Der Tanz der Mäuse auf dem Küchentisch Oder: Wenn Cardassianer rebellieren

Die Zivilistenrevolte auf Cardassia, so die landläufige Meinung, läßt sich ganz simpel durch Wegfall des Obsidianischen Ordens erklären. Doch ist es wirklich so einfach? Zweihundert Jahre Militärdiktatur haben die Gesellschaft sehr tief geprägt …

Leitartikel der “Federations Weekly” zum ersten Jahrestag der Zivilistenunruhen auf Cardassia

Autorin: Elarin Talmas von Trill
(aus dem Föderationsstandard ins Deutsche übertragen von Adriana Wipperling)

Die Idee für diesen Artikel kam mir ausgerechnet in einem lauschigen Restaurant auf der Erde – genauer gesagt: bei “Siskos” in New Orleans. Ich saß allein unter einem ausgestopften Alligator mit glasigem Blick, der nicht unbedingt anregend auf meinen Appetit wirkte … aber das Restaurant war wieder einmal brechend voll und die Auswahl an Tischen nicht eben groß.
So fragte mich nach kurzer Zeit eine fremdartige weibliche Stimme, ob an meinem Tisch noch ein Platz frei sei. Ich blickte von meinen “Samarian Sunset” auf – direkt in die tiefen schwarzen Augen einer Cardassianerin.
Sie trug elegante, maßgeschneiderte Zivilkleidung, aber eine Zivilistin war sie keinesfalls. Hinter jeder ihrer Bewegungen, ihrer Haltung, ihrem wachsamen Gesichtsausdruck steckte jahrelanger Drill. Kampfbereitschaft. Furcht vor dem Feind. Und noch mehr Furcht vor den eigenen Vorgesetzten.

Für einen Augenblick war ich irritiert, sogar erschrocken … aber dann erwachte in mir die Sensationslust der Reporterin und der gesunde Wissensdurst einer Trill. Ich bat die Dame freundlich, Platz zu nehmen – brennend vor Neugier, welches (un)gnädige Schicksal sie auf die Erde verschlagen haben mochte …
Das Gespräch gab mir jedoch viel mehr. Ich erhielt Einblicke in eine Welt, die mir – wie den meisten Förderationsbürgern – bisher verschlossen und fremd war. Dabei fand ich heraus, dass dieser ehemalige Feind uns ähnlicher ist, als wir uns bisher eingestehen mochten.

Wenn die Katze aus dem Haus ist…

Ein Sprichwort der Menschen lautet: “Wenn die Katze aus dem Haus ist, gehen die Mäuse auf dem Küchentisch tanzen “. Jeder weiß, was Katzen sind: pelzige, schnurrende und sehr hübsch anzusehende Lebewesen von der Erde, die als Heimtiere äußerst beliebt sind. Die Mäuse als bevorzugte Beutetiere dieser Geschöpfe dürften allerdings weniger entzückt sein. Katzen pflegen nämlich lange mit ihrem Essen zu spielen, bevor sie es endlich verspeisen. Die arme Maus, die die scharfen Krallen und Zähne der Katze zu spüren bekommt, dürfte sich ähnlich hilflos und ausgeliefert fühlen, wie ein Gefangener des Cardassianischen Militärs oder des Obsidianischen Ordens.
Ich streite nicht ab, dass dieser Vergleich makaber ist. Er bringt uns jedoch dem Problem näher.

Die Zivilistenrevolte auf Cardassia, so die landläufige Meinung, läßt sich ganz simpel durch Wegfall des Obsidianischen Ordens erklären. Als die vereinigte Flotte des Ordens und des romulanischen Tal Shiar in den Gamma-Quadranten aufbrach, um die Heimatwelt der Gründer anzugreifen, ahnte noch niemand, dass damit der Grundstein für einen Umbruch des gesamten Alpha-Quadranten gelegt werden sollte. Die Invasion endete in einem Desaster, die cardassianischen und romulanischen Schiffe gerieten in einen Hinterhalt des Dominion und der Obsidianische Orden verlor sein gesamten Führungspersonal.
Selbstredend war die Mission streng geheim und lediglich einige Besatzungsmitglieder der Raumstation Deep Space Nine wussten, was tatsächlich vorgefallen war. So erscheint es logisch, dass der Aufstand der cardassianischen Zivilisten erst mehr als ein Jahr nach der gescheiterten Offensive im Gamma-Quadranten ausbrach. Die Informationen über die Vernichtung des Ordens sickerten nur sporadisch und tropfenweise durch die Festungsmauern der Cardassianischen Union.

