Verbundene Seelen

Ein uraltes Turuska-Ritual verlangt von Yanar, die Nacht mit Ikat zu verbringen. Doch er ist ein alter Freund, er ist schwul und sein Auftauchen ruft schlimme Erinnerungen in ihr wach …

Star Trek Story von Adriana Wipperling

„Verrückt!” war Glin Ikat Valnas erster Gedanke. „Vollkommen irrsinnig!”
Kampfflieger Nummer A-37455 war urplötzlich aus der Formation ausgeschert und raste nun mit voller Impulsgeschwindigkeit auf einen riesigen Asteroiden zu. War der Antrieb defekt? War der Pilot betrunken?
Ikat überlegte nicht lange. Er leitete maximale Energie auf den Traktorstrahl und fing das kleine Schiff mitten im Flug. Ein Ruck schleuderte ihn gegen das Kontrollpult, die Anzeigen flackerten bedrohlich, das Warnlämpchen blinkte. Offenbar verlor der Kampfflieger permanent Energie. In weniger als fünf Minuten würde die Lebenserhaltung versagen, wenn …
Ruhig bleiben! befahl der junge Pilot sich selbst. Er hatte erst vor kurzer Zeit die Akademie verlassen – und nun sah er zum ersten Mal dem Tod ins Auge. Sein Herz raste, seine Hände wurden feucht, doch er hatte sich gut genug im Griff, um gleichzeitig den Traktorstrahl zu kontrollieren und ein Signal an das Mutterschiff, die Kal Ranor, zu funken.
Der Asteroid nahm inzwischen den ganzen Sichtschirm ein, seine Oberfläche war zerklüftet, voller Krater. Krater, die immer größer wurden … rauhes, scharfkantiges Gestein … spitze Felsnadeln, bedrohlich wie die Speere feindlicher Krieger …
Ikat Valna schluckte hart. Wie mochte es sich anfühlen, wenn sein Schiff auf diesem Felsen zerschellte … hartes Duranium seinen Körper zerquetschte … das Triebwerk explodierte und die Flammen ihn bei lebendigem Leib verbrannten …
Er zwang sich, nicht länger darüber nachzudenken. Sein Geist war leer, sein Körper wächsern und steif, sein Leben lag nun in den Händen anderer.
Kampfflieger Nummer A-37455 hatte seinen Antrieb abgeschaltet, aber es war zu spät. Die Gravitationskräfte des Asteroiden waren zu stark, die Trägheitsdämpfer zu schwach. Das kleine Schiff stürzte geradewegs in einen tiefen, gähnenden Krater und drohte, Ikat mit ins Verderben zu reißen. Warum musste dieser Idiot auch …
Ikat sah einen Feuerball aufsteigen … und gleichzeitig spürte er, wie seine Seele den Körper verließ … wie seine Moleküle sich zerstreuten … Das ist das Ende, dachte er nüchtern … aber es war nur der Transporterstrahl, der ihn auf die Kal Ranor transferierte.

In nächsten Augenblick stand er mit zitternden Knien vor Glin Jilano Madred, die ihn kühl und abschätzend musterte.
„Was haben Sie sich nur dabei gedacht, verdammt noch mal?” brach es aus ihr heraus. Ihre Stimme klang hart und spröde wie splitterndes Glas.
„Ma’am, ich habe nur versucht …” Ikat verstummte, als er erkannte, dass Glin Madred gar nicht ihn angeschnauzt hatte.
Neben ihm stand eine junge Frau, nur wenige Jahre älter als er selbst. Offenbar die Pilotin des anderen Jagdfliegers … Dass sie überlebt hatte, erfüllte Ikat mit Erleichterung. Sie war groß und schlank, hatte zarte, ebenmäßige Gesichtszüge, sah würdevoll und elegant aus in ihrer Uniform … doch ihre blauen Augen wirkten stumpf und teilnahmslos, schienen durch Glin Madred hindurchzusehen, so als wäre die stellvertretende Kommandantin der Kal Ranor gar nicht existent. Ihre Knie zitterten kein bisschen. Die Tatsache, dass sie in letzter Sekunde dem Tod entkommen war, schien sie ebensowenig zu berühren, wie Madreds Standpauke.
„Sie sind mitten in einem Flugmanöver aus der Formation ausgebrochen, Glin Antorra!” fuhr Glin Madred eisig fort. „Sie haben Befehle missachtet, Sie haben Ihr Leben und das Ihres Kameraden gefährdet … Haben Sie irgendwas dazu zu sagen?”
Glin Antorra schwieg.
„Erzählen Sie mir nicht, dass es ein Pilotenfehler war”, bemerkte Jilano ironisch. „Sie sind zwar ein wertloses Stück Abfall aus Seltak Drei und Ihre Gesinnung ist mehr als zweifelhaft – aber eines sind Sie gewiss nicht: eine Stümperin … Also, Glin Antorra: Ich höre!”
Die junge Pilotin ließ sich nicht zu einer Antwort herab.
Jilanos Gesicht wurde ganz dunkel vor Zorn über soviel Missachtung Ihrer Autorität. „Dann stehen Sie ab sofort unter Arrest.”
Auch das schien Glin Antorra nicht zu beeindrucken.
Ikat räusperte sich. „Es war nicht ihre Schuld Ma’am.”
Glin Madred blickte ihn scharf und aufmerksam an. „Erklären Sie mir das, Glin Valna!”
Glin Antorra zeigt endlich eine emotionale Reaktion. Sie schielte zu Ikat herüber, verblüfft und ziemlich skeptisch.
„Ich hatte ihre Lebenszeichen gescannt, weil ich ahnte, dass irgendwas mit ihr nicht stimmt”, erwiderte Ikat auf Jilanos Drängen. „Und ich hatte recht: Sie litt unter einem akuten Schwindelanfall und hat wohl die Kontrolle über die Steuerung verloren.”
„Ist das wahr, Glin Antorra?”
Die junge Pilotin zögerte. Dann nickte sie schwach.
„Und wieso konnten Sie mir das nicht selbst sagen, Antorra?”
„Sie steht noch unter Schock”, antwortete Ikat an ihrer Stelle.
Glin Madred schien nicht so recht überzeugt.
„Gestatten Sie mir, Glin Antorra auf die Krankenstation zu begleiten?”
„Meinetwegen”, knurrte Jilano. „Wegtreten.”

