Die Taluri sind Humanoide, deren Gefühle durch Farbwechsel der Haut sichtbar werden. Sie verhüllen und maskieren sich, damit man sie nicht lesen kann. Nur die Könige der alten Zeit traten nackt vor ihr Volk, um ihre guten Absichten zu beweisen. Arrak Rinar ist ein schwuler Musikstudent, der von dem faschistoiden Regime auf Talur inhaftiert und als Versuchsobjekt an eine fremde Macht verkauft wurde. Nach einer beinahe tödlichen Infektion mit synthetischen Viren wurde er auf Heyla als Soldat verkleidet und zusammen mit anderen Dissidenten als Minensucher eingesetzt. Die Ah´Maral retteten diese Unschuldigen und Arrak Rinar wurde der Mann an der Seite ihres Anführers Madras aus dem Hause Kinsai.
Gesichter
Zeit: in 280 Jahren
Madras! Als ich ihm zum ersten Mal ins Gesicht sah, hat es mich schlicht überwältigt. Wir Taluri verehren die reine Schönheit und dieser tiefschwarze Heylaner. Er verkörperte alles, was ich mir in dieser Hinsicht vorstellen konnte: Harmonie, Ausstrahlung, Sex-Appeal.
Dabei war es das Gesicht des Kriegers, das ich zuerst zu sehen bekam. Ein erschöpftes, schmutziges, hartes Gesicht in dem zwei grüne Augen zornig loderten.
Mein Herz fing an, wild zu pochen, zu stolpern
Ich dachte: „Der bringt mich gleich um. Was für ein unglaublich schöner Tod!“
Aber da wurden die grünen Augen sanfter, verwandelten sich in klare Bergseen. Seine verhärteten Gesichtsmuskeln entspannten sich. Seine harten Hände fassten mich ganz behutsam an und trugen mich wie ein Vogelkind tiefer in die dunklen Höhlen des Hauses Raban.
Der private Madras ist ein sensibler und freundlicher Mann. Wie ein Sonnenstein kann er Wärme, Geborgenheit und Ruhe schenken. In diesem Zustand ist er großmütig und sehr zärtlich. Ich genieße seine Nähe und muss nur aufpassen, dass ich ihn nicht zu offen anhimmele. Er mag es nicht, wenn man ihn auf sein Aussehen reduziert.
Der offizielle Madras wirkt oft ein bisschen unterkühlt. Er ist immer noch wunderschön, aber es ist eine Schönheit hinter Glas oder dünnem Eis.
„Rühr mich nicht an oder ich töte dich.“
Ich weiß inzwischen, dass er genau das schon einmal getan hat. Damals war er längst noch nicht so prominent wie jetzt. Ein paar weiße Rassisten fingen ihn und … natürlich hat er ihnen Bakh´Hatsu geschworen, Rache schlimmer als der Tod. Ein Krieger ist kein Spielzeug für Sadisten.
Der Politiker Madras ist trotz seiner zurückhaltenden Art ein unkonventioneller Kerl und manchmal ziemlich unberechenbar. Er trägt keine Anzüge, sondern Jeans von der Erde und dazu romantische Seidenhemden mit weiten Ärmeln. Natürlich halb aufgeknöpft, damit jeder sein indianisches Donnervogelamulett und ein Stück seiner Heldenbrust sehen kann. Obwohl er dauernd rote Linien gegen seine Bewunderer zieht, weiß er ganz genau, was ihm steht.
Was mich besonders rührt ist, dass sich der Heylaner vehement für Frieden und eine gerechte Ordnung auf Talur einsetzt. Er hat es geschafft, mit Dalmo von Ayala einen waschechten Ah´Maral aus Kah´Kuros Bruderschaft auf den Thron von Talur zu setzen. Nein, ein Eroberer ist mein Liebster deswegen nicht. Die Ah´Maral haben sich immer nur verteidigt.
Er hat Talur meinetwegen unter seine Kontrolle gebracht. Weil er durch mich und Ingal mein Volk näher kennen gelernt hat und nicht will, dass sensible Taluri wie wir weiter unter der Militärherrschaft leiden. Im warmen Nest der Liga geborgen, kann uns nichts mehr passieren.
Madras hat ein Vaterherz … auch wenn er als Krieger auf Nähe zu seinen Kindern verzichten muss. Manchmal denke ich, dass ich für ihn auch so eine Art Sohn bin. Er achtet darauf, dass ich mein Musikstudium nicht vernachlässige und hört sich geduldig meine unfertigen Kompositionen an. Er möchte stolz auf mich sein. Und er möchte vor allem nicht, dass ich ihm diene.
„Ein wahrer Krieger braucht niemanden, der ihm seine Mäntel wäscht und seinen Hintern abputzt“, sagt er oft.
Und: „Mach dich nicht selber klein, Arrak.“
Madras der Krieger und Madras der Feldherr gehen nahtlos ineinander über. Es mag sein, dass das Gesicht des Feldherren ein bisschen sauberer und würdevoller ist, aber das sind nur graduelle Unterschiede.
