Jorak aus dem Hause Boras, Heyla

Zeit: vor etwa 800 Jahren
Die Heylaner sind Humanoide mit mehr oder weniger ausgeprägten telepathischen Fähigkeiten. Es gibt zwei Rassen. Die weißen Heyla´Rah und die dunkelhäutigen Turuska. Jorak war Turuska, Krieger seines Volkes und Anführer einer Bruderschaft der Ah´Maral, der Krieger seines Volkes. Er wurde von Sklavenhändlern gefangen genommen und auf dem Markt von Mirissah feilgeboten. Gute Freunde kauften ihn und retteten ihn so vor dem Schlimmsten. Sein Werk ist eine Anklage gegen die moderne Sklaverei, setzt sich aber auch mit dem großen Reformator Ennu auseinander.

Melodien der Wüste

Der Wind flüstert, pfeift, heult, braust.
Sandkörner und kleine Steine prasseln gegen Zeltplanen, Körper und Felsen.
Ich höre das Graben von harten Käferkrallen und das Schleifen horniger Schuppen im Sand.
Eine armlange Echse richtet sich vor mir auf, spreizt drohend ihre schillernden Halsschuppen und zischt gefährlich.
Ich muss an ihre Zauberkraft denken, die den stärksten Krieger in winselnden Pudding verwandeln kann – und an unseren Schamanen.
Wie er das Blut der gefangenen Feinde damit sättigt und ihnen ihre tiefsten Geheimnisse entreißt.
Jetzt eilt eine falbe Schlange quer zu ihrer Körperachse mit Wellen schlagendem Körper über die Dünen.
Die Sandkörner antworten mit rhythmischem Wispern auf ihre Berührungen.
Ihr Gift taugt nicht als Medizin.
Es bringt den Tod so schnell, dass die Seelen der Gebissenen verwundert neben ihren Körpern ausharren und sich erst nach mehreren Tagen laut klagend auflösen.
Um die Mittagszeit dröhnt die Sonne wie die mächtigen Trommeln unserer Krieger.
Unerfahrene Wanderer werden davon blind und taub, können ihren Weg nicht mehr erkennen und irren ziellos im Kreis herum. Sie trocknen allmählich immer mehr aus, bis sie irgendwann sterben.
Nachts gellen bedrohliche Jagdschreie in meinen Ohren.
Zuweilen plärrt ein greller kleiner Vollmond sein silbernes Lied und die Sterne klimpern dazu auf winzigen schimmernden Harfen.
Niemand kann dieser spröden Melodie widerstehen.
Selbst Nachtgeier und andere Aasfresser lassen dann ihre geöffnete Beute achtlos liegen und denken nur noch an Paarung.
In solchen Nächten muss ich doppelt wachsam sein.
Unnatürliches schleicht mit kaltem Geist über unsere Grenze.
Versklavte Kindersoldaten des Feindes tasten mit offenen Messern nach den Kehlen meiner tief im Sand verborgenen Brüder und Schwestern.
Und dann begrüße ich das Flüstern der ersten Sonnenstrahlen und den schrillen Paarungsruf der Sonnenvögel.
Dieser Schrei ist der erhabenste von allen.
Ich habe wieder einmal überlebt!.

(C) Anneliese Wipperling, 2009
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Lied der Ah´Maral

Ein reißender Strom
aus grünem Blut
beschützt
unsere Zelte,
ein Wall aus
warmem Fleisch
weißen Knochen
und dunkler Haut.

Die glitzernden
Dolche und
schweren Lanzen
der Krieger sind
scharf geschliffen,
ihre Laser
zielgenau und
gefährlich.

Jetzt sind unsere
Brüder tot und
wir beweinen sie,
verfluchen den
Feind, schwören
mit lauter Stimme
ewig währende
Rache.

Die Umahs
unsere Kämpfer
hat der Wind
längst zerstreut,
nun geben wir ihm
ihre Asche.
Trag sie weit
übers Land!

Mögen unsere
Feinde an ihr
ersticken
und die Bäume
Kraft schöpfen!
Möge ihr Opfer
Baustein sein
einer besseren Welt!
Die Träumer
versprachen uns
Frieden,
der grüne Strom,
unser Wall aus
Fleisch und Gebein
wird ihn sicher
beschützen!

