DAMALS (1945-1949): Unser „Feind“, die Russen

Die Russen. Wie waren sie? Kann man das definieren?

Gibt es „den Russen“ überhaupt? Und wie unterschied er sich z.B. von „dem Ami“?

Wir in Brandenburg haben nur die eine Sorte Besatzungsmacht kennengelernt. In Sachsen waren erst die Amis, die später, als die Grenzen der Besatzungszonen ausgehandelt waren, den Russen Platz machten.

Und die blieben dann auf dem gesamten Gebiet der DDR bis zur Wiedervereinigung Deutschlands. Am Anfang waren sie sehr präsent.

Aber der Reihe nach.

Die Russen näherten sich der Stadt praktisch durch die Hintertür. Vermutlich hatten sie total veraltetes Kartenmaterial, denn sie kamen über eine Heerstraße aus der Zeit Friedrichs des Großen. Auf die Weise eroberten sie zuerst die Vororte Brandenburgs im Westen. Die Bewohner des Stadtteils Görden saßen 10 Tage im Keller fest, während das Stadtzentrum erbittert verteidigt wurde. Die Waffen-SS hatte alle Brücken gesprengt, auf dem Marienberg, einem beliebten Erholungsgebiet mitten in der Stadt, befand sich ein Stützpunkt der Artillerie.

Russische Soldaten streiften in den Gefechtspausen durch die Keller auf der Suche nach Beute und natürlich Frauen. Schließlich stand das einem siegreichen Soldaten zu.

Stalin soll gesagt haben: „Nehmt euch ihre Weiber!“

Das gefiel den ausgehungerten und wütenden jungen Kerlen. Damals ist viel Unrecht geschehen und das hat die Beziehung zwischen unseren Völkern nachhaltig vergiftet. Zum Glück gab es auch Lichtblicke.

Meiner Mutter ist z.B. nichts passiert, weil ein russischer Offizier in jeder Gefechtspause in den Keller kam und mit der Maschinenpistole in der Hand die deutschen Frauen bewacht hat. Er erklärte in gebrochenem Deutsch, wie sehr er das Verhalten seiner Kameraden missbilligen würde. Ein guter Mensch, der in schlimmen Zeiten Samenkörner des Friedens gesät hat.

Eine andere Leidenschaft der Soldaten war das Einsammeln von Kriegsbeute. Sie kamen verdreckt und verschmutzt in den Keller und forderten: „Uri, Uri! Zapsarapp!“

Uhren aus Deutschland mit nach Hause zu bringen war offenbar die Krönung des Sieges. Dabei war es völlig egal, ob die Dinger etwas wert waren. Von meinem Großvater haben sie seine Dienstuhr (er war Lokführer) mitgenommen. Eine ziemlich hässliche, große Zwiebel von Taschenuhr. Die Jungs waren begeistert.

Tja, als die zehn Tage vorbei waren und die Stadt kapituliert hatte, kehrte der Alltag mit „den Russen“ ein. Kasernen und einige Wohnblocks wurden geräumt um die Truppen unterzubringen. Die Stadt erhielt einen Kommandanten, der sofort Kontakt zu den deutschen Kommunisten aufnahm, um das Leben wieder einigermaßen zu organisieren. In unserem Fall war das ein russischer Jude aus Leningrad (inzwischen wieder Petersburg), der ausgezeichnet Deutsch sprach. Er benahm sich nicht wie ein Besatzer sondern eher wie ein Freund.

Er sagte: „Die Hitlers kommen und gehen, aber das deutsche Volk bleibt.“ Dass das ein Zitat von Stalin war, erfuhren meine Eltern erst später.

Der erste sowjetische Kommandant von Brandenburg war ein anständiger Mensch, der Frieden in die Herzen einiger Brandenburger gesät hat.

Er wurde übrigens bei einer antisemitischen Säuberungswelle Stalins abgesägt. Mama hat ihn noch einmal getroffen. Da war er in Zivil und auf dem Weg in eine ungewisse Zukunft in der Heimat.

Natürlich war nicht alles gut.

Die Verwaltung war zusammengebrochen. Es gab nicht genug zu essen, ganze Straßenzüge, das Neustädtische Rathaus, das Opelwerk, das Stahlwerk und die Arado Flugzeugwerke waren zerstört.