Die stellvertretende Kommandantin verschwand im Turbolift und Ikat näherte sich der jungen Frau mit grimmiger Miene. „Womit Sie Madred abspeisen, geht mir ja zielgerade am Hintern vorbei – aber mir schulden Sie eine Erklärung!”
Glin Antorra wich seinem Blick aus. „Es tut mir wirklich Leid …”
„Fein! Es tut Ihnen also Leid, das ich beinahe an diesem hässlichen Stück Fels kleben geblieben wäre, nur weil Sie zu dämlich zum Fliegen sind …”
„Warum haben Sie nicht einfach Ihren Traktorstrahl abgeschaltet, wenn Sie so sehr am Leben hängen?” konterte sie steif.
„Entschuldige, aber ich bin nicht unbedingt so erzogen, dass ich meine Kameradin auf den nächsten Felsen knallen lasse, ohne irgendwas zu unternehmen!”
„Sie sind nicht so erzogen?” Glin Antorras Lippen kräuselten sich spöttisch. „Die Familie Valna ist ja auch im ganzen Quadranten für ihre Sorge um andere Lebewesen bekannt …”
„Ach und was ist mit der Familie Antorra? Wenn Sie von den Antorras in der Varagasi-Provinz abstammen, weiß ich, welche schmutzigen Geschäfte mein Vater früher mit Ihrem Onkel abgewickelt hat!”
„Ja, ich stamme von den Antorras in der Varagasi-Provinz ab. Aber ich gehöre schon lange nicht mehr zu dieser Familie.”
„Sie haben sich von ihnen losgesagt?” Ikats Stimme klang jetzt weicher und ein Hauch von Bewunderung schwang mit.
„Das hätte ich wohl früher oder später getan, aber sie sind mir zuvor gekommen.”
Er betrachtete sie mit verstohlenem Mitgefühl. „Ihre Familie hat Sie verstoßen?”
Seltak Drei … Jilano hatte Seltak Drei erwähnt, in ihrer gewohnt beiläufigen Art. Ikat lief es eiskalt den Rücken herunter, denn das Militärgefängnis auf Seltak Drei galt selbst unter Cardassianern als berüchtigt. Glin Antorra war also ein ehemaliger Häftling … das passte hervorragend ins Bild. Ihre Befehlsverweigerung, ihre aufsässige Art, der bleierne Fatalismus, den sie ausstrahlte … Wahrscheinlich nahm sie starke Medikamente, um ihre Erinnerungen und Alpträume ertragen zu können.
Auch Ikat quälte sich mit Erinnerungen und Alpträumen. Es ging nicht darum, was sie ihm selbst angetan hatten, sondern … Er mochte nicht daran denken – es war einfach zu furchtbar.
Die Kal Ranor war ein Schiff, auf dem der fünfte Orden des cardassianischen Militärs seine weniger patriotischen Elemente wegsperrte, in der Hoffnung, sie mittels Drill und Gehirnwäsche erfolgreich in die Herde zurückzuführen. Glin Antorra wirkte allerdings nicht wie eine Person, bei der diese Form der Dressur funktionierte …
Sie war also auf Seltak Drei gewesen, und Ikat konnte sich leider sehr gut vorstellen, was sie in dieser Zeit durchgemacht hatte: die Verhaftung, die Folter durch den Obsidianischen Orden, die öffentliche Gerichtsverhandlung, das gnadenlose Regime im Gefängnis … Ihm selbst war dieser Horror bisher erspart geblieben, aber ein Mann, den er sehr liebte … Außerdem war das Verfahren genau festgelegt, ja beinahe ritualisiert.
Es lebe Cardassia! dachte er voller Sarkasmus.
Und die Antorras hatten ihre Tochter verstoßen, als das Mädchen den Beistand ihrer Familie am nötigsten gebraucht hätte. Feige Arschlöcher! Genau wie Ikats Familie …
Er hasste seine großspurige Verwandtschaft, seine autoritären Eltern … vor allem hasste er seinen Vater. Er hasste die abfällige Art, wie er seine Mundwinkel nach unten verzog, er hasste seine blecherne Stimme, seine Werte, sein Weltbild, das ganze System, dem er diente … Und sein Vater hasste ihn, weil er schwul war. Aus diesem Grund hatte er seinen Sohn zum Militärdienst gezwungen, aus diesem Grund war der junge Glin Valna auf der Kal Ranor gelandet …
„Madred hatte recht: Es war kein Pilotenfehler …” Er musterte Glin Antorra mit einem intensiven Blick seiner großen, schwarzen Augen. „Sie sind absichtlich auf Tuchfühlung mit diesem Asteroiden gegangen … Sie wollten sterben, nicht wahr?”
Yanars harter Panzer begann, zu bröckeln. Ihre Augen glitzerten verdächtig und sie wandte sich ab. „Sie hätten nicht versuchen sollen, mich zu retten …”
Er legte beide Hände auf ihre Schultern und drehte sie sanft zu sich herum. „Ich bereue es nicht!”
„Aber ich bereue, dass Sie meinetwegen beinahe draufgegangen wären!” entgegnete sie heftig. „Sie scheinen ein netter Kerl zu sein – also verspreche ich Ihnen: Wenn ich mal wieder das Bedürfnis verspüren sollte, meinem Ableben ein wenig nachzuhelfen, werde ich es nicht in Ihrer Nähe tun.”
„Sie sollten Ihrem Ableben überhaupt nicht nachhelfen – es wäre schade um Sie!” gab er leidenschaftlich zurück. „Ich habe das Leben auf der Kal Ranor auch manchmal gründlich satt, aber …”
„Sie könnten doch jederzeit den Dienst quittieren”, erwiderte sie stumpf. „Mir bleibt diese nette Möglichkeit leider verwehrt, weil ich vorbestraft bin.”
Ikat senkte den Blick. „Ja, ich könnte den Dienst quittieren – aber was soll dann aus mir werden, verdammt …”
„Ihre hochwohlgeborene Familie würde wahrscheinlich einen Kammerjäger auf Sie hetzten – und dann bestünde die Gefahr, dass sie so enden, wie ich: depressiv, tablettensüchtig, selbstmordgefährdet … ziemlich abschreckend, oder?”
Ikat konnte nicht leugnen, dass die Frau ins Schwarze getroffen hatte. „Raikana war alles, was ich hatte … der einzige Lichtblick meines beschissenen Lebens …” murmelte sie. „Und nun ist sie tot, von einer Splitterkanone zerfetzt …”
Er schluckte. „Sie meinen Glin Raikana Delor? Die Computerspezialistin, die letzte Woche wegen Sabotage hingerichtet worden ist?”
„Sie war unschuldig!” stieß Glin Antorra hervor. „Unschuldig! Ihr einziges Verbrechen war, unsere kommandierende Blutwurst, Gul Lemak, nicht freiwillig ranzulassen!”
Tränen liefen über ihre Wangen. Ikat nahm sie kommentarlos in den Arm, hielt sie fest, bis das Zittern nachließ. „Sie sollten wissen, dass Sie nicht allein sind”, erklärte er sanft. „Mir ist klar, dass ich Raikana nicht ersetzen kann …”
„Nein, das können Sie leider nicht. Sie sind ein Mann”, erwiderte sie leise – und bestätigte damit seine heimlichen Vermutungen. Dann blickte sie ihn offen an. Ihre Augen waren immer noch verquollen und feucht. „Aber danke, dass Sie meinen Hintern gerettet haben!”
Er lächelte schwach. „Ich dachte, Sie wollten nicht gerettet werden?”
„Ich spreche von Glin Madred.”
„Sie haben mehr Angst vor dem Arrest, als vor dem Tod?”
„Sie sind noch nicht lange genug hier, um das zu verstehen”, entgegnete sie gepresst.