Ehre den Kämpfern und
Tod unsern Feinden!
Weint nicht, Freunde!
Schärft eure
Waffen für neue
Kämpfe!

Singt, schreit
und schärft
eure Dolche!

Euer Nas´haa
soll hell erstrahlen!

Kämpft, liebt
und siegt für
das Wohl der Vielen!

(C) Anneliese Wipperling, 2004
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Für Kah´Rinna

Waffenschwester!
Geist!
Schoß!
Urmutter!
Alles!

Wegen deiner
geschmeidigen Hüften
wiegt das Schwert
in meiner Hand
immer schwerer.

Wegen dieser
unglaublichen Landschaft
aus schwarzem Samt
schreien
mein Speer und
mein Blut
nur noch
nach Frieden.

Kind auf Kind
möchte ich
in deine grüne
Höhle
pflanzen.

Zusehen,
wie mein Volk
aus ihr
hervorquillt.

Männer
und Frauen:
In der einen Hand
das Schwert,
in der anderen
die Harfe.

Waffenschwester!

Tod!
Gesang!
Heimstatt!
Alles!

(C) Anneliese Wipperling, 2009
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Nacht der Henker

Der Wind ist scharf und kalt
wie mein Schwert,
wie die Zähne der Raspayatis
und ihr Hunger.

Wir haben
drei Mahlzeiten für sie
im Sand angekettet:
Kinderdiebe,
Sklavenhändler,
Schlächter.

Sie weinten
als wir sie nackt
allein ließen:
allein mit
zwei Monden,
dem beißenden Wind,
dem Jagdlied
des Rudels
und ihrer Schuld.

Jetzt
schaue ich
im Morgenlicht
tief in die großen Augen
unserer
jüngsten Schwester.

Sehe
Hass flackern,
Triumph,
Wut
und
schier maßloses
Entsetzen.
Ich möchte das
nicht mehr
tun müssen.

Nie wieder!

(C) Anneliese Wipperling, 2005
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Ernüchterung

Das Feuer flackert heiß und gierig.
Haarbüschel kräuseln sich in der
Hitze, Hautfetzen glühen,
verkohlen, stinken.
Ich weine und blute.

Die Flamme leckt gefräßig meine Hand.
Ich reiße mir gehorsam Stück für Stück
das Herz heraus,
die unnütze Kehle, den allzu
dünnhäutigen Speer.
Werfe alles hastig in den
rot lodernden Schlund …

Ich bin so abgenutzt. überflüssig.
Betrübt.

Meine Geschichten und Verse
brennen lichterloh, meine Tagebücher
und all meine Träume.
Mein Umah wird immer flacher
und dunkler.

Der große Erneuerer Ennu
hat mich geächtet: kindisch, soll mein Werk sein,
wertlos, sinnlos, schädlich.
Weg damit!

Er hat das Ende der Poesie verkündet und
das der Poeten. Unsere Verzweiflung
berührt ihn nicht.
Wir passen nicht in sein abstraktes Schema.
Wir sind Fühlende, das macht uns
zu Ketzern.

Er hat es sogar gewagt, die Liebe zu ächten,
das Lachen, das Weinen, das Spiel.

Selbst Kinder dürfen nur noch perfekt rollende
Maschinen sein!

Nichts habe ich je so sehr ersehnt wie den Frieden!
Dass nun alles, woran mir liegt, absterben muss!

Nein! Es ist immer noch Krieg, er trägt nur
eine sanftere Maske.

(C) Anneliese Wipperling, 2005
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Ich bin immer noch Ah´Maral

