Eine für Alle

Die USS Defender steht kurz vor der Vernichtung. Ein grausames Schicksal droht Captain Lairis. Doch dann geschieht etwas völlig Unerwartetes …

Star Trek Short Story von Adriana Wipperling, Neufassung vom Dezember 2004

Botschafterin Lwaxana Troi trommelte ungeduldig mit den Fingern gegen die Wand. „Es ist schlimm genug, dass ich nach Betazed fliegen muss, um die Kapitulationsbedingungen für meine Welt auszuhandeln”, protestierte sie entnervt. „Ist es da wirklich nötig, dass Sie uns an allen Ecken und Enden Blut abzapfen?”
Lieutenant Commander Jeremy Prescott, Sicherheitschef der U.S.S. DEFENDER, tauschte ein amüsiertes Lächeln mit Lwaxanas Begleiterin. Die junge Frau hatte sich bisher nicht zu Wort gemeldet, doch Prescott spürte ihre Präsenz selbst dann, wenn er sie nicht ansah. Und er vermied es möglichst, sie anzusehen, denn sonst hätte er sie pausenlos mit offenem Mund anstarren müssen. Sie trug ein knöchellanges, dunkelblaues Brokatkleid, in dem sie wahrhaft majestätisch wirkte. Langes, rotes Haar fiel in üppigen Wellen über ihre Schultern. Die leuchtend grünen Augen, die makellose helle Haut und die zarten Gesichtszüge vollendeten ihre außergewöhnliche Schönheit.
„Es geht leider nicht anders, Ma’am … die Vorschriften.”
Lwaxana verdrehte die Augen. „Ja, natürlich: Vorschriften, Regeln, Arbeit … ihr Sternenflottenoffiziere seid doch alle gleich. Dabei sehen Sie aus, als bräuchten Sie dringend Ferien, mein Junge!”
„Ferien!” rief Prescott verständnislos. „Bei allem Respekt – es ist Krieg!”
„Wie könnte ich das nur eine Minute vergessen!” brauste die Betazoidin auf. „Meine Heimat liegt in Trümmern, diese abscheulichen Vorta und Jem’Hadar sind überall auf dem Planeten und was sie meinen Leuten antun … ich mag gar nicht daran denken und ich werde zusehen, dass ich das Schlimmste verhindern kann!”
„Es tut mir Leid, Ma’am”, erwiderte Prescott ehrlich.
Lwaxana winkte ab. „Sie können ja nichts dafür, dass das ganze Universum paranoid und wahnsinnig geworden ist.”
„Die Bluttests sind leider nötig, damit …”
„Damit sich keine Formwandler einschleichen – ich weiß”, unterbrach sie ihn ungnädig. Dann wurde ihre Miene hart. „Dieser Quatsch konnte auch nicht verhindern, dass Betazed erobert wurde!”
Prescott wusste diesem Argument nichts entgegenzusetzen. Er zuckte traurig die Achseln, während er das Röhrchen mit Lwaxanas Blutprobe gegen das Licht hielt. „Captain Lairis würde …”
„… unseren hochgeschätzten Gast ohne Bluttest nicht einmal auf die Toilette lassen”, vollendete eine melodische weibliche Stimme den Satz. Eine gut aussehende schlanke Frau, die ihr langes dichtes Haar zu einem schlichten Zopf geflochten hatte, kam der Botschafterin entgegen. Sie war mit Sicherheit noch keine vierzig Jahre alt und ihre ebenmäßigen Gesichtszüge hätten so manchen betazoidischen Hofmaler inspiriert … doch Lwaxanas geübter Blick erkannte, dass das glänzende Kastanienbraun ihrer Haare nicht echt war.
„Captain Lairis Ilana, nehme ich an …”
„Willkommen an Bord, Botschafterin Troi”, gab die Kommandantin der DEFENDER zurück.
„Captain Lairis – das ist übrigens meine Adjutantin Kara LeCroix”, sagte Lwaxana.
Prescott erlaubte sich ein kesses Zwinkern. „Eine Französin also …”
„Ja, so kann man es nennen.” Ihr Lächeln war schwer zu deuten.
„Nun, das werden wir ja gleich sehen …” Prescott schmunzelte.
Täuschte er sich oder stahl sich ein Anflug von Panik in die schönen grünen Augen?
„Wenn der kleine Blutegel sich endlich von Karas Dekolleté losreißen kann, würde ich gern mein Quartier sehen, Captain”, drängelte Lwaxana.
„Wir werden Sie im Bunker unterbringen”, erwiderte Lairis kühl. Lwaxanas Standesdünkel ließ sie unbewusst zur Gegenwehr übergehen.
Die Botschafterin verzog das Gesicht. „Bunker? Das klingt ja schrecklich!”
„So nennen wir den Schutzraum für Zivilpersonen.”
„Ist es dort auch wirklich sicher?”
„Für gewöhnlich ja. Wenn allerdings der Warpkern explodiert, müssen Sie in eine Rettungskapsel steigen. Das ist leider genauso unvermeidlich wie die Sicherheitskontrollen durch meine …” Ihre grünen Augen blitzten kampflustig auf. „Blutegel.”
„Captain, Sie verstehen es wirklich, einer Tochter des Fünften Hauses Freude zu bereiten!”
„Sie wollten mit der DEFENDER fliegen, weil es das beste und schnellste Kriegsschiff der Sternenflotte ist”, entgegnete Lairis mit sanfter Ironie. „Kriegsschiffe haben nun mal die dumme Angewohnheit, in Kämpfe verwickelt zu werden. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Flug!”
„Sie sind eine Pessimistin”, seufzte Lwaxana.
„Ich bin Bajoranerin, das ist kulturell bedingt.” Ein kleines Lächeln zuckte um die Mundwinkel des Captains. „Auch wenn Sie mit dem Zimmerservice auf meinem Schiff nicht zufrieden sind, fühle ich mich geehrt, Sie an Bord zu haben, Botschafterin.”
„Irgendwie meinen Sie das sogar ehrlich. Trotzdem fürchten Sie, dass ich mit Ihrem Ersten Offizier anbändeln könnte”, gab Lwaxana nüchtern zurück. „Aber keine Sorge – er gehört Ihnen.”
Telepathen! dachte Lairis genervt, bevor sie die Betazoidin zuckersüß anlächelte. „Sie werden gar keine Gelegenheit haben, mit meinem Ersten Offizier anzubändeln, weil Sie nämlich brav in Ihrem Bunker bleiben werden!”
Prescott musste grinsen, als er dem Gespräch der beiden Frauen zuhörte. Der Humor seines Captains bewegte sich oft an der Grenze zur Boshaftigkeit oder zum schlechten Geschmack … Er prüfte Karas Blutprobe mit kritischen Augen, bevor er sie an einen Untergebenen weiter reichte. Der Fähnrich warf das Röhrchen in eine Abfalltüte, damit war der Fall für ihn erledigt.
Lwaxana wirkte mit einem Mal bleich und erschöpft. Sie massierte ihre Schläfen und atmete schwer. „Alles in Ordnung, Botschafterin?” fragte Lairis besorgt.
Lwaxanas Lider flatterten. Sie taumelte, und wenn Prescott sie nicht aufgefangen hätte, wäre sie gestürzt. „Meine Güte!” entfuhr es Lairis. „Kommen Sie, wir bringen Sie auf die Krankenstation.”
„Nein, vielen Dank, das ist nicht nötig!” entgegnete die Betazoidin so energisch, dass selbst der Captain nachgab. „Ich bin nur müde und überreizt, das ist alles. Seit Betazed angegriffen wurde, hab ich keine Nacht richtig geschlafen.”
Lwaxana spürte das ehrliche Mitgefühl des Captains und lächelte warm.
„Prescott, Sie begleiten die beiden Damen in den Schutzraum.”
Der Sicherheitschef kam dem Befehl mit großem Eifer nach.

