den Haaren und zerrte sie grinsend auf die Füße.
Bei den Propheten – sie wehrte sich nicht einmal! Es schien sie nicht länger zu kümmern, was mit ihr passierte. „Arem, lauf!“ befahl sie matt.
Arem hörte nicht auf sie und versuchte, den Cardssianer von ihr wegzureißen. Doch der hünenhafte Kerl schüttelte den schmächtigen Jungen wie eine lästige Fliege ab.
Ich versuchte, zu feuern, aber es kam nur ein klägliches Zischen aus meiner Waffe. Mist, nun war auch noch meine Energiezelle leer! Ich hörte Stoff zerreißen, sah, wie das Schwein seinen gesammelten Speichel ins Gesicht meiner Freundin fallen ließ, schnappte mir eine staubige Keremikskulptur und zertrümmerte seinen Schädel. Alle Viere von sich gestreckt, brach der Cardassianer über Yarath zusammen. Arem rollte den bewusslosen Mann beiseite und gab ihm einen hasserfüllten Tritt.
„Alles in Ordnung, Yarath?“ fragte Gabor besorgt.
Ein unverständliches Murmeln war die Antwort. Yarath erhob sich mit steifen Gliedern und wischte sich angeekelt mit dem Handrücken über die Wange.
In diesem Augenblick stürmten drei weitere Cardassianer das Haus. Arem nahm Yarath endlich beim Wort und sprang mit einem Satz durch das geschlossene Panoramafenster des Wohnzimmers. Glasscherben klirrten und Phaser fauchten. Yarath, mit zerzausten Haaren, zerfetzter Bluse und wildem Blick, setzte ihm nach. Das zertrümmerte Fenster, wie ein Maul mit schiefen, spitzen Zähnen, spuckte sie in die Dunkelheit aus.

* * *

Durch unverschämtes Glück entkamen wir den Cardassianern.
Aber ich fühlte mich alles andere als lebendig und frei. Die Propheten hatten es gut mit mir gemeint und das konnte ich nicht verstehen. Ich verdiente ihre Großzügigkeit nicht.
Das Schicksal von Talis lag wie ein dunkler Schatten auf der ganzen Gruppe. Gabor und Branqo versicherte mir zwar immer wieder, dass es nicht meine Schuld war … Aber Yarath warf mir nur einen geringschätzigen Blick zu.
„Ich würde jetzt nicht in deiner Haut stecken wollen, Ilana,“ sagte sie.
Das wollte ich auch nicht. Die Cardassianer folterten unseren Freund, Jaslan wäre ohne meine fixe Idee noch am Leben. Und Jenaria … sie war eine unschuldige Frau gewesen. Mehr noch: Eine mögliche Verbündete.
Da wurde mir klar, dass ich mich lieber mies fühlen wollte, als so zu werden, wie Yarath: selbstgerecht, verbohrt, vom Hass zerfressen.
Ich konnte Jaslans Verrat lange nicht verzeihen. Aber am Tag der Toten zündete ich nicht nur ein Licht für Talis an, sondern auch für Jenaria. Möge ihre Seele eine neue Heimat finden – möglichst weit weg von Cardassia.

© 2004 by Adriana Wipperling

 

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