Die Welt hat sich gewandelt. Sie fühlt sich anders an, sie schmeckt und riecht anders, seit Heyla der Lehre des großen Ennu folgt.
Scheinbar ist alles gut. Die Sklaverei ist abgeschafft, es gibt keine Kriege mehr, alle Heylaner sind vor dem Gesetz gleich. Wir essen nur noch pflanzliche Nahrung und synthetische Eiweißpaste. Wir ächten die Gewalt und folgen geduldig den ehernen Pfaden der Logik.
Ennu hat für eine allgemeine Verzeihung gesorgt. Die auf Heyla verbliebenen Adeligen haben sich wort- und tränenreich für die Grausamkeiten ihrer Verwandten entschuldigt und durften dafür ihre prunkvollen Paläste behalten. Natürlich waren sie schon immer dagegen gewesen.
Wir Ah´Maral wissen es besser aber uns hat niemand gefragt. Jene, die geschwiegen und nur Fettlebe gemacht haben, sind auch schuldig. Wir haben einige wirklich anständige Adelige aus dubiosen Folterhöhlen gerettet. Ihre Ältesten waren äußerst erfinderisch, wenn es darum ging, Abweichler zu bestrafen.
Die angeblich so reine Logik der Philosophiebürokraten hat dafür gesorgt, dass es auf meiner Welt seltsam still geworden ist. Die Poeten singen und die Liebenden seufzen nicht mehr. Kinder werden beim Sagga´Mah gezeugt, jenem letzten Ausbruch alter Wildheit, den Ennu nicht verbieten konnte. Fromme Heyla´Rah verkriechen sich dazu in muffige schalldichte Kammern und kommen erst wieder ans Licht, wenn alles ausgestanden ist.
Wir Turuska sind nicht bereit, uns solchen albernen Dogmen zu beugen. Wir haben nicht so lange um unsere Freiheit gekämpft, um jetzt auf unsere Traditionen zu spucken.
Wer sich unseren Zeltdörfern nähert wird feststellen, dass sich die Düfte der neuen Zeit mit den Klängen der alten vermählen. Ja, es wird nur noch sehr selten Fleisch gekocht, aber aus den Familienzelten hört man es weiter seufzen, flüstern und schreien. Unsere Krieger singen immer noch die alten Kampflieder und festigen im Licht der drei Monde ihre Bindungen
Beinahe wäre mein Volk erneut geächtet worden, weil es nicht bereit war, auf die Ah´Maral zu verzichten.
Wir erklärten es den neuen Herren.
„Nein, wir sind nicht aggressiv, wir sind nur vorsichtig.“
„Unsere Krieger paaren sich nicht zum Spaß. Es geht um die Bindung und die mentale Übertragung von Informationen.“
„Wir beschützen die Schwachen und Wehrlosen.“
„Es ist uns wichtig, dass wir das selbst tun können.“
„Ja, die Krieger üben das Töten, aber sie haben nicht vor, jemandem zu schaden. Das schwören wir bei dem Einen, der alles sieht und niemals eingreift.“
„Wir haben von euch Weißen schon genug erdulden müssen. Nehmt uns jetzt nicht auch noch unsere Identität.“
„Wir wollen mit Ennu persönlich sprechen. Er soll zu uns kommen und sich alles selbst ansehen.“
Das war ein äußerst gefährliches Spiel.
Unsere Ältesten wussten, dass der wahre Ennu schon lange tot war und wir es mit einem Klon im Dienste des Adels zu tun hatten – aber wir hofften, ihn dennoch für unsere Zwecke benutzen zu können. Es würde seine Autorität stärken, wenn er ein paar unwichtigen Wilden großmütig Privilegien schenken würde. Das Volk würde glauben, dass der große Erneuerer ein verständnisvoller Mann wäre .., dass seine Strenge notwendig wäre, weil die Heylaner eine besonders gewalttätige und bösartige Spezies wären.
Ja, unsere List hat funktioniert. Wir zeigten dem wichtigsten Klon Heylas unsere geheimsten Bräuche. Er durfte sogar an einer Aufnahmezeremonie teilnehmen.
Danach redete er lange und sagte zum Schluss: „Es ist sehr ungewöhnlich, aber euer zügelloses Verhalten gehorcht ebenso wie unsere heilige Askese der reinen Logik. Möget ihr auf eure unzivilisierte Weise glücklich werden. Ich wünsche euch gute Gedanken und Frieden.“
Jetzt habe ich zwar meine Manuskripte verbrannt, weil niemand mehr Gedichte verlegt, aber ich trage immer noch den weißen Kriegermantel und die Ah´Maral singen am Lagerfeuer meine Lieder. Das Leben ist nicht ganz und gar sinnlos.

(C) Anneliese Wipperling, 2017

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