Doch Gerüchte verbreiten sich bekanntlich mit Warpgeschwindigkeit – und Gerüchte, die der Wahrheit entsprechen, verdichten sich langsam aber sicher zu Beweisen. Da für diesen Regierungswechsel nicht das Dominion verantwortlich war – wie eine Zeitlang vermutet wurde – konnte nur der Wille einer Bevölkerungsmehrheit dahinterstehen. Die Cardassianer brauchten ihre Zeit, um zu begreifen, dass sie tatsächlich frei waren von Terror und pausenloser Überwachung. Wie eine Sonneneruption brach der gerechte Zorn hervor, das Volk erkannte den Segen der Demokratie und begannen, auf den Tischen zu tanzen … Mein freiheitsliebendes Föderationsherz jubilierte.

“Sie denken, die Cardassianer haben rebelliert, weil sie keine Demokratie hatten? ” unterbrach mich meine cardassianische Gesprächspartnerin, die aus verständlichen Gründen anonym bleiben möchte, zynisch. “Demokratie… meine Leute wissen doch gar nicht mehr, was das ist! ”
Ich fürchte, die gute Frau hat völlig recht. Zweihundert Jahre Militärdiktatur können eine Gesellschaft sehr tief prägen. Die Mentalität der Cardassianer – die “politische Kultur “, wie es in Fachkreisen heißt – stützt sich auf ein nahezu bedingungsloses Vertrauen in den Staat und ein konservatives Beharren auf alten Strukturen. Die Bürger erwarten, dass der Staat sie beschützt, ihnen Arbeit und ein Dach überm Kopf besorgt und danken dies mit Loyalität und Hingabe. Natürlich kann ein Staat, der seine Schäfchen behütet wie ein treusorgenden Vater, nicht zulassen, dass jemand seine Autorität anzweifelt! Das wäre doch anmaßend, undankbar und außerdem respektlos! Wer also seinen Schnabel zu weit aufreißt und deshalb irgendwo spurlos verschwindet, ist selber schuld. Punktum.
Das ist die cardassianische Staatsdoktrin – und sie entbehrt nicht einer gewissen kaltschnäuzigen Logik. Doch hätte dieses System tatsächlich so reibungslos funktioniert, wie die cardassianische Propaganda uns Glauben machen wollte, wäre nach dem Zusammenbruch des Obsidianischen Ordens niemand auf die Barrikaden gegangen. Abgesehen von ein paar Weltverbesserern, die alles in Frage stellen müssen…”

Ein verhängnisvoller Weg

Ein anderes Sprichwort besagt: “Man lernt einen Gegner kennen, wenn man gegen ihn kämpft. ” Ich zweifle das an. Natürlich erfahren wir viel über die Stärke und Entschlossenheit dieses Gegners, seine Intelligenz und seinen Einfallsreichtum … doch in erster Linie lernt man seine schlimmsten Seiten kennen.
Seit den Grenzkriegen sind uns die Cardssianer als grausam und hinterlistig in Erinnerung, als brutale imperialistische Macht. Sie haben Dutzende Welten mit Fusionsbomben verbrannt, die Bevölkerung versklavt, gefoltert, scheußliche medizinische Experimente durchgeführt … Wer denkt da nicht manchmal an Vergeltung? Wünscht sich einen guten Zeitreisenden, der die ganze Spezies aus dem Universum eliminiert? Oder eine Superwaffe, um sie in die Steinzeit zurückzubomben?
Dabei dürfen wir eines nicht vergessen: Das erste vom cardassianischen Militär unterworfene Volk war das eigene. Ein Volk, das Rettung in einer ausweglosen Situation gesucht hat, an der es zugegebenermaßen nicht ganz unschuldig war …