Als Lairis auf die Brücke zurückkehrte, verhieß die düstere Miene ihres Ersten Offiziers nichts Gutes. „Feindkontakt?” fragte sie scharf.
„Cardassianer in Sektor 233-C”, antwortete Commander Jerad Kayn. „Zwei Galor-Class-Kreuzer und eine recht imposante Kampffliegerstaffel. Eben aus dem Subraum aufgetaucht.”
„Kurs auf Betazed, Maximum Warp! Umfliegen Sie Sektor 233-C!”
„Die Cardies haben uns längst geortet und fliegen in Angriffsformation auf uns zu.”
„Roter Alarm! Wir tarnen uns!”
„Die Tarnvorrichtung ist hinüber”, erklärte der Chefingenieur, Lieutenant Marc van de Kamp.
„Lieutenant, Ich hatte Ihnen befohlen, sich darum zu kümmern!”
„Es tut mir Leid, Captain, das schaffen wir nicht alleine. Dazu müssen wir auf eine Sternenbasis.”
Lairis schluckte mit größter Willenskraft einer Schwall bajoranischer Flüche herunter. Als ihr Blick auf den Sichtschirm fiel, wurde ihr ziemlich mulmig zumute. Wie ein Schwarm dunkler Raubvögel näherten sich die cardassianischen Schiffe der DEFENDER.
„Wie lange dauert es, bis sie in Waffenreichweite kommen?”
Vielsagende Blicke streiften Captain Lairis. In manchen Augen spiegelte sich Todesangst wieder. „Zehn Minuten … maximal”, antwortete Commander Kayn düster.
Ich bin doch nicht übergeschnappt und lasse mich auf ein Kräftemessen mit einer ganzen Cardie-Flotte ein! entschied der Captain. Schon gar nicht mit der Botschafterin an Bord!
„Machen wir, das wir hier wegkommen!” befahl sie und fügte in Gedanken hinzu: Hoffentlich sind wir schnell genug! Denn wenn nicht … Es wäre ihr Ende.

* * *

Sie waren nicht schnell genug gewesen. Das Dominion hatte die Cardassianer mit modernsten Waffen, Schildverstärkern und Warpkern-Overdrives ausgerüstet, mit Kampffliegern, die in Puncto Feuerkraft beinahe der DEFIANT Konkurrenz machen konnten …
„Funken Sie ein Notsignal auf allen Föderations-Frequenzen!” ordnete Lairis an.
„Captain, das nächste Schiff ist über vierzig Lichtjahre entfernt …”
„Ich weiß.” Ein Schatten huschte über ihr Gesicht. „Tun Sie es trotzdem, Prescott!”
Der Kampf dauerte viele Stunden. Ein Energiestoß aus der Schildphalanx hatte die Relais der Warpgondeln überlastet, nun trieb die DEFENDER manovrierunfähig im All.
„Quantentorpedos, Kreuzfeuer!” Scheinbar ungerührt beobachtete Lairis, wie drei cardassianische Jagdflieger in Flammen aufgingen. Blieben noch mindestens dreißig …
Sie aktivierte den Com-Kanal zum Maschinenraum. „Lieutenant, was macht der Warpantrieb?”
Der junge Ingenieur seufzte leise. „Wir müssen mehrere hundert Relais auswechseln, Captain. Dafür brauchen wir mindestens zwei Stunden, fürchte ich.”
„Marc, Sie haben höchstens noch eine Stunde Zeit bis zum großen Knall!” Ihre Stimme war eindringlich und ließ keine Ausrede gelten. „Sie müssen sich etwas einfallen lassen – und ich weiß, Sie schaffen es! Lairis Ende.”
Die Brücke glich einem Trümmerhaufen und ein beißender Gestank lag in der Luft. Es roch penetrant nach Qualm … geschmolzenem Kunststoff … verbranntem Fleisch. Die Hauptenergie war ausgefallen, nur die fahle Notbeleuchtung spendete noch etwas Licht. Und die heiße grünliche Flamme, die aus der geborstenen Steuerkonsole emporloderte …
Lairis hatte schon viele Tote gesehen, doch der Anblick des Steuermannes bereitete ihr Magenschmerzen. Sein Gesicht war eine einzige Brandwunde, sein Mund zu einem stummen Schrei geöffnet … er starrte an die Decke, mit lidlosen Augen … Für wenige Sekunden flackerte die Hauptbeleuchtung wieder auf. Im hellen Neonlicht erkannte Lairis, dass der Mann gar keine Augen mehr hatte … nur noch leere, verbrannte Höhlen.
Der Erste Offizier Jerad Kayn zog seine Uniformjacke aus und deckte sie über das Gesicht des toten Crewman. „Danke, Jerad”, murmelte die Bajoranerin.

