Nemesis – ein Film der verschenkten Möglichkeiten

Kaum ein Star-Trek-Film hat die Fangemeinde so polarisiert wie “Nemesis”. Der Film hätte keine Handlung, keinen Sinn, meckern viele Fans. “Nemesis” sei das Beste, was die TNG-Crew auf die große Leinwand gebracht hätte, meinen andere. Ich persönlich kann mich weder der überschwänglichen Begeisterung noch der vernichtenden Kritik anschließen.

Das Problem dieses Films ist nicht, dass er keine Handlung hätte. Im Gegenteil – er hat zu viel.

Data begegnet seinem unvollkommen “Bruder” B 4, auf Romulus findet ein Staatsstreich statt und schließlich kommt es zum dramatischen Showdown zwischen Picard und seinem Klon Shinzon, der zu allem Überfluss unter Zelldegeneration leidet und bald sterben muss.

Ist es bei so vielen Handlungssträngen, zusammengepresst in weniger als zwei Stunden, überhaupt möglich, das Thema in seiner philosophisch-psychologisch-politischen Tiefe auszuloten? Ich fürchte, nein. Einige der hochinteressanten Konflikte, die hier angerissen werden, bleiben leider an der Oberfläche.

 

Als er gegen Shinzon kämpft, wird Picard mit den Abgründen seiner eigenen Seele konfrontiert, er blickt sozusagen in einen “dunklen Spiegel”.

Doch nicht nur Picard – auch der Zuschauer kann Shinzons Beweggründe bis zu einem gewissen Grade sehr gut nachvollziehen: seinen Hass auf die Romulaner, seine Eifersucht auf Picard, dessen “minderwertige” Kopie er ist, und natürlich das Bedürfnis, seinen Wert zu beweisen. Nur schade, dass dieser Charakter, der am Anfang so glaubhaft dargestellt wurde, schließlich doch den gängigen Schurkenklischees zum Opfer fällt. In Ordnung, er hat nichts anderes kennengelernt als Gewalt und deshalb wendet er ebenfalls Gewalt an, um seine Ziele zu erreichen. Bis zu diesem Punkt komme ich wunderbar mit. Nur wieso ist Shinzon so versessen darauf, die Erde anzugreifen und die Menschheit auszurotten? Weil die Föderation ihn im Stich gelassen hat? Weil er ein destruktiver Typ ist, der seinem pubertären Größenwahn frönt? Weil er selbst nicht weiterleben darf und das auch niemand anderem gönnt?

Keine Ahnung – er ist eben böse. James Bond lässt grüßen :-).

 

Datas Tod wurde für meinen Geschmack viel zu knapp und unspektakulär abgehandelt. Puff – weg war er. Ein wenig mehr Pathos hätte mir an dieser Stelle gefallen :-).

Und außerdem: Könnte nicht zur Abwechslung mal jemand anderes im Mittelpunkt stehen als Picard und Data? Klar, die beiden sind großartige Charaktere mit viel Potenzial – aber TNG ist nie eine Big One, Big Two oder Big Three Show a la TOS gewesen. Leider tendieren die Filme immer mehr in diese Richtung.

 

Was mich jedoch am meisten enttäuscht hat, war die oberflächliche Darstellung der Romulaner und vor allem der Remaner. Über die Romulaner, an sich ein faszinierendes Volk, wurde schon in der Serie nicht allzu viel verraten. Man weiß, sie stammen von den Vulkaniern ab, sie haben einen Geheimdienst, einen Prätor, einen Senat und sie lieben es, zu intrigieren. Viel mehr weiß man leider nicht.

