Sassia Pirr von Belor

Zeit: vor 80 Jahren
Die Beloraner sind eine arbeitsame und kriegerische insektoide Spezies. Arbeiterinnen und Soldaten haben keine Zeit für Kunst und auch kein Interesse dafür. Lediglich die Königinnen in den Stöcken, die den ganzen Tag mit Kopulieren und Eier legen beschäftigt sind, machen sich neuerdings nebenbei so ihre Gedanken. Ihr Sinn für Poesie lässt zumeist noch etwas zu wünschen übrig. Sie denken sich eher Dialoge aus oder denken über ihre eigene Geschichte nach.

Barmherzigkeit

Beloraner sind fleißig, diszipliniert und schlau. Wir haben ein Krällchen für Computertechnik und mögen Maschinen lieber als Lebewesen. Wir sind fasziniert von Rädern und hohen Geschwindigkeiten. Ich fürchte, wir sind ein bisschen nekrophil, das heißt, vom Tod und der Mechanik besessen. Unsere Gesellschaft erwartet, dass wir unser Leben selbst beenden wenn wir dem Stock nicht mehr nützlich sein können. Wir haben miserable Ärzte.
Überall stehen Zerhacker mit weit offenen Mäulern bereit. Vom verwundeten Käfer oder der kranken Larve zum nützlichen Nahrungsbrei ist es nur ein Schritt.
„Alles dreht sich. Wir rollen durchs Leben. Wir schlüpfen, bekommen einen Platz im Stock zugewiesen, arbeiten, kämpfen oder kopulieren … und werden am Ende zu Nahrung für die nächste Generation. Niemand kriegt eine Extraportion. Das ist Gerechtigkeit.“, erklärten unsere Regierenden.
Das einzelne Individuum und sein Glücksanspruch kommen in diesen Überlegungen nicht vor. Der unausweichliche Zerhacker mit seinen rotierenden Messern egalisierte alles.
Das Sterben in der Maschine ist so schmerzhaft, dass es sich nicht als Ausweg aus unserer sinnlosen Tretmühle eignet. Wir verdrängen es so lange, bis wir zitternd vor dem verfluchten Trichter mit den rotierenden Messern stehen.
Als ich an das Haus Pirr verkauft wurde, wusste ich nichts über unsere Königinnen. Die einzige fruchtbare Frau lebt im Verborgenen und die Männlichen zirpen nur miteinander über das, was sie der Begattungskammer erlebt haben. Es musste etwas Großartiges sein, sonst würden sie nicht tagelang danach anzustehen.
Die Arbeiterinnen der Pirr waren ein Schock für mich. Acht von ihnen hielten mich wortlos fest, zwei setzten ihre Messer an, um abzuschneiden, was eine Königin ihrer Meinung nach nicht mehr brauchte. Ich wand mich, schrie, trat um mich. Am Ende fehlten mir zwei Beinpaare und über meinen nackten Hinterleib strich ein kühler Luftzug. Eine Arbeiterin trug den Abfall hinaus zum nächsten Zerhacker.
„Nimm mich mit“, zirpte ich. „Ich möchte auch zermahlen werden.“
„Nach dir geht es aber nicht, du dummes Ding!“, wurde ich angeschnauzt. „Das Haus Pirr braucht Nachkommen und du hattest die prallsten Eierstöcke von allen Anwärterinnen. Unsere jungen Männer werden dich befruchten und echte Pirrs aus deinen Eiern machen.“
„Ich will nicht! Lieber sterbe ich!“
„Du wirst sterben … aber nicht hier und nicht heute.“
Ein Spruch wie ein Fallbeil. Ich wurde zwangsernährt, bis ich mich endgültig mit meinem Schicksal abgefunden hatte. Ich habe sechzig Jahre auf einem goldenen Kissen gelegen. Draußen standen die Pirrs Schlange. Sie wurden einzeln durch eine kleine Pforte geschleust und weideten sich zunächst am Anblick meines nackten monströsen Hinterteils. Dann schoben sie sich rückwärts mit ausgefahrener Begattungsröhre näher. Meine Dienerinnen halfen ihnen, das richtige Loch zu finden. Sie platzierten den Stachel tief in mir, damit ja nichts von dem kostbaren Saft verloren ging. Nun konnte der Pirr so lange vibrieren und zucken bis seine Samenreservoire leer waren.
Wenn ich nicht still genug hielt, wurde ich festgeschnallt und mit dem Zerhacker bedroht. Mir war dann jedes Mal ganz übel vor Hass.
Die Pirr hatten für mich keine Gesichter. Es waren nur Stachel, die mich von hinten trafen und wund rieben. Ich habe ihre Kriegseinsätze und die Freigabe der Verwundeten für die Herstellung von Nahrungsbrei mit tiefer Genugtuung bestätigt.
Ich war und blieb eine Fremde im Stock, kannte weder persönliche Beziehungen noch Rücksichtnahme, weder Mitgefühl noch Zärtlichkeit. Die Pirr hatten meine Eierstöcke gekauft … und mehr bekamen sie auch nicht.