* * *

Ikat wälzte sich ruhelos in Tapas Gästebett hin und her. Seine erste Begegnung mit Yanar Antorra lag inzwischen dreieinhalb Jahre zurück, doch in letzter Zeit verfolgte sie ihn ständig in seinen Träumen. Schuld daran war Tapa … die Ah’Maral … dieser Planet … die bevorstehende Aufnahmezeremonie.
In den letzten Monaten hatte es das Schicksal ausgesprochen gut mit ihm gemeint. Zwar hatte er nie genug zu essen gehabt, war beinahe von der Mäusestaupe dahingerafft worden und musste den Tod mehrerer Freunde verkraften, aber dennoch … Die Crew der Kal Ranor hatte endlich ihren Kommandostab zur Hölle geschickt, war in die Badlands geflüchtet, mehrmals mit Klingonen aneinander geraten, in den Raum der Föderation abgedriftet und schließlich von einem vulkanischen Forschungsteam gerettet worden.
Forschungsteam … Ikat grinste. Von wegen! In der südlichen Wüste Vulkans lebte der Stamm der Turuska, ein eigenwilliges Nomadenvolk, das sich den Gesetzen der absoluten Logik und Emotionslosigkeit nicht unterwarf. Tapa gehörte zu diesem Volk, und seine Truppe war in Wirklichkeit ein archaischer Kriegerbund, der einer uralten Tradition aus der Zeit vor Surak folgte. Die Ah’Maral … schon der Name gefiel ihm! Die Krieger einer Bruderschaft waren allesamt mental verbunden, was im Kampf sicher große Vorteile brachte. Jedoch gab es nur einen Weg, solche Bindungen herzustellen: durch sexuellen Kontakt.
Tapa hatte es ihm erklärt. Tapa hatte gespürt, dass Ikat sich nichts sehnlicher wünschte, als frei zu sein … Cardassia zu verlassen … irgendwo zu leben, wo er offen zu seiner Homosexualität stehen konnte … endlich wieder jemanden zu lieben.
Ikat liebte Tapa. Er hatte sich vom ersten Augenblick an zu dem zierlichen Vulkanier hingezogen gefühlt, ihn leidenschaftlich begeht … und ihm letztendlich seine schlimmsten Erinnerungen anvertraut: Wie sein Liebster öffentlich kastriert wurde … auf besonders schmerzhafte Art … und sein Vater ihn zwang, dabei zuzusehen.
„Ikat, ich respektiere dich sehr”, hatte Tapa gesagt. „… und ich möchte, dass es dir gut geht. Eventuell ist mein Volk imstande, deinem Speer und deinem Katra eine würdige Heimstatt zu schenken … allerdings musst du eine Prüfung bestehen, bevor ich dir mehr sagen darf.”
Und diese Prüfung bestand darin, sich jede Nacht mit einem anderen Krieger zu verbinden … mit insgesamt dreiundzwanzig Personen, Männern und Frauen.
War er als Cardassianer überhaupt dazu imstande?
„Du brauchst dir keine Sorgen zu machen”, meinte Tapa, denn es gab schon eine Cardassianerin in seiner Bruderschaft: Yanar Antorra. Sie hatte sich ebenfalls in Tapa verliebt … Ausgerechnet Yanar, die Sex mit Männern nicht mehr ertragen konnte, seit sie von den Wärtern auf Seltak Drei immer wieder misshandelt und missbraucht worden war.
Wenn sie es geschafft hat, schaffst du es auch! tröstete sich Ikat. Dreiundzwanzig unbekannte Partner, jede Nacht ein anderer, dreiundzwanzig fremde Stimmen in seinem Kopf … hauptsächlich Vulkanier, zwei Betazoiden, ein Mensch, eine Bajoranerin … aber am stärksten klopfte sein Herz beim Gedanken an die Begegnung mit Yanar Antorra, seiner Kollegin, seiner engsten Freundin, seiner Leidensgefährtin und Schwester im Geist.