Funken stoben aus der Waffenphalanx, Lairis hörte einen schrillen Schrei. Offenbar hatte sich die arme Commander Karthal beide Hände verbrannt. „Ich bedauere, Ihnen mitteilen zu müssen, dass wir soeben die Steuerbordphaser verloren haben”, berichtete sie mit säuerlicher Miene. „Außerdem die Torpedo-Abschusskontrolle und die Langstreckensensoren.”
Prescott eilte mit dem Med-Kit herbei und Karthal lächelte ihn dankbar an.
„Was bleibt uns dann überhaupt noch?” fragte Lairis – und ahnte, dass ihr die Antwort nicht gefallen würde.
„Die Selbstzerstörung.”
„Ich bin begeistert!” konterte Lairis trocken.
„Super, Karthal! Cardassianischer Humor ist genau das, was uns jetzt aufbaut!” fiel Presscott ein.
„Das sollte kein Witz sein”, entgegnete sie. „Ich kenne die Vorgehensweise des cardassianischen Militärs leider sehr genau. Sie schießen so lange auf uns, bis wir uns ergeben oder unsere Schilde zusammenbrechen. Dann beamen sie die Überlebenden heraus, um sie zu foltern und nach einem Aufsehen erregenden Schauprozess öffentlich hinzurichten. Natürlich wären sie auch nicht abgeneigt, das Schiff auseinander zu nehmen und seine neuartige Tarnvorrichtung in die Finger zu kriegen – selbst wenn sie zurzeit nicht funktioniert.”
Lairis nickte betrübt. Karthal hatte bereits am eigenen Leib erlebt, wozu ihre Leute fähig waren. Sie war eine Cardassianerin, die vor dem Krieg als Austauschoffizier bei der Sternenflotte gedient hatte. Als Cardassia sich dem Dominion angeschlossen hatte, war sie übergelaufen.
Captain Lairis überlegte angestrengt, was sie tun sollte. Die Cardassianer hatten ihr Schiff von allen Seiten eingekreist, Phaser und Torpedos ließen den Boden unter ihren Füßen erbeben, es gab Energieausfälle auf allen Decks, Brände, Explosionen … die Schilde waren auf zwölf Prozent gefallen und es war nur eine Frage der Zeit, bis sie endgültig versagen würden. Verstärkung war nicht in Sicht. Die Idee, ihre Besatzung in Rettungskapseln zu evakuieren, verwarf Lairis ganz schnell wieder. Für die cardassianischen Jagdflieger wären Rettungskapseln nichts weiter als willkommene Zielscheiben. Oder – und das war die weitaus schrecklichere Alternative – die Kreuzer-Kommandanten würden sie per Traktorstrahl an Bord holen und die Insassen zu ihren Gefangenen machen.
Wahrscheinlich hatte Karthal Recht, und die Selbstzerstörung war der einzige Weg, um ihr Leben in Freiheit und Würde zu beenden.
Lairis atmete flach. Alles in ihr sträubte sich, einen solchen Befehl zu geben … ihre gesamte Crew zum Tode zu verurteilen … Dann wurde sie abgelenkt: Ein Teil der Wand senkte sich wie in Zeitlupe. „Jerad!” brüllte sie.
Als der Trill nicht rechtzeitig reagierte, packte sie seinen kräftigen Körper und zerrte ihn beiseite.
Zu spät. Eine Lawine aus Metall krachte auf den armen Mann nieder. Sein Schrei ließ Lairis gequält zusammenzucken, durchdrang jede Faser ihres Körpers und ihrer Seele.
„Commander Kayn!” rief Prescott schrill. „Captain, was ist passiert?”
Jerad lag mit schmerzverzerrtem Gesicht unter einem schweren Trümmerteil. „Meine Beine …” stieß er hervor. „Ich glaube, sie sind gebrochen.”
„Prescott, haben wir einen Knochenregenerator hier oben?”
„Irgendwas … ist in mir zerrissen”, keuchte Jerad, bevor der Sicherheitschef antworten konnte.
„Oh nein!” rutschte es Lairis heraus. Die Sorge stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben.
„Schon gut, Ilana …” Für einen Moment fürchtete Lairis, er würde vor Schmerzen ohnmächtig werden. Aber er versuchte, zu lächeln, was allerdings in einer Grimasse endete. „Sieh es mal so: Es ist wahrscheinlich nur meine Leber, die jetzt Matsch ist, und nicht mein Symbiont.”
Mit einer Hand strich sie über seine Wange und spürte, wie er die Zähne zusammenbiss, mit der anderen Hand berührte sie ihren Kommunikator. „Lairis an Krankenstation …”
„Tygins hier”, ertönte die dunkle Stimme des Arztes.
„Ich brauche ein Notfallteam auf der Brücke!”
Dr. Tygins seufzte hörbar. „Captain, die Meldungen prasseln von allen Seiten auf mich ein – und die Turbolifte funktionieren immer noch nicht.”
„Was ist mit dem Transporter?” wollte Prescott wissen.
„Der funktioniert, aber das Ding verbraucht viel zu viel Energie”, erklärte Lairis. „Ein Beamvorgang, und unsere Schilde krachen zusammen wie eine hohle Buttercremetorte.”
„Wir sind am Ende, nicht wahr?” Karthal schaute resigniert zu ihrem Captain herüber.
„Das werden wir ja sehen”, entgegnete Lairis zuversichtlicher, als ihr zumute war. „Ich gebe dieses Schiff und diese Crew nicht auf, solange es noch einen Schimmer von Hoffnung gibt! Und wenn wir bis zum letzten Atemzug kämpfen müssen, werden wir das tun! Aber das Leben der Botschafterin hat oberste Priorität … Ich wäre also dankbar für Vorschläge, wie wir sie heil aus diesem Schlamassel rauskriegen.”
„Ich habe mit Lwaxana gesprochen: Sie wäre mit der Selbstzerstörung einverstanden, wenn es nicht anders geht. Allerdings musste ich ihr hoch und heilig versprechen, Kara in Sicherheit zu bringen, obwohl ich keine Ahnung habe, wie ich das bewerkstelligen soll …” Prescott atmete tief durch. „Captain, niemand von uns ist scharf darauf, ins Gras zu beißen, aber ich fürchte, Karthal hat recht: Es gibt keinen anderen Weg.”