Und nun stand ein humanoider Ligafuzzy mit einem schneeweißen Mantel über der Uniform vor mir, sah mich mit goldenen Augen an und fummelte ratlos an mir herum! Das war ein Schock! Eigentlich hatte ich erwartet, sofort erschossen zu werden. Stattdessen hob mich der Soldat auf, warf mich über seine linke Schulter und tappte mit mir durch die dunklen Gänge des Stocks nach draußen. Ich musste ihn fühlen und seinen seltsamen humanoiden Geruch einatmen.
Das war verstörend! Genau wie der Anblick der zerstörten Stadt und der vielen Beloraner vor einem Zerhacker. Plötzlich war die Luft zähflüssig. Ich konnte kaum noch atmen.
Ob die Verwundeten oder die auf den Trichter zu wimmelnden Larven verhasste Pirrs waren, spielte plötzlich keine Rolle mehr. Mein sorgfältig gehätschelter Zorn verflüchtigte sich. Was hier zu Brei zerkleinert werden sollte war mein Volk!
Ich zappelte und schrillte so laut ich konnte: „Nein! Nicht sterben lassen! Nicht die Larven! Nicht die Verwundeten! Nicht die Arbeiterinnen! Halte den Tod auf!“
Der Humanoide blieb abrupt stehen. Sein goldener Blick war sanft verschleiert. Er legte mich behutsam auf den Boden, zog seine Laserpistole und feuerte so lange in den offenen Trichter der Maschine, bis die rotierenden Messer rot glühend miteinander verschmolzen.
Später erfuhr ich, dass in diesem Augenblick überall auf Belor das Gleiche geschah. Männer und Frauen mit weißen Mänteln über ihren nachtblauen Uniformen verhinderten die Selbstmorde. Lautsprecherwagen verkündeten Frieden unter der roten Sonne und eine allgemeine Amnestie.
Mein neuer heylanischer Freund hatte, obwohl ich Beloranisch gesprochen hatte, alles verstanden.

(C) 2017 Anneliese Wipperling
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Lebenslauf

Eine junge Königin wird
gekauft, geraubt, gestohlen.
Ihre Flügel und Flügeldecken
abgeschnitten, die hinteren
Beinpaare amputiert. Dann
erst darf sie erhöht werden.

Man legt sie auf ein goldenes
Kissen. Sie ist traurig, aber stets
satt und sauber.

Ihr Platz im Zentrum des Stocks
soll eine Ehre sein? Was? So eine
muffige, enge Kammer? Nein! Das ist ein
Gefängnis! Das ist lebenslänglich
für eine Unschuldige!

Die neue Familie macht alles kaputt.
Die Königin ist wütend, aber tadellos
satt und sauber.

Die Räte der Arbeiterinnen
und die der Soldaten
diskutieren alles. Die Königin
soll es nur absegnen und nutzt
ab und zu boshaft ihr Veto
um sich zu rächen..

Sie regiert den Stock. Verehrt
Gefürchtet und wunderbar
satt und sauber.

Wenn ein Männlicher kommt,
besoffen von seinen Taten
und ihrem beißenden Duft,
muss sie stillhalten damit
die harte Begattungsröhre
ihr Ziel nicht verfehlt.

Sie kopuliert ohne Pause,
gelangweilt, ohne Liebe, doch
satt und sauber.

Wenn ein Partner zu gierig
daneben ins weiche Fleisch sticht
und sie sich zirpend krümmt,
wird ihr nackter Hinterleib
mit Bändern fixiert. Der Akt
muss vollendet werden.