Der Weg, den Cardassia vor 200 Jahren eingeschlagen hat, war verhängnisvoll – doch in der Geschichte vieler Föderationswelten finden sich Parallelen.
Die Fortschrittspartei, die den größten und mächtigsten Nationalstaat Cardassias jahrzehntelang regiert hatte, war der unerschütterlichen Überzeugung gewesen, dass die Stärke und das Wohlergehen eines Volkes ausschließlich am Wirtschaftswachstum und der technischen Entwicklung gemessen werden konnten. Rationalität, Fortschritt, Leistung und immer wieder neue technische Erfindungen, deren Besitz als Statussymbol galt, wurden zum Lebensinhalt einer gesamten Nation. Wer diesem Bild nicht entsprach, weil er etwa religiös oder ein Naturfreak war, wurde im besten Fall belächelt, im schlimmsten Fall diskriminiert. Doch die Rohstoffe des Planeten erschöpften sich recht schnell unter den ständig wachsenden Ansprüchen seiner Bewohner. Bald machten Hungersnöte, Seuchen und Naturkatastrophen das Leben unerträglich und die ersten Kämpfe um die letzten verbliebenen Ressourcen entbrannten. Die Regierung rief den Ausnahmezustand aus – mit dem Ergebnis, dass sie vom eigenen Militär gestürzt wurde. Den Streitkräften gelang es schließlich, den gesamten Planeten unter ihre Herrschaft zu zwingen – und viele andere Planeten, die dem cardassianischen Volk jene Ressourcen lieferten, die es benötigte, um den Lebensstandard wieder zu erreichen, den es während der Blüte seiner Zivilisation genossen hatte.

Als die cardassianischen Streitkräfte Bajor eroberten, zeichneten sich bereits die ersten Probleme ab. Oftmals kosteten die vielen Kriege mehr, als sie an Beute einbrachten, die Regierung kürzte die Sozialausgaben zugunsten des Militärs, appellierte mit großem Pathos an die Opferbereitschaft der Bürger und versprach, dass es nach dem nächsten glorreichen Sieg allen besser gehen würde.
Doch die Bajoraner waren nicht nur das erste von Cardassia unterworfene Volk, das ernst zu nehmenden Widerstand leistete … Viele Cardassianer konnten sich dem Sog dieser fremdartigen Lebensweise nicht entziehen. Erstmalig wurde ihnen vor Augen geführt, dass möglich war, andere Wege einzuschlagen, ohne in Dreck und Armut zu vegetieren. Die Herrscher im Zentralkommando spürten, dass das Volk langsam aber sicher ihrer Kontrolle entglitt, und beschlossen, die Zügel fester in die Hand zu nehmen. War vorher schon der größte Teil des Staatshaushaltes für die Armee draufgegangen, wurde nun fast der gesamte Rest für den Obsidianischen Orden ausgegeben: für Spitzel, Überwachungsgeräte und Gefängnisse. Schließlich reichten die Mittel kaum noch, um die Versorgung der Kriegsinvaliden, Alten und Kranken zu sichern.

Nach jeder Regenzeit steht das Wasser kniehoch in der baufälligen Hütte des ehemligen Soldaten S. Doch S. nimmt es gelassen, denn dieses Schicksal teilt er mit fast allen Bewohnern der heruntergekommen Slumsiedlung im Süden von Lakath. Eine richtige Wohnung kann er sich nicht mehr leisten, seit er vor Jahren ein Bein verlor und aus der Armee entlassen wurde.
Ab und zu ergattert seine Frau einen schlecht bezahlten Tagelöhnerjob und das Ehepaar musst ausnahmsweise nicht von Wühlmäusen und Abfällen leben. Denn S. kann die Familie nicht ernähren. Er gilt als Krüppel – nutzlos für die cardassianische Gesellschaft.
Sein Bein verlor er bei einem Angriff des bajoranischen Widerstands. Im “Dienst für Cardassia “, wie es salbungsvoll in seiner Akte heißt.

Der Dank des Vaterlands ist Dir gewiss

Romane wie “Das ewige Opfer ” mögen zwar eher als Narkotikum, denn als spannende Lektüre zu gebrauchen sein – doch sie zeigen eindruckvoll, was der cardassianische Staat von jedem einzelnen Bürger erwartet: Einsatzbereitschaft, Opfer, bedingungslose Treue. Der angeblich bedeutenste cardassianische Roman aller Zeiten erzählte die Geschichte von sieben Generationen, die sich allesamt entschließen, dem Staat zu dienen. Im Dienen allein liegt der Sinn ihres Lebens. Es sind Mäuse, die der Katze, die sie fressen will, noch begeistert in den Rachen springen … oder andere Mäuse in die Falle locken, damit sie ebenfalls gefressen werden.
Selbstverständlich erwarten diese zweidimensionalen Kunst-Mäuse vom Vaterland keinen Dank, keine Gegenleistung … Der Durchschnittscardassianer erwartet dies sehr wohl.
Wer für seinen treuen Dienst am Staat einen Tritt in den Hintern bekommt, reagiert darauf gewöhnlich mit Wut und Enttäuschung. Dieser Tritt hat schon so manchen Cardassianer in die Gosse befördert – meine Gesprächspartnerin beförderte er vor fünf Jahren ins Gefängnis.