Es gibt ein Gesicht von Madras, an das ich nur sehr ungern denke: Madras bei der so genannten Drecksarbeit.
Ein Anführer der Ah´Maral ist kein Sklaventreiber. Er kann zwar Aufgaben delegieren, aber seine Waffenbrüder achten penibel darauf, dass es dabei gerecht zugeht. Jemand, der alle unangenehmen Arbeiten auf andere abschiebt, wird nicht geliebt – und damit wird die Bruderschaft instabil, denn Liebe ist der Kitt, der sie zusammenhält.
Als wir während des Krieges in den Höhlen des Hauses Raban festsaßen, konnten wir keine Gefangenen unterbringen und ernähren. Es waren hauptsächlich die Anführer, die diese armen Kreaturen nach ihrer Befragung getötet haben.
Auch Madras.
Ich werde nie vergessen, wie sein Gesicht dabei aussah: völlig ausdruckslos, grau, die fest zusammengepressten Lippen ein blasser Strich, die Augen grün phosphoreszierend.
Ein Waffenbruder sprach einmal vom tiefen Umahaij und dass es nur ganz wenigen Heylanern erlaubt wäre, sich in diesen Zustand zu begeben, weil man sich allzu leicht darin für immer verlieren könne. Madras hat so ein Zertifikat Ich habe es in seiner Bürotruhe gefunden.
Obwohl ich das grausigste Gesicht des Heylaners kenne, kann ich … nein, es hält es mich nichts davon ab, ihn weiter mit dem Mut der Verzweiflung und von ganzem Umah zu lieben.
Auch maßloser Schrecken kann wunderschön aussehen.
Vielleicht sind die Zärtlichkeiten eines Mannes umso süßer, je gefährlicher er ist.
Vielleicht bin ich ein bisschen pervers.
Vielleicht kann das auch nur ein Taluri verstehen.
(C) Anneliese Wipperling, 2017
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Vor der letzten Schlacht
Der falsche Gott
hat meine Kinder verschlungen
und ich schneide sie
mit dem Dolch meiner Väter
aus seinem Leib.
Meinetwegen
soll er bluten und sterben …
Unsere Eltern verschwanden
in den Mägen der Djindjii.
Sie sind jetzt
die Kraft ihrer Krallen
und Schnäbel,
der Schmutz
in ihren Nestern …
Die unbesiegbaren Ah´Maral
werden die falschen Lichter
auslöschen und im Dunkeln
die grausamen Diener
des unendlich Bösen
zu Paaren treiben.
Keiner darf fliehen!
Madras wird heimkehren
zu den Zelten von Kinsai
und die Nacht wird erstrahlen
in seinem Licht!
Talur wird in den Armen
Heylas vergehen,
wie der Nachtwind im Sand …
Madras wird heimkehren
und sein talurischer Liebster
wird in den Armen des Kriegers
vergehen, wie der Nachtwind im Sand …
(C) Anneliese Wipperling, 2004
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Madras
Wo ist die Eingang zu deinem Reich?
Sanft streichle ich eine blauschwarze Wiese,
eine hohe glatte Stirn,
kühn geschwungene Brauen.
Du lässt mich gewähren,
Hast die kühlen Smaragdaugen geschlossen.
Aber du schläfst nicht.
Da lauert ein kleines Lächeln.
Ich darf weiter wandern,
über feste Muskeln unter schwarzer Samthaut.
Durch dichte krause Wäldchen
zu den heiligsten Pforten.
Zu dem grellen Lodern dahinter.
Ich darf die schweren Türen aus Kupfer auftun
und deine ganze Wildheit entfesseln.
Hand in Hand mit dir fliegen.
Hoch zu den Sternen aufsteigen,
in Schluchten voll Dornengestrüpp fallen.
Tanzen im weißen Raum
bis der kleine Tod uns findet.
(C) Anneliese Wipperling, 2017
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Sommernachtstraum
Zeit: in ca. 2000 Jahren
Das Leben ist ein endlos langer Sommer. Nein, ich meine nicht die tägliche Hitze der Wüsten und auch nicht die immergrünen Städte Heylas. Ich meine dieses endlos lange Verweilen auf dem Zenit meiner Existenz. Ich bin erwachsen, wieder halbwegs gesund, im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte, kreativ und erfolgreich. Ich werde respektiert und geliebt … von dem wichtigsten und aufregendsten Mann Heylas.
Es sind Jahrhunderte vergangen, seit Madras mich mitten im Krieg gegen die Feuerhänder in seine Kammer getragen und zu seinem liebsten Bindungspartner gemacht hat. Er hat mir zuliebe die Gesetze der Ah´Maral gründlich verbogen. Er wusste, dass ich nur ein friedlicher kleiner Musiker bin und dass aus mir niemals ein richtiger Krieger werden würde. Ich will und kann niemanden töten. Madras dachte vermutlich, dass er mich schon bald überleben und sich rechtzeitig um einen würdigen und kompetenten Nachfolger für die Leitung seiner Bruderschaft würde kümmern können. Aber dann überwältigte uns beide der endlose Sommer.
Ein göttergleiches Verweilen im Zenit!