So quält man sie täglich. Ihre
Dienerinnen halten sie klein,
satt und sauber.

Irgendwann baut sich ein dumpfer
Druck in ihr auf. Alles andere muss
jetzt warten. Ihr Hinterleib ächzt
nach Entleerung. Tausend befruchtete
Eier quellen heraus, ihre Pforte
reißt ein, blutet und schmerzt.

Die Königin vermehrt ihre Spezies.
ohne Begeisterung aber stets
satt und sauber.

Regieren und kopulieren, misten und
Eier legen. Ihr Leben verrinnt
schlaflos. Immerzu passiert was
mit ihr. Tag und Nacht stehn die
Kerle an. Ihre Ganglienknoten
faulen allmählich.

Sie vegetiert nur noch vor sich hin
und altert, immer perfekt, immer
satt und sauber.

Am Ende ist sie völlig verbraucht.
Ihr schlaffer Hinterleib
duftet nicht mehr. Das
letzte Ei ist gelegt. Sie
wird in einem Sack zum
Zerhacker gekarrt.

Dort stirbt sie, hungrig, vor Angst
vollgemistet und
laut schrillend.

(C) 2017 Anneliese Wipperling
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Fiktive Gespräche

I. Im Speisesaal der NAIJAIJ

K: „Belor ist ökologisch völlig wertlos. Wenn wir diese Welt sterilisieren, vernichten wir nur mutierte Büropflanzen und Vorratsschädlinge. Die Beloraner sind gefährlich und außerdem inkompatibel mit der Liga friedlicher Welten. Sie müssen weg.“
T: „Es sind denkende und fühlende Lebewesen. Ihre Zivilisation ist noch sehr jung und wild …“
K: „Was für eine Zivilisation denn? Siehst du da unten irgendwo wertvolle Bauten, Skulpturen, Bibliotheken oder Gärten? Ich sehe nur potthässliche runde Stöcke, ein paar gammelige Straßen und jede Menge Zerhacker. Die haben nicht einmal so was wie Landschaften. Verdammt! Die fressen alles kahl und ziehen dann weiter … zum Beispiel nach Naxos. Sie akzeptieren keine Regeln und werden bei jeder Gelegenheit sofort aggressiv.“
T: „Ihre Vermehrungsrate ist zu groß. Das begünstigt leider gewisse Fehlentwicklungen.“
K: „Höre ich da so was wie ‚Volk ohne Raum’? Nazis im Roten Sektor fehlen uns gerade noch! Dabei vermehren sich die Biester etwa tausend Mal so schnell wie menschliche Nazis. Ich bleibe dabei: Die müssen ganz schnell weg!“
T: „Du wiederholst dich und das macht deine Ansichten nicht appetitlicher. Dein Nazivergleich hinkt. Wir wissen nichts über diese Käfer. Sie haben sicher auch gute Eigenschaften.“
K: „Denkst du gerade an ihr ausgeprägtes Mitgefühl gegenüber Zivilisten? Ihren tiefen Respekt vor der Ruhe der Toten? Ihre Sensibilität gegenüber fremden Kunstwerken?“
T: „Wir missverstehen vermutlich einiges …“
K: „Quatsch! Ich habe genug gesehen. Außerdem kommst du mit deinen Einwänden zu spät. Der Rat der Liga hat der Vernichtung allen Lebens auf Belor bereits zugestimmt.“
T: „Wann war das?“
K: „Vor ungefähr vierzig Hum´Timas. Die Vorbereitungen für den Overkill laufen bereits.“
T: „Ich werde das nicht zulassen.“
K: „Du willst wegen ein paar Käfern in den Bau gehen? Das ist unlogisch … geradezu bekloppt.“
T: „Der große Ennu würde das Massaker bestimmt verurteilen.“
K: „Chrrrr! Erzähl mir nichts von Ennu! Der Verräter war immerhin mein Urururonkel!“
T: „Du solltest ihn trotzdem respektieren.“
K: „Einen Scheiß werde ich. Und wehe, du zettelst eine Meuterei an! Dann wirst du mich von einer ganz neuen Seite kennenlernen.“
T: „Uns wird schon was einfallen.“
K: „Du hast die Meuterei bereits angeleiert?“
T: „Nein, keine Meuterei. Lass dich überraschen.“