* * *

Es war eine erhabene, feierliche Zeremonie im roten Licht T’Kuths: Festessen, Lagerfeuer, Trommeln, Gesang. Ikat probierte gerade die gegrillten Hülsenfrüchte, als sich jemand unaufgefordert neben ihm niederließ. Lange, weiche Haare streiften seine Schulter und ein vertrautes Gesicht lächelte ihn an. „Nervös?” fragte Yanar.
„Ein bisschen”, gab Ikat zu.
„Musst du nicht sein”, munterte sie ihn auf. „Der Ablauf ist immer der gleiche: zuerst das Erbsenschoten-Gelage, dann der Trommelwirbel und am Ende erwartet dich eine aufregende Liebesnacht mit höchst interessanten Visionen beim Orgasmus.”
Ikat richtete sich kerzengerade auf musterte sie interessiert. „Was für Visionen?”
Die Cardassianerin lächelte. „Meistens musst du von einer Art Klippe springen und dich auffangen lassen …”
„Hmm … klingt spannend.”
„Sicher, aber die Kreativen und Snobs finden andere Varianten. Mein liebster Bindungspartner Aron zum Beispiel macht es nicht unter dem Urknall, dem Untergang des Universums, einer Supernova oder zumindest einem Vulkanausbruch.”
„Das Klingt wiederum ziemlich unangenehm, wenn du mich fragst.”
Yanars Lächeln wurde breiter. „Ist es manchmal auch. Aber du solltest es unbedingt versuchen! Danach fühlst du dich wie neu geboren. Ehrlich!”
„Du schlägst mir vor, mit deinem liebsten Bindungspartner zu schlafen?” wunderte sich Ikat.
„Wir sind doch alle eine große Familie”, konterte Yanar leichthin.
Gewöhnungsbedürftig war diese Kultur auf jeden Fall! „Wie ist das … ich meine, wie kommt man damit zurecht, über zwanzig Bindungspartner im Kopf zu haben?”
„Du wirst sie nicht ständig im Kopf haben”, beschwichtigte ihn Yanar. „Die anderen haben gelernt, sich abzuschirmen – und du lernst es auch noch.”
„Gehört dein Aron zu den Kreativen oder den Snobs?”
Yanar lachte kurz. „Ich denke, er ist ein bisschen von Beidem.”
„Dein liebster Bindungspartner ist ein Mann … das überrascht mich”, bemerkte Ikat nachdenklich. „Du hast dich sehr verändert, Yanar.”
„Ich hoffe doch, zum positiven!”
Ikat lächelte. „Als ich dich kennenlernte, wolltest du mit einem Asteroiden zusammenrasseln … du warst verzweifelt, weil du keinen Ausweg aus deiner beschissenen Lage gesehen hast … manchmal hast du dich von allen anderen zurückgezogen, sogar von mir … aber nun sehe ich eine lebenslustige, selbstbewusste Frau vor mir … eine Frau, die mit sich und dem Universum im Einklang lebt, weil sie zum ersten Mal im Leben so geliebt und respektiert wird, wie sie es verdient … dass zeigt mir, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe.”
Yanar erhob sich und streckte ihm die Hände entgegen. „Dann komm!”
„Du willst die Erste sein?” hakte er nach.
Sie blickte ihn eindringlich an. „Bringen wir es hinter uns!”
Mit diesen Worten führte sie ihn in ein grünes Zelt, das abseits von der Gruppe auf dem heiligen Versammlungsplatz stand. Im Inneren war es gemütlich, auf dem Boden lagen überall bunte Kissen verstreut, eine steinerne Lampe spendete schummriges, weiches Licht.
Yanar zog allerdings die Stirn in Falten, als sie sich umsah. „Wer, zum Geier, hat dieses Zelt eingerichtet?” murmelte sie. „Und das soll nun romantisch sein … Vulkanier!”
Zu Ikats Erheiterung begann sie, die Kissen völlig neu zu drapieren, trat ein paar Schritte zurück, prüfte alles mit kritischen Blicken, stopfte jene Gegenstände, die ihrer Meinung nach nicht zum Rest passten, in die Truhe, kramte ein paar kunstvoll verzierte Laternen heraus, die sie an die Zeltstangen hängte, zündete die Kerzen an und wandte sich dann lächelnd an ihren zukünftigen Waffenbruder. „Das ist doch schon eher ein passendes Ambiente für unsere Bindungszeremonie!”
Ikat grinste und zuckte die Achseln. „Nach meiner Ansicht sah es vorher auch schon ganz gut aus – aber wenn du meinst …”
Yanar ließ sich geschmeidig auf einem weich gepolsterten Hocker nieder. Ihre schlanke, sportliche Figur kam in der traditionellen Kleidung der Ah’Maral – dem knappen Bustier und den engen, schwarzen Kniehosen – besonders gut zur Geltung. Das flackernde Licht der Kerzenflammen warf tanzende Schatten auf ihre helle Haut, die Schuppenleisten und das lange, glänzende Haar. Sie sah verführerisch aus, wie sie sich zurücklehnte, die Beine übereinander schlug und Ikat aus halb geschlossenen Augen betrachtete.
Dieser lächelte verlegen. „Sollten wir uns jetzt nicht ausziehen, oder so?”
Yanar schmunzelte. „Du kommst aber schnell zur Sache! Keine Sorge – wir haben noch den ganzen Abend Zeit fürs Vorspiel.”
„Yanar, ich weiß, dass dir die Sache mindestens ebenso peinlich ist, wie mir …”
Sie atmete tief durch. „Ich bin erst vor sechs Wochen aufgenommen worden und viele dieser sogenannten Künste der Krieger sind für mich immer noch wie eine verschlüsselte Datenbank. Ich musste bisher nie eine Bindung herstellen – und dann ist mein erster Fall ausgerechnet ein knochenschwuler Ex-Kollege, der in mir nur eine gute Freundin sieht.”
„Vielleicht bin ich ja gar nicht so knochenschwul, wie ich bisher dachte”, konterte er mit einem stillen Lächeln. „Immerhin lebst du jetzt auch mit einem Kerl zusammen, obwohl du früher steif und fest behauptet hast, lesbisch zu sein.”
„In den Händen dieser Sexkünstler wird eben jeder zu Pudding”, scherzte sie.
„Ich könnte jetzt wirklich einen Kanar vertragen!” seufzte Ikat.
„Ich auch!” stimmte Yanar ihm aus voller Seele zu. Dann blitzten ihre Augen auf. „Das ließe sich arrangieren.”
„Du hast Kanar hier?”
„Etwas viel besseres!” Sie lächelte verheißungsvoll und deaktivierte das Kraftfeld vor dem Zelteingang.
„Moment mal …” Ikat lachte ungläubig. Yanar hatte schon oft verrückte, spontane Einfälle gehabt – selbst in den schlimmsten Zeiten, als sie meistens unter Beruhigungsmitteln stand. Ihr war also durchaus zuzutrauen … „Du willst doch nicht etwa mitten in der Aufnahmezeremonie zur Raumhafen-Kneipe beamen, oder so was …” Es hätte ihn sogar gereizt – wenn er unter seinem grünen Festgewand nicht splitternackt gewesen wäre.
Yanar, die schon halb aus dem Zelt geschlüpft war, kicherte. „Natürlich nicht! Ich bin gleich wieder zurück. Du bleibst hier!”