Bis sie wegen einer kritischen Meinungsäußerung in die Mühlen des Systems geriet, war sie eine Glinn Zweiten Grades mit einer vielversprechenden Karriere. Offizierkollegen, die angeblich nur ihr Bestes wollten, verhörten sie tagelang ohne Unterbrechung, verweigerten ihr die Nahrungsaufnahme und drückten ihren Kopf so lange unter Wasser, bis sie einem Erstickungsanfall nahe war. Als ihr Wille noch nicht gebrochen war, sperrte man sie dreißig Stunden lang in eine Zelle, die nicht größer als ein Besenschrank war, und wo Tag und Nacht grelles Neonlicht brannte.
Wäre diese Frau eine Figur aus dem “Ewigen Opfer ” gewesen, hätte sie die Prozedur zwar nur knapp überlebt, sich aber dennoch gefreut, dass das cardassianische Sicherheitssystem so effizient funktioniert. Sie wäre zu dem Schluss gekommen, dass sie sich alle Misshandlungen selbst eingebrockt hätte, und schwanzwedelnd zu ihrem Vorgesetzen zurückgekrochen.
So kaputt und masochistisch war sie glücklicherweise nicht.

Was wären wir ohne unsere Feinde!

Wenn ich an Cardassia denke, habe ich jedesmal ein konkretes Bild vor Augen: Ein ovaler Bildschirm an einer sandfarbenen Hauswand. Das nichtssagende Gesicht irgend eines Guls, der im Brustton der Überzeugung verkündet, dass kein Bürger Cardassias Grund hat, um seine Sicherheit zu bangen …
Die Wirklichkeit sieht anders aus: Neuesten Statistiken zufolge kamen im letzten Jahr der Militärdiktatur mehr Cardassianer durch Hinrichtungen ums Leben, als durch Verkehrsunfälle. Jeder vierte cardassianische Staatsbürger über 16 Jahre gab an, schon einmal verhört und gefoltert worden zu sein.
Waren diese Opfer alles Dissidenten und Regimegegner, “Verräter ” und “Kriminelle “? Daran darf gezweifelt werden. Selbst loyale Cardassianer fragen sich, ob es ein Staat, der seine eigenen Bürger terrorisieren lässt, überhaupt wert ist, geschützt zu werden.

Für ein totalitäres Regime wie die cardassianische Militärdiktatur sind Feinde lebensnotwendig: Sie dienen als Rechtfertigung, um das Volk zu überwachen, drastische Strafen für unbedeutende Delikte zu verhängen, sämtliche verfügbaren Staatsgelder in die Rüstungsindustrie und die Geheimdienste zu buttern, Steuern zu erhöhen… Ohne Feinde hätte die Herrschaft des Zentralkommandos sehr schnell ihre Berechtigung verloren, das Volk hätte sich viel eher erhoben und sogenannten wichtigen Leuten die Kehlen aufgeschlitzt.
So absurd dies klingen mag – das cardassianische Militär führte keine Kriege, um Feinde zu bekämpfen, sondern um welche zu schaffen. Die Gewinnung von Lebensraum und Rohstoffen war im Grunde nichts weiter als ein willkommener Nebeneffekt.
Man fragt sich unwillkürlich, weshalb die Cardassianer den Planeten Bajor über fünfzig Jahre lang besetzt hielten, obwohl die Kosten zur Terrorbekämpfung die Ausbeute letztendlich weit überstiegen. Immerhin gibt es in diesem Quadranten mehrere unbewohnte Klasse-M-Planeten, deren Klima zum Teil wärmer und angenehmer ist als das Bajors. Doch das cardassianische Militär unterdrückte die Bajoraner, diese setzten sich zur Wehr, hasserfüllte bajoranische Rebellen töteten Männer, Frauen und Kinder… und ein neues Feindbild war geboren. Nun, da es kaum noch Pazifisten und Bürgerrechtler gab, die man nach effektvollen öffentlichen Prozessen einsperren und hinrichten konnte…