II. Vor der Krankenstation der NAIJAIJ

K: „Du hast eine Gefangene auf mein Schiff gebracht?“
T: „Eher eine Patientin für unsere Krankenstation. Wenn du den Vorhang vor dem Sichtfenster beiseite ziehst …“
K: „Da liegt was auf der Diagnoseliege. Iiii! Das sieht aus wie eine riesige weiße Made.“
T: „Das ist Sassia Pirr, eine beloranische Königin.“
K: „Das soll eine Königin sein? Das ist doch obszön! Dieser riesige schwabbelige Hinterkörper! Und dann pulsiert das auch noch … wieso hat sie keine Flügeldecken?“
T: „Abgeschnitten … die Flügel und die hinteren Beinpaare auch. Das soll angeblich besonders effizient sein.“
K: „Wieso das?“
T: „So gibt es keine Komplikationen. Die Männlichen werden wie am Fließband abgefertigt. Die Arbeiterinnen assistieren dabei in drei Schichten.“
K: „Diese Käfer haben eine abartige Vorstellung von Sex.“
T: „Vielleicht auch überhaupt keine. Es geht ihnen nur um die Vermehrung.“
K: „Mir tut das arme Biest leid. Wieso gehen die eigentlich mit den eigenen Weibern so schlecht um?“
T: „Die Königin stammt immer aus einem fremden Stock. Man kauft oder raubt ein junges Weibchen, wenn die alte unfruchtbar geworden und im Zerhacker gelandet ist. Die Vermehrung muss weitergehen.“
K: „Um noch mehr Kriege führen und Planeten kahl fressen zu können. Was die Beloraner machen ist doch völlig sinnlos. Niemand wird dabei glücklich. Die Arbeiterinnen rackern jeden Tag bis zum Umfallen, die Soldaten kennen nur Eroberungskriege und die einzige Frau im Stock wird zur Gebärmaschine zurechtgeschnippelt. Am Ende wartet auf alle ein grausamer Tod im Zerhacker.“
T: „Das hast du dir also auch schon angesehen … auf welch schreckliche Weise sie sterben.“
K: „Ja. Und was daraus produziert wird und wie sie es fressen. Das ist alles so deprimierend und stupide, irgendwie mechanisch. Insektoide Zivilisationen sind unheimlich.“
T: „Sie fordern unseren Protest heraus, weil sie unsere Werte komplett ignorieren. Langsam kann ich nachvollziehen, weshalb du diese Spezies vernichten wolltest. Den Beloranern ist nicht zu helfen. Unser Heiler meint, dass Insektoide sehr stark durch Instinkte gesteuert werden. Es liegt an den Ganglien.“
K: „Ich möchte sie, nun, wo ich sie genauer kenne, nicht so schnell aufgeben. Sie sind leidensfähiger und beharrlicher als alle anderen Spezies der Liga. Der Einzelne zählt nicht viel. Ihre unflexible Art kann auch eine Stärke sein. Sie haben das Potenzial, sehr nützlich oder sehr schädlich zu sein.“
T: „Wenn wir diese Welt vorübergehend in Besitz nehmen, dürfte das eine Erlösung für die meisten Käfer sein … aber leicht wird es bestimmt nicht.“
K: „Wenn wir die volle Verantwortung für diese Zivilisation übernehmen … einige besonders widerliche Praktiken verbieten und ein paar gute Bräuche hinzufügen …“
T: „Du vergisst gerade die Leitmaxime!“
K: „Darauf scheiße ich. In diesen Käfern steckt eine unbändige Kraft. Wenn sie auf unserer Seite wären, könnte das die Liga stärken und stabilisieren.“
T: „Du willst die Zerhacker abschaffen!“
K: „Das vielleicht nicht …“
T: „Was dann? Zerhacken nur mit Betäubung? Das ist zynisch.“
K: „Die Nekrophilie dieser Spezies ist möglicherweise ein essenzieller Bestandteil ihrer Kultur. Sie brauchen das letzte große Opfer. Aber wir sollten Ärzte nach Belor schicken. Sie könnten viele Kranke und Verwundete vor der Maschine bewahren und außerdem helfen, überflüssigen Nachwuchs zu verhindern.“
T: „So willst du die Beloraner zähmen.“
K: „Nicht zähmen … so wild sind sie nämlich gar nicht. Mir würde es schon reichen, wenn sie etwas weiter denken würden, als ihre schwarzen Kackekrümel fliegen können. Es braucht dafür nur einen Schwachpunkt, um den Hebel anzusetzen und ihr tristes Gedankengebäude zum Einsturz zu bringen Ich denke, du hast ihn bereits gefunden.“
T: „Ich? Meinst du etwa diese arme verstümmelte Kreatur?“
K: „Du sagtest doch, dass die Königinnen der anderen Stöcke nicht besser aussehen. Durch jede beloranische Großfamilie geht ein Riss. Die Königinnen werden gleichzeitig erhöht und erniedrigt. Man quält sie, beutet sie aus … und gibt ihnen dennoch eine ganze Menge Macht. Auch da gibt es einen Riss mitten durch die Individuen. Da ist viel Hass im Spiel.“
T: „Du willst also die Parteien gemütlich aufeinander hetzen und ihnen dann die Gesetze der Liga überstülpen? Jetzt bin ich aber enttäuscht!“
K: „Nein, ich denke an etwas ganz anderes. Wir heilen die Königinnen, stärken ihre Position und schaffen so eine ganz neue Art von Gerechtigkeit … wie viel solche Großfamilien mag es auf Belor geben?“
T: „Viele hat der Krieg ausgelöscht … aber ich schätze … halt, ich habe die korrekte Zahl: Elftausenddreihundertneun.“
K: „Wir brauchen also ungefähr fünfhundert Chirurgen …“
T: „Die Königinnen …“
K: Sie werden bestimmt dankbar sein. Ich gehe jetzt rein zu dieser Sassia Pirr und rede mit ihr. Ich werde sie notfalls auch da, wo sie am wabbeligsten ist, streicheln. Das ist der neue Weg zum Frieden wert.
T: „Du bist und bleibst ein Pragmatiker.“
K: Wäre dir ein durchgeknallter Idealist lieber? „
T: „Nein, nicht wirklich. Außerdem finde ich es schön, dass wir wieder einer Meinung sind.“
K: „Gib es zu, du hattest doch Schiss vor dem Bau.“