Tapa warf ihr einen skeptischen Blick zu. „Du willst mitten in der Zeremonie den Versammlungsplatz verlassen, Yanar? Das hat bisher noch nie jemand getan!”
„Immer mit der Ruhe, Tapa. Ich möchte nur etwas aus meinem Zelt holen. Und da es unseren zukünftigen Waffenbruder glücklich machen würde – ebenso wie mich selbst – ist es doch in unser aller Interesse, oder?”
Der Vulkanier las in ihrem Geist und seufzte leise. „Ich müsste das Kraftfeld um den Platz deaktivieren und das wäre …”
„Schon gut, lass es”, gab die Cardassianerin nach. „Es war nur eine fixe Idee.”
„Vielleicht hätte ich mit Ikats Aufnahme warten sollen, bis deine Ausbildung abgeschlossen ist”, lenkte Tapa ein. „Dein wahres mentales Potenzial haben wir noch lange nicht zu Tage gefördert.”
„Wahrscheinlich habe ich gar nicht so viel mentales Potenzial, wie du immer behauptest”, entgegnete sie voller Resignation. „Aber Tatsache ist, dass ich mit dem schwulen Bruder da drin ein Geist und ein Knäuel werden muss – und zwar noch im Laufe dieser Nacht! Nach meinem Gefühl muss ich alle Mittel ausschöpfen, um uns beide …” Sie lächelte entwaffnend. „… ein bisschen in Stimmung zu bringen.”
„In Ordnung, ich deaktiviere das Kraftfeld”, stimmte Tapa zu. „Aber das ist eine absolute Ausnahme! Wenn du das nächste Mal irgendwelche Paarungsdrogen brauchen solltest, dann bring sie bring gleich zur Zeremonie mit!”

Yanar betrat das Zelt, das sie gemeinsam mit Aron bewohnte, öffnete den Kühlschrank – und prompt kullerten ihr mehrere Glasbehälter mit einer silbrigen Paste entgegen. Yanar stöhnte entnervt. Aron war Gedankentechniker – und diese Substanz gehörte zu den Medikamenten, die er verwendete. „Aron, zum Henker, dieser Kühlschrank ist für Lebensmittel gedacht, und nicht für Kahma-Raka!” schimpfte sie telepatisch mit ihrem Bindungspartner. „Mir reicht es! Entweder du bringst das Zeug woanders unter, oder ich verbuddel es irgendwo in der Wüste!”
„Frieden, meine Liebste!” entgegnete Aron auf die gleiche Art. „Ich horte das Kahma-Raka für den kommenden Krieg. Wir werden es brauchen!”