Lairis sank schwer in ihren Sessel. Ihr trauriger Blick ruhte für eine Sekunde auf Prescott, dann auf jedem anderen Mitglied der Brückencrew. Ihre Kampfgefährten, ihre Freunde … sie waren verloren.
„Selbstzerstörung aktivieren. Autorisation Lairis …”
„Captain, die Cardassianer rufen uns”, meldete der Kommunikationsoffizier.
Lairis richtete sich kerzengerade auf. „Auf den Schirm!”
Das überlebensgroße Gesicht eines ziemlich bulligen Cardassianers grinste ihnen siegesgewiss entgegen. „Ah, Captain Lairis! Sie sehen ziemlich mitgenommen aus, wie ich feststelle – und Ihr Schiff ist auch nicht gerade im besten Zustand … Ich wundere mich, dass sie überhaupt so lange durchgehalten haben – aber ich hätte wissen sollen, dass ihr Bajoraner zähe kleine Quälgeister seid. Trotzdem ist Ihr Widerstand kein aussichtsreiches Unterfangen sondern eher ein Akt … verzweifelte Sturheit. Also seien Sie vernünftig und kapitulieren Sie!”
„Ich entscheide selbst, was vernünftig ist”, gab Lairis zurück. „Wie wär’s, wenn Sie sich erst mal vorstellen, bevor Sie uns abschießen? So verlangt es die Höflichkeit – selbst bei Cardassianern.”
„Hat die Verräterin Karthal das behauptet?” Die Augen des Cardassianers verengten sich zu schmalen Schlitzen. „Ich hatte angenommen, Sie erinnern sich an mich – obwohl das Gedächtnis der Bajoraner erwiesener Maßen nicht allzu viel wert ist …”
Lairis betrachtete das kantige, verkniffene Gesicht mit den markanten Schuppenleisten und Schädelwarzen. Ihr Verstand wehrte sich erfolglos gegen die Erinnerungen, die aus der Abfallgrube ihres Bewusstseins quollen … eine Explosion, die eine protzige cardassianische Villa auseinander riss … Trümmer flogen Lairis um die Ohren … und nicht nur Trümmer … da war auch ein kleiner Körper … viel zu klein, viel zu zerbrechlich … die Leiche eines cardassianischen Kindes, ein kleines Mädchen, dem die Explosion sämtliche Gliedmaßen abgerissen hatte …
Das Entsetzen von damals drohte Lairis zu überwältigen, die Schuldgefühle, der Ekel vor sich selbst … „Gul Medak”, stellte sie tonlos fest. Die Brückenoffiziere warfen ihr fragende Blicke zu.
„Ah, Sie wissen also noch, wer ich bin”, erwiderte der Cardassianer kalt. „Ich für meinen Teil habe ganze drei Jahre und vier Monate gebraucht, um herauszukriegen, wer Sie sind. Aber da hatten Sie Bajor leider schon verlassen, sehr bedauerlich … nun, Sie verstehen sicher, dass ich mir diese Chance, mit Ihnen abzurechnen, um keinen Preis entgehen lassen werde!”
Karthals Gesicht schien bei diesen Worten noch eine Nuance bleicher und grauer zu werden.
Lairis starrte auf den Bildschirm, stumm und regungslos wie eine Wachspuppe. Auch Prescott, der gerade Jerad ein Schmerzmittel gespritzt hatte, verharrte mitten in der Bewegung. Lieutenant Vixpan, der Kommunikationsoffizier, knurrte wütend. Sein Fell war an mehreren Stellen angesengt und er hatte noch nie so wild und gefährlich ausgesehen. Er richtete seine elegant gebogenen Hörner auf Gul Medak, als wollte er ihn rammen und aufspießen.
„Vergessen Sie es!” stieß Lairis hervor. „Eher würde ich mein Schiff zerstören!”
Der Cardassianer lächelte süffisant. „Warum gleich so destruktiv, meine Liebe? Hören Sie sich doch erst mal meinen Vorschlag an …”
„Sie können nichts vorschlagen, was mich auch nur annäherungsweise interessiert!”
„Ihre Crew ist mir egal”, fuhr der Gul ungerührt fort. „Ich will weder den Trill noch den Ziegenbock oder sonst irgendjemanden … höchstens das Schiff, wenn noch irgendwas Brauchbares davon übrig ist. Ja, selbst auf die cardassianische Verräterin könnte ich verzichten. Aber nicht auf Sie!”
„Bieten Sie mir einen Handel an?” fragte Lairis mit einem Anflug von Hoffnung in der Stimme.
„Captain!” zischte Karthal. „Lassen Sie sich bloß nicht darauf ein!”
Welche Wahl habe ich? dachte Lairis betrübt. Sie ahnte, was der Gul verlangen würde, und bei der Vorstellung legte sich die Angst wie ein feuchtkaltes Handtuch um ihr Inneres.
„Beamen Sie auf meinen Kreuzer – allein und unbewaffnet, versteht sich. Seien Sie mein Gast und lassen Sie uns in angemessener Atmosphäre über alte Zeiten diskutieren. Dann verzichten wir eventuell darauf, Ihre kostbare DEFENDER in Stücke zu schießen.”
„Sie verfluchter Mistkerl!” krächzte Jerad. Die anderen waren schlicht sprachlos.
Der Cardassianer lehnte sich entspannt zurück, so als plauderte er bei einem Glas Rotblatttee mit guten Freunden. „Nun, was sagen Sie, Lairis?”
„Ich denke darüber nach.”
„Captain!” rief Karthal fassungslos, die ausdrucksvollen schwarzen Augen weit aufgerissen.
„Commander Prescott, Sie haben die Brücke.”
Lairis wandte sie sich ungelenk zum Gehen. Als die Tür sich hinter ihr schloss, spürte sie immer noch die besorgten Blicke ihrer Crew im Rücken.