Als Gul Dukat gezwungen wurde, von Bajor abzuziehen, blieb den Herrschenden nichts weiter übrig, als ihre eigenen Untergebenen zu verfolgen, um den Kampfgeist und den Hass ihrer Anhänger aufrecht zu erhalten, um ihre Gier nach Feindbildern, Schauprozessen, Sensationen, Verschwörungstheorien, Mord und Totschlag zu befriedigen.
Der Druck, der dabei entstand, machte die Nation zum Pulverfass. Eine andere Cardassianerin, die ich später interviewte, verglich die cardassianische Gesellschaft mit einem Vulkan, wo die Lava schon lange am Kochen war: “Ich bin überzeugt, dass das Chaos unter der Fassade jeder Gesellschaft brodelt… wie Magma unter der Kruste eines Planeten. Und wir sind wie Berge … Vielleicht gibt es unter hundert Bergen einen Vulkan, aus dem ab und zu die Entropie herausquillt … vielleicht sind es aber auch mehr … das weiß niemand so genau. Wenn man aber den Krater eines Vulkans verschließt, statt den Ausbruch in kontrollierte Bahnen zu lenken, wird der Druck irgendwann so stark, dass der ganze Berg in die Luft fliegt. ”

Ein Volk wird erwachsen

Es gibt in der Föderation ein weit verbreitetes Vorurteil: Cardassianer haben keine eigene Meinung, sie werden so lange mit Propaganda berieselt, bis sie nicht mehr selbstständig denken können, sie respektieren Autorität und werfen sich vor jeder Obrigkeit platt wie terellianische Flundern auf den Bauch.
Klischees wie dieses gedeihen hervorragend in einer Welt, wo die Leute um nichts mehr kämpfen müssen, wo niemand Hunger leidet und Andersdenkende nicht um ihr Leben fürchten müssen. Dabei fordert ein Regime, wo der Einzelne unterdrückt und nonstop überwacht wird, ebenso Widerspruch heraus wie ein Vater, der seinen Kindern ständig verbietet, auf der Straße zu spielen.
Natürlich gibt es auch Kinder, die dem übermächtigen Vater immer gehorchen und nie erwachsen werden. Unter der Fuchtel eines allmächtigen Staates, der seinen Bürgern vorschreibt, welche Bücher sie lesen, wo sie unseren Urlaub verbringen und was sie zum Frühstück essen dürfen, ist es auch besonders schwer, zu sich selbst zu finden. Noch schwerer ist es, sich zu emanzipieren.

Doch das cardassianische Volk hat es geschafft, unter schwersten Bedingungen erwachsen zu werden. Der Staat, der selbsternannte Übervater, hörte auf, für seine Kinder zu sorgen. Er hätschelte nur noch diejenigen, die ihm schmeichelten und ihm ähnlich waren, misshandelte die Ungehorsamen und vernachlässigte alle Übrigen.
Dieser Vater hatte nicht begriffen, dass man sich Dankbarkeit und Treue verdienen muss … dass man sich durch Macht allein keinen Respekt verschafft.
Respekt verdienen vielmehr die Machtlosen:
Der Lebensmittelhändler, der heimlich Nahrungsmittel an bajoranische Flüchtlinge verschenkt.
Die Kampfpilotin, die jahrelang im Gefängnis saß, weil sie sich weigerte, auf unschuldige Zivilisten zu feuern.
Der Kriegsvetaran, der mit einer illegalen Bürgerwehr gegen die Verbrecherbanden in seinem Slumviertel kämpft.
Die Kinderfrau, die ihrem Schützling erzählt, dass alle fühlenden Lebewesen gleich viel wert sind.
Millionen Cardassianer, die gegen Ende den Mut der Verzweiflung aufbrachten.

Das mächtige cardassianische Zentralkommando war mit Feldsteinen, Spruchbändern und Trillerpfeifen zu Fall gebracht worden – von Putzfrauen, Müllmännern, Arbeitslosen, Professoren, Bauern, Verwaltungsangestellten, Prostituierten, Greisen.
Ihre Wahrheit war so einfach wie gefährlich: “Wir sind das Volk! ”

© 2004 by Adriana Wipperling

 

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