Ein schlichter Gärtner schenkte uns einen Hauch von Unsterblichkeit: unser Waffenbruder Gattor. Er kann Gewächse von vielen Welten erblühen lassen. Alles, was er mit Liebe berührt, wächst und gedeiht.
Gattor verehrt seinen Anführer Madras, teilt sein Zelt mit seiner bevorzugten Waffenschwester Morrigan O´Connor und mag seltsamerweise auch eine rote Katze von der Erde und mich.
Ich genieße den Sex mit ihm.
Der wunderliche alte Krieger trägt ein riesiges Meer in sich, in dem bunte Fische spielen und in dessen Tiefe riese Kraken herumwabern. Darüber wölbt sich ein weiter Himmel. Große schneeweiße Sturmvögel kreischen. Nachts glitzern an dem fremden Himmel unzählige Sterne.
Wer von einer so kaputten Welt wie Talur kommt, weiß Gattors Gaben zu schätzen. Ich liebe es, mitten im Meer zu schwimmen und klares Wasser zu atmen, während der Speer des Gärtners seine quälend langsamen feierlichen Tänze zelebriert.
Gattor ist ein Narguhl, ein Mann, der während der Vereinigung alles Kranke und Böse aufsaugen und vernichten kann und sich beim Liebesspiel selbst heilt. Er kann seine Macht weder erklären noch steuern. Niemand kann das.
Madras, Morrigan und ich können seine Gaben nur dankbar und respektvoll empfangen … und die freche Mieze hält ihre Privilegien für selbstverständlich.
Wahrscheinlich altern sie auch unsere übrigen Waffenbrüder ein bisschen langsamer aber ein ewiger Sommer für alle überfordert den Narguhl. Auch das kann er nicht beeinflussen.
Gattor wird altern, sobald er aufhört, zu lieben. Ist das nicht unser aller Schicksal?
Heyla ist eine mehrfach verwundete Welt. Jemand hat vor Jahrmillionen ihre Biosphäre vollständig zerstört, sie umgeformt und neu besiedelt. Nur die Ma´Rinnu haben in den Tiefen des Sandozeans überlebt … geheimnisvolle Siliziumwesen, die Quarz essen und keinen Sauerstoff brauchen. Die Turuska, kommunizieren seit alters her mit ihnen. Sind sie deshalb so gute Telepathen, Wahrträumer, Traumwanderer und Narguhls?
Und was ist mit Madras?
Der Krieger schläft. Unsere gemeinsame nächtliche Reise durch ein wildes Gebirge aus schwarzen Wolken hat ihn völlig erschöpft. Wir mussten gegen Blitze, eisigen Hagel und einen brutalen Sturm ankämpfen. Fliegende Echsen mit riesigen Mäulern schnappten nach uns. Wir ließen uns rechtzeitig in die Tiefe fallen … retteten uns in einen weißen abstrakten Raum. Aber die Dunkelheit fand uns auch da und verschlang uns.
Ich habe nagenden Hunger. Madras hat auch Hunger, er weiß es nur noch nicht. Ich bestreiche ein Stück Fladenbrot mit scharf gewürzter Eiweißpaste von der Erde und beiße ein großes Stück ab. Den Rest halte ich meinem Liebsten unter die Nase. Der schnuppert, schlägt die schönen grünen Augen auf und kaut wenig später gierig. Ich kraule flüchtig das Fellchen auf seiner Brust und widme mich dann hingebungsvoll dem lockigen Wald um seinen erschlafften grünen Speer.
Er reagiert nicht auf meine Berührung.
„Entschuldige“, erklärt mein Liebster leise. „Aber ich mag nicht schon wieder in diese Dunkelheit aufsteigen.“
Seine Visionen sind neuerdings oft sehr düster.
Ich hoffe, da steckt nichts weiter dahinter.
„Das hoffe ich auch“, kommentiert Madras meine Gedanken.
Wenig später sehen wir uns gemeinsam die Nachrichten an. Die Welt ist aus den Fugen geraten. In den schmalen Augen der jungen Sprecherin flackert es panisch.
„Wieder einmal ist Unerklärliches geschehen. Nakkars Sonne hat die ersten beiden Planeten ihres Systems verschlungen. Es geschah ohne Vorwarnung und innerhalb nur weniger Timas. Niemand hat überlebt. Der neue Riesenstern strahlt blauviolett wie die Blüten des Mombastrauchs. Die Dimensionatoren des Einen haben versagt…“
„Der Eine, der alles sieht, ist wahrscheinlich gestorben“, sagt Madras tonlos. „Unser Universum entartet.“
Unser endlos langer Sommer ist vorbei. Wir schmiegen uns fröstelnd aneinander. Alles Leben wird zugrunde gehen.
„Ja. Wir müssen wieder mal die Welt retten“, bestätigt Madras.
Jetzt grinst er sogar ein bisschen. Galgenhumor ist die letzte Würde des Kriegers.
„Ich bin dabei“, antworte ich fröhlich. „Womit fangen wir an?“
(C) Anneliese Wipperling, 2017
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