Mit den Brücken wurden auch die Leitungen für Strom und Wasser gesprengt.

Hungrige Frauen plünderten Lebensmittelläden und ein in Brand geschossenes Proviantamt der Wehrmacht. Andere zogen auf die Dörfer, bettelten, verkaufte ihre Wertsachen für Gemüse und Korn … oder stahlen die Früchte von den Feldern.

Meine Mutter sagte immer, dass sich da zwei Fraktionen gebildet hatten: die gesetzestreuen Bettler (denen ging es richtig schlecht und sie verloren alles, was einigermaßen wertvoll war) und die Räuber und Diebe …

Diese Raubzuge waren gefährlich, denn die Bauern hetzten öfter mal die Hunde auf die verfluchten Städter und dann gab es ja noch die Russen. Sexuell ausgehungerte und wütende junge Männer die ihrerseits auf Beute aus waren.

Merkwürdigerweise ließen sie Mütter mit Babys und Kleinkindern in Ruhe. So verroht wie sie nach dem langen Krieg auch sein mochten, die Mutterschaft war ihnen immer noch heilig. Mir ist auch nicht bekannt, dass die Russen jemals einem deutschen Baby oder Kleinkind etwas angetan hätten. Das sprach sich schnell herum und die Frauen nahmen zum Hamstern ihre Babys mit. Wer keins hatte, borgte sich bei Freundinnen oder Nachbarinnen ein Kind, um die gefährliche Nahrungsbeschaffung einigermaßen heil zu überstehen.

Meine Mutter erklärte mir, dass sowjetische Soldaten nicht alle gleich waren. Besonders übel waren angeblich die Kampftruppen aus Sibirien. Einfache, sehr zornige junge Männer aus Dörfern, wo gewisse zivilisatorische Errungenschaften noch nicht angekommen waren.

Für die waren deutsche Frauen einfach nur Freiwild und sie nutzte jede Gelegenheit, die besiegten Krauts zu demütigen.

Sie benahmen sich in der Öffentlichkeit betont unanständig, entleerten sich ungeniert und koteten sogar aus den Fenstern der ihnen zugewiesenen Wohnungen.

Von der Straße aus konnte jeder, der vorbeikam, ihre nackten Hinterteile bewundern bzw. die Spuren ihrer Verdauungsprodukte besichtigen. Als die Kampftruppen endlich abzogen musste an vielen Stellen der Putz erneuert werden.

Ja, der Hass und die Verachtung saßen tief …

Andererseits schämten sich die gebildeteren Russen sehr für das Verhalten ihrer Kameraden. Schließlich schändeten und beschmutzten diese nicht nur den besiegten Feind und seine Habseligkeiten sondern sie besudelten mit ihrem offensichtlich unkultivierten Verhalten auch das Ansehen der Sowjetunion.

Dazu eine schockierende Geschichte, die einer alten Dame in Brandenburg passiert ist.

Sie ging auf den Friedhof um das Grab ihres verstorbenen Ehemanns zu pflegen … aber da lauerte bereits ein sexhungriger Russe. Er brachte sie zu Fall, vergewaltigte sie und ging dann seines Weges. Die Frau war nicht bereit, das einfach so hinzunehmen und beschwerte sich bei dem Kommandanten der Einheit. Der ließ seine Leute antreten und forderte die alte Frau auf, ihm zu zeigen, wer ihr Gewalt angetan hatte. Sie hatte sich das Gesicht gut gemerkt und wies auf den Täter. Darauf zog der Offizier seine Pistole und erschoss ihn.

Die alte Dame erzählte das völlig schockiert ihren Nachbarinnen.

„Das habe ich nicht gewollt“, weinte sie. „Ich wollte, dass er ermahnt und bestraft wird. Ich wollte doch nicht, dass man ihn deswegen tötet. Da hatte er den Krieg überlebt und nun das! Der war doch noch so jung! Hätte mein Enkel sein können!“

Ja, verdammt noch mal!

Das war alles nicht so einfach … und „den Russen“, dem man alle möglichen schlimmen Eigenschaften zuordnen konnte, gab es gar nicht.

Genauso wenig wie „den verbrecherischen Deutschen“.

© Amanda Landmann


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