„Dann kauf dir doch bitte endlich eine größere Kühlzelle für deine Praxis! Himmel, wie geizig können Vulkanier sein???”
„Also gut, ich horte mein Kahma-Raka in Zukunft nicht mehr zwischen deinen Vorräten von unethischem Essen”, konterte Aron amüsiert. „Wie kommst du mit Ikat zurecht?”
„Gut.”
„Brauchst du meine Hilfe?”
„Nein!”
Yanar fand nach kurzer Zeit, was sie suchte: Eine Flasche mit echtem Rotkäppchen-Sekt von der Erde.
„Das ist alles, was ich brauche”, sagte sie zu sich selbst.

* * *

Die Sektflasche war schnell geleert. Yanar fand endlich den Mut, den Gürtel von Ikats Gewand zu lösen, und der seidige grüne Stoff glitt fast lautlos von seinen Schultern. Er stand nackt vor ihr und musterte sie scheel, als sie mit bedeutungsvoller Miene die Hände auf seinen Bauch legte und millimeterweise abwärts wandern ließ. Sein Körper war muskulös und wohlproportioniert, mit dekorativen Schuppen an den richtigen Stellen. Yanar lächelte versonnen, denn ihr gefiel, was sie sah.
Auf einmal kicherte Ikat unbeherrscht los. „Etwas mehr Ernst bitte – ich versuche, das Feuer der Krieger in dir zu entfachen!” schimpfte Yanar in einem Tonfall, als ginge es um Leben und Tod.
„Entschuldige bitte, aber das kitzelt!”
„Ich finde die verfluchten Nervenpunkte nicht”, murmelte sie frustriert und ließ die Hände sinken. „Wärst du ein Vulkanier, wüsste ich, wo die Dinger sind – aber so …”
„Hast du nie versucht, diese Nervenpunkte bei dir selbst zu finden?”
„Ich bin eine viel beschäftigte Kriegerin und habe keine Zeit für Onanie!”
„Das glaube ich dir aufs Wort!”
Yanar zog einen Flunsch. „Aron hat mir schon angeboten, die Nervenpunkte auf deinem Körper mit wasserfestem Filzstift anzuzeichnen. Selbstverständlich hab ich diesen netten Vorschlag rigoros abgelehnt.”
„Wasserfester Filzstift …” Ikat lachte leise. „Das Leben ist eine Parodie!”
Aber Yanar fiel nicht in sein Lachen ein, sondern sah reichlich verzweifelt aus.
„Nicht gleich den Phaser ins Korn werfen”, tröstete Ikat sie. „Es gibt noch mehr Wege, einen Mann zu verführen.
„Auch einen schwulen Mann?”
Ikat verdrehte die Augen. „Ach, komm mir doch nicht bei jeder Gelegenheit mit dieser Schwulen-Ausrede!” Dann schmunzelte er. „Du willst doch nur mit deinen mentalen Tricks angeben!”
„Und das werde ich auch – verlass dich drauf!”
„Nichts für ungut, Yanar – aber wenn wir in diesem Tempo weitermachen, lernen die Lematyas, auf zwei Beinen zu laufen und Pinocle zu spielen, bevor wir fertig sind! Und ich habe noch zweiundzwanzig andere Krieger vor mir!”
Yanar stemmte eine Hand und die Hüfte und funkelte ihn drohend an. „Wenn du willst, dass ich überhaupt weitermache, dann verschone mich bitte mit diesem herablassenden Ton!”
„Findest du nicht, dass du jetzt ein bisschen überempfindlich reagierst?”
„Zum Henker, versetz dich doch mal in meine Situation, du Intelligenzbestie!”
„Ja, fein, bemitleide dich nur selbst – das bringt mich richtig auf Touren!” schoss Ikat zurück. „Denkst du, für mich wäre es leicht?”
„Na gut, dann mache ich es dir etwas leichter!” konterte sie schneidend. Sie riss sich zuerst das Oberteil, dann die Kniehose herunter, zwang Ikat ohne Vorwarnung in die Horizontale und kniete sich dann mit gespreizten Beinen über ihn. „Entspricht dieses Tempo eher deinen Vorstellungen?” fragte sie kurzatmig.
Ikat Valna antwortete nicht. Seine Augen wanderten über ihren nackten Körper, sein Blick war seltsam verschleiert. Schweißfeuchte Strähnen ihrer langen Haare kitzelten seine Brust, er zuckte zusammen und stöhnte leise. Yanar lächelte nur und liebkoste mit heißen Fingern seine Männlichkeit.
Sein Stöhnen wurde lauter, er streichelte erst sanft und schüchtern, dann aufreizend und fordernd ihre Brüste, ihren Bauch, die feinen Schuppen zwischen ihren Beinen, die Innenseite ihrer Oberschenkel … Yanar atmete heftig, ein Zittern durchlief ihren ganzen Körper.
„Dafür, dass du noch nie mit einer Frau zusammen warst, schlägst du dich tapfer”, erklärte sie mit belegter Stimme. Unter ihren zärtlichen, geschickten Händen wurde sein Speer hart und groß. Sie lenkte ihn mit zwei Fingern behutsam zum Ziel.
„Du … hast es geschafft … das Feuer … auf ganz cardassianische Art … in mir zu entfachen!” keuchte er.
„Wie?”
„Indem wir uns streiten.”
„Wir haben uns noch nie gestritten!”
„Dieser Planet … hat einen seltsamen Einfluss.”