* * *

Der Eingang zum Bereitschaftsraum des Captains stand offen, wie immer. Zum ersten Mal wünschte Lairis, sie könnte ihn verschließen, aber der Mechanismus war defekt.
Als Bajoranerin war es ihr schon immer schwer gefallen, ihre Gefühle zu kontrollieren – nun zerbröselte auch der letzte Rest ihrer sorgfältig polierten, tapferkeitsmedallien-geschmückten Fassade … Darunter war sie ein Wrack.
Einer ihrer Freunde beim Bajoranischen Untergrund war den Cardassianern in die Hände gefallen. Sie hatte seine Leiche identifiziert … ein entsetzlicher Anblick, der sie mmer noch in ihren Alpträumen verfolgte …
Sie selbst war im letzten Jahr von Verbündeten des Dominion auf Halandra VI gefangen genommen worden. Es hatte vier Tage gedauert, bis es ihrer Crew gelungen war, sie zu befreien – die schlimmsten, qualvollsten und längsten vier Tage ihres Lebens … in der Gewalt eines Feindes, dem sie vollkommen wehrlos ausgeliefert war … der jeden Stolz, jede Willenskraft, jede Lebensfreude in ihr abtöten wollte. Sie war so kurz davor gewesen, ihren Peinigern sämtliche Zugriffscodes für den Hauptcomputer der USS Defender zu verraten … ihnen sogar die Interphasen-Tarnvorrichtung zu überreichen … in Geschenkpapier gewickelt, mit einer goldenen Schleife …
Ein gnädiges Koma hatte sie davor bewahrt. Ihr Körper war nackt und voller Brandmale gewesen, als das Außenteam der DEFENDER sie fand.
„Meine Crew ist es mir wert!” spornte sie sich an. Es sollte keine Rolle spielen, ob die Cardassianer sie bei lebendigem Leib zerstückeln würden … sie nacheinander vergewaltigen und ihr heiße Nadeln unter die Fingernägel bohren, wie die Kerle auf Halandra VI …
Irgendwie schaffte sie es bis zu ihrem Schreibtisch, riss eine Schublade auf, durchwühlte sie, warf achtlos auf den Boden, was sie nicht brauchte … Wen interessierte schon der Frontbericht der letzten Woche oder die optimale Pflege rigelianischer Gummiazaleen? Was sollte sie mit tannengrünem Lidschatten anfangen, wenn ihr dieser verfluchte Cardassianer bald die Augen ausstechen würde?
Dann fand sie endlich, was sie suchte: eine kleine flache Schachtel mit Beruhigungstabletten.
Ich bin wirklich ein wackerer Captain! dachte sie voller Selbstironie, während sie das Doppelte der empfohlenen Dosis mit Wasser herunterspülte. Wenigstens hörten ihre Hände allmählich auf, zu zittern, das Bild des toten cardassianischen Mädchens verblasste vor ihren Augen … genau wie die Erinnerungen an ihre Gefangenschaft … ihre Beine fühlten sich nicht länger an, als bestünden sie aus Pudding.
Dafür suchten berechtigte Zweifel sie heim. Welche Garantie gab es, dass Medak sein Wort halten und ihre Mannschaft verschonen würde? „Er hat ja noch nicht einmal sein Wort gegeben, der alte Schleimkriecher!” dachte sie.
Ihr war vollkommen klar, dass sie nach einem Strohhalm griff – aber wenn sie es nicht tat … sie würde sich über den Tod hinaus Vorwürfe machen.
Mit diesem Gedanken im Hinterkopf nahm sie ein Hypospray und spitzte sich ein starkes Schmerzmittel mit Depotwirkung. „Das dürfte die Begegnung mit Gul Medak wesentlich erträglicher machen”, sagte sie zu sich selbst und vergrub das Gesicht in ihren Händen.

„Captain, bitte … Sie sollten sich den Cardassianern nicht ausliefern. Das wäre ein schrecklicher Fehler”, erklärte eine fremdartige und dennoch vertraute Stimme eindringlich, ja beinahe flehend.
Lairis schreckte hoch und blickte direkt in zwei strahlend blaue Augen mit schmalen schlitzartigen Querpupillen. „Vixpan? Was machen Sie hier? Scheren Sie sich zurück auf Ihren Posten, Lieutenant!” Sie wollte distanziert und energisch klingen, aber es gelang ihr nicht sehr gut.
Vixpan legte den Kopf leicht schräg und fuhr sich mit der Zunge über die Nasenspitze – ein Zeichen dafür, dass er höchst beunruhigt war. „Meine Aufgabe ist die Kommunikation – und ich hielt es für wichtiger, mit Ihnen zu kommunizieren, als mit dem Feind. Bei allem Respekt – Sie scheinen in schlimmer seelischer Verfassung zu sein, Captain!”
„Hat Jerad Sie geschickt? Prescott? Karthal?”
„Diese Crew ist meine Herde! Es war eine schweigende Übereinkunft.”
„Manchmal muss ein Leben geopfert werden, um viele zu retten”, erwiderte Lairis ruhig. „Counselor T’Liza würde mir zustimmen, dass meine Entscheidung vollkommen logisch ist.”
„Die Counselor mag auf Vulkan sein, aber ich bin sicher, dass sie dieses Opfer niemals zulassen würde”, gab Vixpan zurück. „Keiner von uns lässt es zu! Wir stehen hinter Ihnen – egal, was kommt!”
„Diese Crew ist auch meine Herde, Fähnrich”, erwiderte sie ernst und hielt nur mit Mühe die Tränen zurück. „Ohne euch wäre ich nichts!”
Vixpan betrachtete sie nachdenklich. „Darf ich offen sprechen?”
„Natürlich.”
„Dieser Medak … er will eine Rechnung aus der Besatzungszeit begleichen, nicht wahr? Wir alle vermuten das … Er ist nur hinter Ihnen her. Er verlangt nach Rache.”
Die Miene des Captains versteinerte. „Ich habe seine Familie ermordet.”
„Sie reden von Mord … das ist ungewöhnlich. Sie waren Widerstandskämpferin. Die Cardassianer hatten kein Recht, auf Ihrem Planeten zu sein.”
„Nein, hatten sie nicht. Aber ich bin nicht zum Widerstand gegangen, um kleine Kinder umzubringen, verdammt noch mal!” Sie schluckte, bevor sie fortfuhr. „Ich habe das nicht gewollt! Wirklich nicht – bei den Propheten! Ich … wir waren falsch informiert. Der Gul war überhaupt nicht zu Hause, als wir seine Villa in die Luft sprengten … nur seine Familie … seine Frau und seine kleine Tochter …” Dann flüsterte sie kaum hörbar: „Ich habe mich dafür gehasst.”
„Ist das vielleicht der wahre Grund, weshalb Sie zu den Cardassianern rüber beamen wollen? Weil Sie sich schuldig fühlen?”
„Unsinn, Lieutenant! Gul Medak war verantwortlich für ein Dutzend Massaker in meiner Heimatprovinz! Ich mag nicht zählen, wie viele unschuldige Zivilisten und Kinder seinetwegen sterben mussten! Wie Sie schon sagten: Die Cardies waren selbst schuld, und zwar alle! Hätten sie darauf verzichtet, unsere Welt auszuplündern und uns Bajoraner zu quälen, gäbe es viel weniger Probleme in diesem Quadranten … Aber nein – sie mussten auch noch ihre Ehefrauen und ihre schuppigen Krabbelkinder angeschleppt bringen …” Der spröde Klang ihrer Stimme führte ihre harten Worte ad absurdum.
Vixpan senkte den Kopf wie ein Stier im Angesicht eines Toreros, die Hörner angriffslustig vorgestreckt. Plötzlich wich jeder Zorn aus der Miene des Captains.
„Ach Vixpan, machen Sie es für mich nicht schwerer, als es ohnehin schon ist!”
„Man nennt mich nicht umsonst einen sturen Bock, Captain.” Vixpan scharrte demonstrativ mit den Hufen. „Ich werde keinen Millimeter vom Fleck weichen!”
Ein flüchtiges Lächeln erschien auf Lairis Ilanas Gesicht, aber der Ausdruck ihrer Augen blieb ernst und traurig. „Es ist zwecklos, mich umzustimmen – und das wissen Sie!”
„Mir ist klar, dass ich Sie nicht mit Worten aufhalten kann – aber mit einem Phaser, der auf Betäubung eingestellt ist …”
„Das kann ich auch!” Blitzschnell zog Lairis ihre eigene Waffe, ein Energiestrahl gleißte, Vixpans Körper schlug auf dem Boden auf.
Mit einem Ausdruck des Bedauerns beugte sie sich über ihren bewusstlosen Kommunikationsoffizier, umfasste mit beiden Händen seine Hörnchen. Es war die Abschiedsgeste seines Volkes. „Tut mir Leid, mein Guter. Dafür darfst du auch mein Zyperngras aufessen … wenn es noch eine Gelegenheit dazu gibt.”
Lairis erhob sich mit steifen Gliedern, plötzlich dachte und fühlte sie gar nichts mehr. Es kam ihr vor, als wäre sie selbst und nicht Vixpan betäubt worden.