III: Erstes Krankenhaus der Liga in Karthala

T: „Heute wird die letzte Königin gesund nach Hause entlassen. Damit hat sich Belor von Grund auf verändert. Und dann noch das zusätzliche Lametta … Du kannst zufrieden sein.“
K: „Du aber auch. Du führst jetzt ein eigenes Schiff.“
T: „Stimmt. Ich bin gerade ziemlich glücklich. Das Wichtigste ist jedoch: Die Beloraner scheinen unser Eingreifen in ihre Gesellschaft langsam zu akzeptieren.“
K: „Das stimmt so nicht ganz. Die Königinnen sind uns sehr dankbar, auch wenn sie sich noch nicht offiziell geäußert haben. Die Arbeiterinnen sind tief gespalten. Einige vermissen die Macht, die sie über ihre Königin hatten. Andere wünschen sich zusätzliche Freiheiten. Denen können wir sicher helfen.“
T: „Und die Soldaten?“
K: „Die würden gern wieder Krieg spielen und müssen statt dessen den Arbeiterinnen beim Wiederaufbau helfen. Sie sollen sich hervortun, um bei ihren Königinnen vorgelassen zu werden und haben keine Gelegenheit dazu. Sie haben in jeder Hinsicht die Arschkarte gezogen.“
T: „Dann ist die Kriegsgefahr noch nicht vorbei …“
K: „Stimmt. De Soldaten haben den Sinn ihres Lebens verloren.“
T: „Was für ein Irrsinn! Wenn die Männlichen die beloranische Gesellschaft auf links drehen, wird ihre Aggressivität ins Unermessliche steigen. Dann war es vielleicht doch falsch …“
K: „Scheiß drauf! Ich will jetzt nicht darüber nachdenken, ob es falsch war, den Käfern etwas Gutes zu tun. Schau mal … da kommt die jüngste Königin auf ihren eigenen gesunden Beinen die Treppe herunter. Es sieht graziös aus. Sie ist viel zierlicher als ihre Kolleginnen.“
T: „Und sie kommt direkt auf uns zu!“
K: „Shit! Jetzt wird es wahrscheinlich rührselig!“