Sie fühlte sich fremdartig an … scheinbar weich und anschmiegsam … in Wirklichkeit umschloss sie ihn unerbittlich und fest. Ihm blieb nichts anders übrig, als ihrem Rhythmus zu folgen. Für einen Moment war es ihm unheimlich … dann konnte er keinen klaren Gedanken mehr fassen … sich nur noch der reinen Ekstase hingeben.
Wie durch einen roten Nebel spürte er ihre Fingerkuppen an seinen Schläfen.
„Na, findest du diesmal die richtigen Nervenpunkte?”
„Soll ich dir eine kleben?” stieß sie hervor.
„Ich bin kein Experte für Hetero-Spielchen, aber …” Alles Blut seines Körpers schien sich in seiner Mitte zu sammeln. „… kommt das nicht erst nach dem Akt.”
„Dein Geist zu meinem Geist, deine Gedanken zu meinen Gedanken”, zitierte sie würdevoll.
Ein Strudel von weißem Licht sog ihn ein. Die reale Welt verschwand … wich einem bizarren Traum … einer Vision … einer Fieberphantasie … Ikat war sich nicht sicher.
Er befand sich plötzlich auf der Brücke eines cardassianischen Schiffes … der Kal Ranor, wie er unschwer erkannte. Aber das Schiff war verlassen, terranisches Unkraut aller Sorten überwucherte die Konsolen, den Boden und die Sessel, seine Wurzeln sprengten Glas und Metall. Handtellergroße Fantasieschmetterlinge umschwirrten die Blüten, die samtigen Flügel schimmerten purpur und golden, lila, weiß und blau, stets Ton in Ton kombiniert mit geschmackvollen Dreiecksmustern. Ein frischer Grabhügel ersetzte den Chefsessel des Guls, eine bajoranische Zwergharakatze mistete genüsslich blinzelnd in den Sand. Warmes, dunkelrotes Blut tropfte aus den kaputten Leitungen an der Decke. Das Schiff erbebte immer wieder, als würde es angegriffen.
Ikat hatte sich noch nicht entschieden, ob er sich amüsieren oder gruseln sollte – da trat Yanar auf ihn zu. Sie trug einen hautengen grauen Anzug aus metallisch glänzendem Stoff, dazu hochhackigen Stiefel, und stöckelte in mädchenhafter Anmut über die Pflanzen hinweg.
Ihr äußeres Erscheinungsbild fluktuierte. Die Halsschuppen und cardassianischen Gesichtsmerkmale wurden immer wieder durchsichtig wie eine Projektion auf einem schlecht funktionierenden Holodeck.
„So ein Mist”, murrte sie unzufrieden. „Du verdienst wirklich etwas Besseres als … das hier.”
Er nahm ihre Hände und lächelte jungenhaft. „Ach ich weiß nicht … die Katze gefällt mir.”
„Eine bajoranische Zwerghara. Ich wollte schon als Kind eine haben.” Sie lachte halbherzig, aber ihre Augen blieben ernst. „Ich kann diesen Ort einfach nicht vergessen … die schlimmen Dinge, die hier passiert sind … obwohl ich versuche, Gras darüber wachsen zu lassen, wie du siehst.”
„Mir geht es doch genauso”, tröstete Ikat sie. „Und ich hab mir auch schon oft genug gewünscht, jemand anderes zu sein … alles, nur kein Cardassianer.”
Ihr Gesicht war ganz blass geworden, sie atmete flach. „Wir müssen hier raus!”
„Nichts lieber als das!” Ikat sah sich um. „Aber wie?”
Der Eingang zur Brücke war verschweißt, es gab keine Türen, keine Luftschleusen, keinen Fluchtweg.
Frust und Verzweiflung packte Yanar, sie riss eine besonders üppige Schafgabe aus dem Boden und schleuderte sie mit einem leisen Fauchen gegen den Hauptmonitor.
Die Pflanze flog mitten hindurch.
Yanar Augen leuchteten hoffnungsvoll auf und sie packte Ikat Hand. „Komm!”
„Was hast du vor?” protestierte er lautstark. „Da draußen herrscht das pure Vakuum! Wir werden ersticken, zum Henker!”
„Das lasse ich nicht zu!” erklärte sie fest.
Sie rannten entschlossen auf den Bildschirm zu, sprangen kopfüber hindurch, ihnen folgten sämtliche Schmetterlinge und Insekten und sogar die Harakatze, die mit allen Vieren im Nichts herumruderte, die Augen weit aufgerissen …
Sein ganzer Körper verkrampfte sich vor Lust und vor Panik … Oder Yanars Körper? Es war kaum noch möglich, seine Empfindungen von ihren zu unterscheiden.
Sie schwebten mitten im All, das Schiff hinter ihnen explodierte, eine gnadenlose Hitze überflutete sie, die Schockwelle trug sie weit über die Grenzen des bekannten Raums.
Dann tauchten sie in die Atmosphäre eines Planeten, die Harakatze verkrallte sich in Yanars Hinterteil, ein kurzer, stechender Schmerz durchzuckte sie … und ihn ebenso.
Sie lag auf dem Rücken und fing ihn auf, der Himmel über ihnen war zart violett und mondlos. Blaugrünes Moos polsterte den Boden, blühende Bäume wuchsen zwischen kunstvoll verzierten Mauern, Gebäuden mit hellen Türmen und bunten Fenstern, majestätisch und filigran zugleich. Sie erinnerten ihn an etwas, an ein Erlebnis aus seiner Kindheit … Da fiel es ihm schlagartig ein: sein Ausflug zu den Ruinen der alten, hebitanischen Kultur.