„Sie haben doch nicht etwa erwartet, dass wir sie einfach gehen lassen, Captain!” Die Stimme einer Frau, klar und hart wie Bleikristall, brachte sie dazu, in der Bewegung innezuhalten. Belora Karthal stand vor der Tür, Streifen von Blut und Dreck zogen sich über ihr schönes Gesicht, doch ihre Gestalt wirkte imposanter denn je. „Wie ich sehe, haben Sie den armen Vixpan ganz erfolgreich außer Gefecht gesetzt … aber das wird Ihnen mit mir nicht so ohne weiteres gelingen und außerdem …” Sie hob die Hand und ein Kraftfeld blitzte auf. „Kommen Sie hier nicht raus.”
„Es gibt Stromausfälle auf dem ganzen Deck – und Sie verschleudern ein paar tausend Gigawatt, um Ihren Captain einzusperren?” schimpfte Lairis mit einem finsteren Blick. „Sind Sie eigentlich von allen guten Geistern verlassen, Karthal? Oder stammt diese Schnapsidee von Prescott?”
„Ich handle im Auftrag von Commander Prescott, aber das mit dem Kraftfeld war meine Idee. Und ich finde sie brillant!” Ein kleines Lächeln umspielte Karthals volle, mahaghonibraun beschminkte Lippen. „Womöglich bleibt das Feld nicht lange stabil, für diesen Fall stehen alle Crewmitglieder, die sich nicht um das Schiff und die Verwundeten kümmern müssen, bei Fuß, um Sie vor Ihrem eigenen irregeleiteten Heldenmut zu retten.”
„Heldenmut … Sie haben ja keine Ahnung!” erwiderte die Kommandantin leise. Was nützte es, jetzt noch Stärke vorzuspielen?
Karthal warf einen vielsagenden Blick auf die Tablettenschachtel. „Ich habe dieses Zeug auch genommen, weil ich mit meinen Angstzuständen nicht fertig wurde. Aber es ist kein Ersatz für eine ausgedehnte Therapie – das habe selbst ich begriffen.”
„Ihre Selbsterkenntnis in allen Ehren – aber eine Therapie ist Luxus. Die Sternenflotte kann es sich nicht leisten, einen kampferfahrenen Offizier für Monate zum Kururlaub auf die Erde zu schicken.”
„Solange Sie noch kämpfen können, hat die Sternenflotte auch kein großes Interesse daran.”
„Sicher. Captain ist in diesen Zeiten bloß ein schönes Wort für Vier-Sterne-Kanonenfutter.”
„Ganz so unverblümt wollte ich es nicht ausdrücken.”
„Wie geht es Jerad?” fragte die Bajornerin sanfter.
„Sein Zustand ist stabil und Doktor Tygins kümmert sich um ihn.” Wieder lächelte Karthal. „Ihre Versuche, das Thema zu wechseln, sind aussichtslos.”
Lairis sah Karthal scharf in die Augen. Sie fühlte sich in die Defensive gedrängt, aber sie war zu gerührt, um sich wirklich zu ärgern.
„Tief im Inneren ahnen Sie doch, was Gul Medak Ihnen antun wird”, fuhr die Cardassianerin fort. „Bevor er Sie in seine kleine private Folterkammer verschleppt, wird er die DEFENDER zerstören, Sie zum Hauptbildschirm zerren, und Sie zwingen, dabei zuzusehen.”
„Diese Möglichkeit habe ich auch schon in Betracht gezogen”, erwiderte Lairis mit angespannter Miene. Für einen Moment war das blanke Entsetzen in ihren Augen aufgeflackert.
„Dann bleiben Sie bei uns!” Karthal holte tief Luft. „Am Anfang habe ich nur mit zusammengebissenen Zähnen unter Ihnen gedient, glauben Sie mir. Dummer Weise war Ihr Vorgänger in die ewigen Jagdgründe eingegangen und aus meiner Versetzung wurde nichts … niemand wollte eine cardassianische Überläuferin, niemand wusste, ob er mir trauen konnte …”
„Das wusste ich auch nicht.”
„Die Versuchung, eine Vertreterin Ihrer einstigen Besatzungsmacht nach Strich und Faden herumzukommandieren, muss ja enorm gewesen sein!”
„Ich habe meine Einstellung zu Ihnen geändert, das wissen Sie!”
„Und ich bin sogar bereit, für Sie zu sterben, zum Henker! Also werfen Sie sich diesem Medak nicht zum Fraß vor!”
„Das verstehen Sie erst, wenn Sie das Kommando über ein eigenes Raumschiff haben, Karthal”, wandte Lairis ein. „Die Chance, meine Crew zu retten, ist nicht sehr groß, aber sie ist vorhanden. Und das macht mir die Entscheidung leicht.”
Karthal musterte die Bajoranerin voller Skepsis. „Nach allem, was Sie auf Halandra VI durchgemacht haben?”
„Es ist meine Pflicht”, antwortete Lairis nur.
Karthal atmete zischend aus. „Und was ist mit uns? Ihre Pflicht ist es, für das Wohl Ihrer Crew zu sorgen – aber was denken Sie, wie wohl wir uns fühlen, wenn wir weiterleben dürfen …” Sie stockte für einen Moment. „Um diesen Preis! Sie sind ranghöher als ich, also kann ich Ihnen nur Vorschläge machen … und mein Vorschlag wäre, die Selbstzerstörung einzuschalten, solange sie noch funktioniert.”
„Es ist nicht jeder an Bord so lebensmüde wie Sie, Karthal”, versuchte Lairis zu scherzen. Doch die Argumente der Cardassianerin waren wie ein Messer, das jemand langsam in ihren Eingeweiden hin und her drehte. Karthal hatte Recht, verfucht, sie hatte Recht … Aber Lairis fühlte sich ebenso im Recht.
Dann fiel ihr etwas Seltsames auf: Die Alarmsirene heulte nicht länger und das Schiff hatte aufgehört, zu beben.
„Wir werden nicht mehr angegriffen”, stellte auch Karthal fest.
„Gul Medak ruft uns!” drang Prescotts Stimme aus dem Kommunikator.
„Ich komme auf die Brücke”, verkündete die Cardassianerin.
„Ach, Karthal …”
Sie wandte sich um. „Haben Sie noch irgendwelche Befehle für mich?”
„Nur einen: Sagen Sie Medak, er wird nicht viel Freude mit mir haben.”