J: „Gute Gedanken und Frieden! Ich bin Jaika Bomm. Seid ihr die, die ich suche und auf wen wartet ihr?“
T: „Thalno aus dem Hause Boras.“
K: „Koolmak aus dem Hause Ennu. Ja. Wir stehen deinetwegen hier herum. Du bist die letzte Königin, die ihre Beine und Flügel zurückerhalten hat. Wir wollten sehen, wie du abfliegst.“
J: „Habt ihr bei den elftausenddreihundertacht anderen Königinnen auch zugesehen?“
T: „Das nicht, nur wenn wir ausnahmsweise Zeit hatten …“
J: „Zzzzzzz! Ihr haltet euch für große Wohltäter.“
K: „Was weißt du schon über uns!“
J: „Eine ganze Menge. Du, Thalno, bist ein ganz Guter. Du hast die Vernichtung unserer Biosphäre verhindert, indem du dich ohne Schutzanzug hinunter auf den Planeten begeben hast. Das war eine edle, wenn auch möglicherweise dumme, Tat. Ein Teil meines Volkes ist nämlich noch immer im Feindschaftsmodus.“
T: „Ich … hmm … vielleicht …“
J: „Dich, Koolmak, verstehe ich überhaupt nicht. Erst hast du deine geballte Logik ins Feld geführt um die Erlaubnis für einen Overkill zu erhalten, dann lässt du dich von ein paar Männern in weißen Mänteln aufhalten … und am Ende freundest du dich mit ihnen an und machst Milliarden Krediteinheiten locker, damit beloranische Königinnen wieder laufen und fliegen können. Was treibt dich an, Heylaner?“
K: „Ich mag Frauen. Ich fand es unerträglich, wie man euch verstümmelt, bevormundet und ausgebeutet hat.“
J: „Und die Folgen? Hast du darüber nachgedacht?“
K: „Es gibt eine Theorie: In Gesellschaften, in denen Frauen anständig behandelt werden, geht es insgesamt gerechter und vernünftiger zu.“
T: „Es war ein möglicher Weg zum Frieden. Nicht so sicher wie der Overkill, dafür ethischer und logischer.“
J: „Und wer hat die Idee ausgebrütet, dass eine heile Welt an den intakten Beinen und Flügeln von Königinnen hängt?“
T: „Das war Koolmak. Er ist ein Romantiker.“
K: „Grrrr! Das war in erster Linie logisch.“
J: „Was ist ein Romantiker?“
T: „Jemand der an die große Liebe und an edle Helden glaubt.“
K: „Mach mich nicht zum Trottel!“
J: „Ich möchte auch etwas Romantisches tun. Sicher ist das gut für unsere Völker. Koolmak, ich habe gehört, dass du kürzlich zum Admiral befördert wurdest, dass dir jetzt zwei Adjutanten zustehen und eine der beiden Stellen noch frei ist. Ich möchte für dich arbeiten.“
K: „Du bist eine Königin. Du hast andere Pflichten.“
J: „Habe ich nicht mehr. Eure famosen Heiler haben auf meinen Wunsch 98 Prozent meiner Eier abgesaugt. Ich gehöre jetzt zu keiner Kaste mehr und kann frei entscheiden, was ich mit meinem Leben anfangen will. Ich möchte arbeiten und irgendwann euer Konzept der Kleinfamilien ausprobieren.“
K: „Ich weiß nicht, was ich sagen soll …“
J: „Geh den Weg zum Frieden bis zum Ende und sag ja. Belor muss den anderen Ligawelten gleichgestellt werden. Ihr müsst die Ligaflotte für unsere Soldaten und die Baustellen aller Ligawelten für unsere Arbeiterinnen öffnen. Und was mich angeht: Ich kann ziemlich gut strategisch denken.“
K: „Jaika! Das ist doch nicht die ganze Wahrheit.“
J: „Ich möchte in deiner Nähe sein. Wir sind zwar inkompatibel aber … und ich will lernen, was Demokratie bedeutet.“
K: „Du hast das hier alles genau geplant …“
J: „Zzzzzz! Ja.“
K: „Wie kommst du ausgerechnet auf mich?“
J: „Weil du dir so einen romantischen Augenblick redlich verdient hast.“
T: „Weil du im richtigen Augenblick umgekehrt bist.“
K: „Grrr! Ihr übertreibt doch maßlos. Aber einverstanden. Willkommen an Bord, Jaika vom Planeten Belor.“

(C) 2017 Anneliese Wipperling

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