„Wo sind wir?” fragte er, obwohl er die Antwort längst ahnte.
„Auf Cardassia Prime. So wie es vor tausend Jahren aussah. Lange bevor die Industrie den Planeten ruiniert hat und das Militär alles mit Protzbauten und Überwachungsgeräten vollpflasterte.”
„Es ist wunderschön.”
„Also waren meine zwei Semester Geschichtsstudium doch zu was gut.” Sie lächelte.
„Denkst du, es könnte irgendwann wieder so schön werden?”
„Sicher, irgendwann”, erklärte sie zuversichtlich. „Wir werden es vielleicht nicht mehr erleben, aber wir werden unseren Beitrag dazu leisten – wir beide! Die Wahrträumer sagen, dass Cardassia eines Tages zum Frieden und zur Demokratie zurückkehren wird – und dass ich dabei eine wichtige Rolle spielen werde, obwohl ich es mir nicht recht vorstellen kann.”
Ihre Stimme klang gespresst, wie unter großen Schmerzen. Eine hauchfeine Schicht von Blütenstaub überzog ihr Gesicht, konnte jedoch die ungesunde Farbe ihrer Haut nicht verbergen. Ihre Augen waren rot gerändert, sie wirkte zu Tode erschöpft und atmete schwer.
„Yanar!” rief Ikat erschrocken. „Ich habe dir weh getan, das tun mir Leid …”
„Nicht so schlimm”, erwiderte sie matt. „Du kannst ja nichts für die Noppen an deinem Ding -und ich kann nichts dafür, dass ich da drin so ein empfindliches Organ habe, das beim Orgasmus anschwillt, um den Eisprung auszulösen. So funktioniert nun mal die cardassianische Biologie.”
„Das meine ich nicht.” Er strich ihr zärtlich das Haar aus der Stirn, seine Finger wanderten über ihren Hals und die schuppigen Schlüsselbeine … dann hielt er den Reißverschluss ihres Overalls in der Hand, öffnete ihn langsam und voller schlimmer Vorahnungen. Yanars Haut unter dem Stoff war zum Teil voller Brandblasen, an manchen Stellen von Peitschenhieben zerfetzt, ein paar Schuppen waren abgerissen.
„Oh nein”, flüsterte er entsetzt. „Seit wann …”
„Seit ungefähr sechs Jahren”, erklärte sie tonlos.
„Du hast dir die größte Mühe gegeben, vor mir zu verbergen, wie dreckig es dir immer noch geht … selbst während der Gedankenverbindung … Wieso?”
„Weil es nicht wichtig ist.”
„Doch, für mich ist es wichtig!” Er schrie fast. „Es kann nicht sein, dass du dich quälst, damit ich diese Nacht meinen Spaß habe! Das ist …”
„Wir müssen die Bindung vollziehen. Nur das ist jetzt wichtig.”
„Verdammt, Yanar …” murmelte er erstickt. „Jetzt kapiere ich alles.”
„Was?” hauchte sie.
„Du hast vier Gläser Sekt gebraucht, um dir Mut anzutrinken … und selbst dann hattest du noch Hemmungen, mich überhaupt anzufassen … nicht, weil du Angst um unsere Freundschaft hattest, oder weil ich schwul bin … du hast ja von den Ah’Maral gelernt, dass das alles im Grunde kein Hindernis ist … nein, dir war nicht wohl, weil ich von der Kal Ranor bin … weil ich dich an diese ganze Scheiße von damals erinnere, an die du lange nicht mehr gedacht hast. Und nun hab ich dich wieder reingeritten …” Die Idylle verschwamm vor seinen Augen und er hielt nur mit Mühe ein Schluchzen zurück.
Sie nahm seine Hände fest in ihre und nach kurzer Zeit spürte er Yanars Herzschlag wie seinen eigenen, fühlte, wie sein Blut in ihre Adern strömte, wie ihre Wunden heilten und sein Schmerz ebenso verschwand wie ihrer. Er und die Frau unter ihm waren eine Seele, ein Geist, ein Organismus.
„Du hast mich nicht reingeritten”, erklang ihre sanfte Stimme in seinem Kopf. „Im Gegenteil: Du gibst mir Kraft. So wie du auf der Kal Ranor immer für mich dagewesen bist, wenn ich dringend einen Freund brauchte.”
„Ich hatte endlich eine verwandte Seele gefunden. Das hat mir viel bedeutet.”
„Auf eine gewisse Weise waren wir schon immer verbunden.”
Ikat sagte nur: „Ja.”
Tapa hatte seinem Speer und seinem Katra eine würdige Heimstatt versprochen – und er hatte sie gefunden. Ausrechnet bei einer Frau … Dabei war er zu den Turuska gekommen, weil er bei ihnen unbekümmert schwul sein durfte.
„Ich bin nicht deine einzige Heimstatt”, widersprach Yanar mit gutmütiger Ironie. „Nur eine von dreiundzwanzig.”
Dann versank sie zufrieden in der Dunkelheit. Ihre Verführungskünste waren dilettantisch gewesen und ihre Visionen grotesk – aber das kümmerte sie nicht länger. Manchmal war es so einfach, jemanden glücklich zu machen.

© 2004 by Adriana Wipperling

 

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