Als Gul Medak auf dem Bildschirm erschien, lächelte er blasiert. „Ich freue mich, dass Sie sich endlich dazu durch gerungen haben, Ihren werten Captain meiner gewissenhaften Obhut zu überlassen.”
Ein verblüfftes Raunen ging durch die Brückencrew.
„Wie bitte?” rutschte es Prescott heraus.
Und beinahe auch Karthal. Doch ein untrügerischer Instinkt riet ihr, das makabere Spiel mitzuspielen …
„Ja, ich wollte Ihnen mitteilen, dass Captain Lairis soeben wohlbehalten auf meinem Schiff angekommen ist.”
„Wie Sie hören, sind die Untergebenen des Captains darüber nicht sehr glücklich, Medak.”
„Und Sie?”
Karthal antwortete mit einem süffisanten Lächeln: „Auf Leute wie mich mich ist eben kein Verlass.”

* * *

„Das kann nicht sein!” rief Lairis nun schon zum dritten Mal. „Das ist nicht möglich!”
Aber die Logbuchaufzeichnung bestätigte es schwarz auf weiß: Eine Person mit Captain Lairis Ilanas DNS war genau um 14.35 Bordzeit auf Gul Medaks Schiff gebeamt worden …
„Ich muss den Transporter überprüfen”, beschloss sie – und als Prescott keine Anstalten machte, das Kraftfeld um ihren Bereitschaftsraum zu deaktivieren, fügte sie energisch hinzu: „Sofort!”
„Bei allem Respekt, Captain, es sieht ganz so aus, als hätten wir trotz Bluttests und höchster Sicherheitsvorkehrungen einen Eindringling an Bord. Bevor ich Sie also rauslassen kann, müssen Sie erst beweisen, dass Sie nicht dieser Eindringling sind.”
Die Bajoranerin atmete tief durch. „Erinnern Sie sich noch, wie wir uns das erste Mal begegnet sind? Es war vor zwei Jahren in der Blue Planet Taverne. Ich saß am Tresen, Sie setzten sich zu mir … dann meinten Sie, dass ich schöne Augen hätte und wollten mich zum Essen einladen …” Sie lachte leise. „Es war Ihnen so peinlich, als sich herausstellte, dass ich ihr zukünftiger Captain bin.”
Prescott grinste verlegen und kratzte sich am Hinterkopf.
„Ich hab Ihnen damals gesagt, dass es nichts gibt, wofür Sie sich schämen müssen – und das sehe ich immer noch so”, entgegnete Lairis ernst.
Prescott atmete erleichtert auf und schaltete das Kraftfeld aus. „Gott sei dank, Sie sind es wirklich!”
Er schloss sie in seinem Überschwang sogar in die Arme.
„Ich möchte nur mal wissen, wen oder was der Chief zu den Cardies gebeamt hat …” über legte sie.
„Wer immer es war, hat Medak dazu gebracht, das Feuer einzustellen.”
Prescotts Kommunikator piepte und Prescott meldete sich.
„Commander, wir haben ein menschliches Lebenszeichen entdeckt – in Sektion 14D!” antwortete die aufgeregte Stimme von Belora Karthal.
„Was?” rief der Sicherheitschef geplättet. „Wie ist das möglich?”
„Ich habe Sektion 14D abgeriegelt”, ergänzte Lairis überflüssiger Weise. Wie konnte ein Mensch in Sektion 14D überleben, obwohl dort sämtlicher Sauerstoff durch ein Leck in der Außenhülle entwichen war?
„Ich schlage vor, wir benutzen ausnahmsweise den Transporter.”
Prescott nickte. „Einverstanden.”

Als die beiden Offiziere auf Deck 14 materialisierten, blieb ihnen vor Überraschung die Luft weg. Dabei hatten sie eigentlich genügend Luft – im Gegensatz zu der Person auf der falschen Seite des Notkraftfelds.
Kara LeCroix stand wie eine klassische Statue inmitten von Metalltrümmern. Hinter ihr klaffte ein großes Loch in der Wand. Ihre Kleid war nun schwarz und hauteng und verschmolz nahtlos mit dem Hintergrund. Es sah aus, als würde ihr Gesicht mit dem langen roten Haar körperlos im All schweben … Prescott schauderte. „Mein Gott, Kara, was machen Sie hier? Los, bringen Sie sich in Sicherheit, bevor Sie ersticken!”
Doch er begriff die schockierende Wahrheit im selben Augenblick, als Karas Stimme aus dem Com-System drang: „Meine Art braucht keinen Sauerstoff, Commander Prescott.”
„Zum Teufel, wer sind Sie? Was sind Sie? Was haben Sie vor?” Die Fragen sprudelten nur so aus Prescott heraus.
„Ich habe gar nichts vor”, antwortete sie ruhig. Der Unterdruck und die Weltraumkälte schienen ihr nicht das Geringste anzuhaben.
„Was sind Sie?” wiederholte er beharrlich.
„Ein Metamorph, eine Formwandlerin. Ein Wechselbalg. Wie immer Sie es nennen wollen.”
„Sie haben sich in mich verwandelt”, begriff Lairis. Die widersprüchlichsten Emotionen spiegelten sich auf ihrem Gesicht wieder. „Sie haben mir das Leben gerettet … uns allen!”
Prescott setzte zu einer Erwiderung an, aber sein Kommunikator meldete sich erneut.
„Gul Medaks Schiff ist soeben explodiert”, berichtete Karthal. „Es gibt keine Überlebenden.”
„Explodiert? Einfach so?” hakte Lairis nach. Sie wirkte zugleich verstört und erleichtert.
„Eine Überlastung des Reaktorkerns, wie es aussieht. Die Explosion hat auch den anderen Kreuzer schwer in Mitleidenschaft gezogen. Die Kampfflieger ziehen sich zurück.”
„Wir haben gewonnen!” jubelte Prescott. „Captain, wir sind gerettet! Vorerst jedenfalls …”
„Sie waren das!” Lairis wandte sich an Kara. „Sie sind ihren Bewachern irgendwie entkommmen, mit irgendeinem Formwandlertrick, und haben den Reaktor sabotiert …”
„Ja”, bestätigte Kara. „Und ich habe es wirklich nicht gern getan, das können Sie glauben!”
„Aber wie, zum Geier …”
„Ich habe nicht brav im Bunker gewartet. Ich war die Deckenverkleidung auf Ihrer Brücke.”
„Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll …”
„Sicher nicht, indem Sie das arme Ding noch länger im Vakuum schmoren lassen!” warf eine vorwurfsvolle Stimme aus dem Hintergrund ein.
Lwaxana Troi schritt würdevoll auf den Captain zu, obwohl ihr teures Gewand völlig zerknautscht war und ihre nagelneue blonde Perücke schief saß. „Bei den heiligen Ringen von Betazed – ich werde nie wieder auf allen Vieren durch einen Schacht kriechen!” verkündete sie mit theatralischer Geste. „Da drin kriegt man ja Platzangst und dieser Dreck … Sehen Sie nur, was aus meinem schönen Kleid geworden ist – ein Jammer!”
„Sie haben vielleicht Nerven!” entfuhr es dem Sicherheitschef. „Ihre entzückende Assistentin hat soeben gestanden, dass sie ein Wechselbalg ist!”
„Das weiß ich”, entgegnete Lwaxana unbeeindruckt. „Ich weiß es schon lange.”