Nun wurden in “Nemesis” die Remaner eingeführt, die bis zum Schluss konturlos blieben. So wie sie früher die Sklaven der Romulaner waren, sind sie später die Marionetten Shinzons. Ja, haben denn diese Leute überhaupt keinen eigenen Willen? Dabei hätte dieses ausgebeutete, gequälte Volk, das sich mit Shinzon als Führer gegen die Romulaner erhebt, auf alle Fälle Stoff für einen guten Film geboten. Noch interessanter wäre es gewesen, wenn Picard in einen ernsthaften Gewissenskonflikt geraten wäre: Soll er den Romulanern helfen, die immerhin eine ganze Spezies versklavt haben und das auch weiterhin tun werden, wenn man ihnen den Rücken stärkt – oder soll er Shinzon und die Remaner unterstützen, die aus Rache einen Völkermord begehen würden?

 

In “Nemesis”, waren die Remaner lediglich bessere Statisten. Ihr Job war es, hässlich auszusehen und in der Finsternis herumzukriechen, um damit einen Gruseleffekt zu erzeugen, der sich bei mir einfach nicht einstellen wollte. Eine außerirdische Rasse als ein Haufen billiger Horrorkreaturen? Das ist eigentlich sehr fragwürdig und ganz bestimmt nicht im Sinne von Star Trek!

Außerdem hätte man doch auf der Enterprise sehr leicht mit ihnen fertig werden können: Man schalte das Licht ein und sie wären erledigt. Soviel zum “furchterregendsten Feind, dem der Captain je gegenübergestanden hat”. In Sachen Eigenlob sind Berman und Braga wirklich Spitzenklasse.

Und was mich auch noch wundert: Wie konnte es den Remanern überhaupt gelingen, eine eigene Raumschiffflotte und dazu eine hochmoderne Superwaffe zu bauen? Woher hatten sie die Mittel dafür? Waren sie nicht Bergbausklaven, die von ihren romulanischen Wachen auf primitivstem Niveau gehalten wurden? Oder haben sie einfach die Technik der Romulaner geklaut? Sah eigentlich nicht so aus.

 

Was solls – genug gemeckert :-). Trotz aller Löcher in der Logik hat “Nemesis” auch Pluspunkte zu verbuchen. Die Actionszenen sind einmalig und die Stelle, wo der Sandbuggy in die Shuttlerampe der Enterprise geflogen ist – einfach klasse! Die telepathische Vergewaltigung Deanna Trois und die Rückblicke in Shinzons von Gewalt beherrschte Kindheit fand ich ebenso beeindruckend wie den grausamen Mord an den romulanischen Senatoren. Die Hochzeitsszene war gut gelungen – nicht zu lang und nicht zu kurz. Wenn sie noch auf Betazed vorbeigeschaut hätten, wäre der Film wohl kaum ab 12 gewesen :-).

Überhaupt gefiel mir der Anfang sehr gut. Er hatte die richtige Mischung aus Action (Sandbuggys), Gefühl (Will und Deanna), Horror (das Attentat auf die romulanischen Senatoren), Menschlichkeit und Humor. Leider hat die Action gegen Ende alles andere zurückgedrängt und ich hatte das dumme Gefühl, dass die Macher in erster Linie Raumschiffe zerschreddern wollten. Ein oder zwei Raumschlachten weniger – und man hätte trotz der begrenzten Länge ein paar zusätzliche Hintergrundinfos unterbringen können.

 

Für mich ist Nemesis nicht gerade der beste aller Star-Trek-Filme, aber auch nicht der schlechteste. Alles in allem ist es – trotz vielversprechender Story – ein Film der verschenkten Möglichkeiten. Es wurde die Möglichkeit verschenkt, mehr über die Romulaner zu erfahren, es wurde die Möglichkeit verschenkt, die Remaner zu einem interessanten Gegner zu machen, und auch die Möglichkeit, Data einen würdigen Abgang zu bereiten.

Aber das ändert nichts daran, dass wir im Kino unseren Spaß hatten, denn unterhaltsam und mitreißend ist der Film allemal.

Dennoch hätte ich etwas mehr Klasse erwartet für die “letzte Reise einer Generation”.

 

© 2003 by Adriana Wipperling

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