* * *

„Kara, was Sie für mich getan haben, ist wahrscheinlich mehr, als ich verdient habe”, redete Lairis auf den Wechselbalg ein. „Sie brauchen mein Büro nicht aufzuräumen – wirklich nicht!”
Kara legte das Stück Deckenverkleidung, dass sie in der Hand hielt, fallen und zog die Nase kraus. „Entschuldigung, Captain – aber ich kann dieses Chaos einfach nicht ansehen, ohne …”
„Formwandler haben ein angeborenes Bedürfnis nach Ordnung”, erklärte Lwaxana nachsichtig und zwinkerte. „Ständig putzt und räumt sie hinter mir her und schmeißt meine Post weg! Wegen ihr hab ich einen besonders wichtigen Empfang des Staatsoberhauptes von Aramon versäumt, deshalb musste ich bei so einem albernen Ritual der Entschuldigung eine ganze Raktan-Pflanze verspeisen – und zwar roh. So ein Raktan-Stengel wird über zwei Meter hoch und schmeckt wie alte Socken in Senfsoße! Das war mit Abstand das Scheußlichste, was ich je …”
Kara warf ihrer Vorgesetzten einen schuldbewussten Blick zu. „Es tut mir Leid, Botschafterin Troi. Ich werde nie wieder etwas sortieren – nur noch auf Empfängen erscheinen und lächeln!”
Lwaxana stöhnte. „Du bist unmöglich, weißt du das?”
Nun lachten sie alle drei. „Ich schätze, Wechselbälger müssen so ordentlich sein, um in der Großen Verbindung ihre Moleküle wiederzufinden”, spekulierte Lairis.
„Ich will mit der Großen Verbindung nichts zu tun haben!” rief Kara leidenschaftlich.
Lairis warf einen schrägen Blick auf Lwaxana. „Wie haben Sie entdeckt, dass Kara …”
„Ich konnte ihre Gedanken nicht lesen und da ahnte ich, dass sie … anders war. Wissen Sie, ich kannte Odo, bevor ich Kara traf. Er war der erste Formwandler, der mir begegnet ist, und einer der süßesten, anständigsten Männer, die ich kenne.”
„Wie haben Sie das mit dem Bluttest angestellt?” fragte Lairis.
„Eine telepathische Illusion”, erklärte Lwaxana. „Sie haben das gesehen, was Sie sehen sollten. So viele Leute gleichzeitig zu manipulieren, ist übrigens ganz schön anstrengend!”
„Ach, deshalb hatten Sie diesen Schwächeanfall”, begriff Lairis und fügte leicht vorwurfsvoll hinzu: „Sie hätten mir die Wahrheit sagen sollen!”
„Hätten Sie Kara an Bord gelassen, wenn Sie gewusst hätten, was Sie wirklich ist?”
Beschämt gab Lairis zu: „Nein, höchstwahrscheinlich nicht.”
Kara musterte die Bajoranerin ernst. „Bevor Lwaxana kam, hatte ich nie den Mut, mein wahres Ich zu zeigen, wissen Sie … Auf der Erde glaubte jeder, ich wäre ein Mensch – sogar meine Adoptiveltern hatten keine Ahnung … Ich war immer beliebt, denn ich konnte mich ja perfekt anpassen, perfekt verwandeln – aber das war nicht ich! Früher nahm ich an, ich wäre die einzige meiner Art, deshalb war ich ein Leben lang bemüht, nicht aufzufallen. Ich hatte Angst, wenn meine Freunde, meine Eltern oder meine Lehrer herausfinden, dass ich in Wirklichkeit ein Haufen Glibber bin, der jede beliebige Gestalt annehmen kann, würden sie mich nicht mehr mögen, mir nicht mehr trauen … Nach dem Studium bewarb ich mich beim diplomatischen Dienst, denn ich dachte, ich hätte vielleicht ein gutes Händchen für fremdartige Lebensformen – schließlich bin ich selbst eine.” Ein Schmunzeln huschte über Karas Gesicht.
„Und so sind Sie an Botschafterin Troi geraten …”
„Ja. Aber dann ist die Sternenflotte im Gamma-Quadranten mit dem Dominion zusammen gerasselt, es kam zum Krieg … Seit dem hasst man Formwandler, und ich bin noch vorsichtiger geworden, als ich es früher war.” Kara lächelte freudlos und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Das ist wohl auch so eine angeborene Eigenschaft von Wechselbälgern: Paranoia.”
„Nicht nur von Wechselbälgern”, entgegnete Lairis. „Während der Besatzungszeit hieß es, nur ein toter Cardassianer sei ein guter Cardassianer. Zuerst hatte ich Angst vor den Cardies, dann hasste ich sie. Nun reagiere ich genauso auf Formwandler, obwohl ich im Grunde weiß, dass es nicht richtig ist.”
„Aber zu guter Letzt lernten Sie Belora Karthal kennen, die ein wirklich liebenswertes Exemplar ihrer Spezies ist – und Sie haben es geschafft, den Hass zu überwinden”, gab Lwaxana zu bedenken. „Vielleicht gelingt Ihnen das ein zweites Mal.”
Die Bajoranerin lächelte aufrichtig. „Dessen bin ich mir ganz sicher!”

© 2004 by Adriana Wipperling

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