Meuterei auf Titan: 2016 Collection of Science Fiction Stories

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Verlag Moderne Phantastik

Bewährungsproben auf fernen Planeten, Außerirdische in geheimnisvollen Missionen auf der Erde, unsichtbare künstliche Intelligenzen, seltsame Visionen, gefährliche Parallelwelten und vieles mehr – das sind die Themen dieser spannenden Anthologie. Sie enthält 28 neue, bisher unveröffentlichte Erzählungen von 23 bekannten und renommierten Autoren. Tief in den Raum, zurück in die Vergangenheit oder weit in die Zukunft entführen die Erzähler ihre Leser. Die Anthologie versteht sich als ein breit gefächertes Beispiel von Sciene Fiction – Stories, die im Jahr 2016 in Deutschland geschrieben wurden.
Mit Stories von: Frank Lauenroth – Jacqueline Montemurri – Sven Svenson – Matthias Falke – Galax Acheronian – Oliver Koch – Norbert Fiks – Gerd Frey – Lara Möller – Olaf Kemmler – Regine Bott – Olaf Lahayne – Dieter Bohn – B.C. Bolt – Janos Teleki – Tobias Reckermann – Irene Maschke – Christian Künne – Adriana & Amanda Wipperling – Julia Annina Jorges – Peggy Weber-Gehrke – Rico Gehrke

Gibt’s bei Amazon ab 3,99 € (Kindle-Edition).

Anneliese und ich sind in dieser Anthologie zum ersten Mal als Mutter-Tochter-Team mit einer gemeinsamen Geschichte vertreten. Hier gibt’s zwei Leseproben:

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Es ist dunkel und kalt. So kalt, dass sich die Elementarteilchen kaum noch bewegen und die Atome jederzeit implodieren können. So kalt, dass meine Gedanken verschwimmen, dahinkriechen, mein Geist buchstäblich einfriert – und das ist für einen Intellektuellen wie mich ein Desaster. Es dauert unsäglich lange, bis mein Name zurückkommt: Kraataij. Ich versuche mit aller Kraft, mich zu erinnern, wie ich hier gelandet bin, wo einst mein Platz war, worin meine Schuld besteht … Schuld. Das ist der Grund, warum ich einsam durch das kalte dunkle Nichts drifte. Ich muss für etwas büßen. Aus großer Verantwortung entstehen manchmal große Fehler.

Primitive Völker halten mich vermutlich für einen Gott. Schön wäre es, aber ich und meine dreitausend Gefährten sind nur Relikte aus dem vorigen Kosmos. Wir bestehen aus purer mentaler Energie und verfügen über Kräfte, die einen Gammablitz auslösen oder eine Sonne am Explodieren hindern können.

Aber auch wir waren einst körperliche Wesen: Aorai, die letzte Zivilisation vor dem Untergang des vorigen Universums. Wir fristeten unsere Existenz in tristen Bunkern unter der Oberfläche, weil die immer näher zusammenrückenden Sterne alle Planeten in Gluthöllen verwandelten. Eines Tages hatten einige von uns dieses sinnlose Leben satt und gingen lieber hinaus in die Hitze unserer halb geschmolzenen Städte, um wenigstens ein einziges Mal die Schönheit des schrumpfenden Universums zu bewundern. Wir wussten, wir würden brennen – aber es war das einzig Sinnvolle, was uns blieb. Dieser tiefe Wunsch nach einem Sinn, nach Bedeutung, nach einer Aufgabe hielt unsere Seelen am Leben, als unsere Körper verbrannten. Nicht einmal der Kollaps des alten und die Geburt des neuen Universums konnten uns auslöschen. Wir waren stärker als der Urknall und das machte uns vielleicht ein bisschen größenwahnsinnig. Jedenfalls wird mir das vorgeworfen.

Als wir nach unserer Widergeburt durch den expandierenden Kosmos streiften, genügte es uns nicht, nur stille Beobachteter zu sein. Wir wollten, dass es den zukünftigen Lebewesen dieses Universums besser ging, als uns, und begannen, an den Gesetzen der Physik herumzuschrauben. Damit wir dabei kein heilloses Chaos anrichten konnten, musste einer die Leitung übernehmen. Derjenige war ich als einer der Ältesten und Klügsten – als einziger Kosmologe.

Ich will nicht behaupten, dass wir immer alles richtig gemacht hätten, aber bisher hat das Universum ganz gut funktioniert. Bis zum dem Tag, als ich ins Nirgendwo verbannt wurde. Hier gibt es zwar weder Licht noch Leben noch Informationen, doch ich ahne, dass sich in der normalen Welt die Entropie ausbreitet wie eine Seuche.

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Ameisen-Klauen bohren sich in meine linke Schulter, Tigerkrallen in meine rechte. Es riecht nach Schweiß und Todesangst. Aus einem Transportkorb unter der Rückbank mauzt es kläglich.

Dass ich meine Katze auf diesen Höllentrip mitgenommen habe, bereue ich jetzt schon. Wenn dieses arme, unschuldige Wesen mit uns zusammen im kosmischen Abfluss verschwindet, verzeihe ich mir das nie! Dieses verwöhnte, dreifarbige Knuddelbiest namens Miezie, das mir zwei- bis dreimal am Tag oskarreif vorspielt, es würde verhungern.

Miezie, die sich letztes Jahr verdoppelt hat.

Nein, ich habe nicht zu viel gesoffen oder illegale Drogen genommen – es gibt Miezie tatsächlich in zwei Ausführungen: die kleine kompakte, die mir vor zehn Jahren als winziges Kätzchen auf einem Bauernhof in die Arme gesprungen ist – und eine knapp eins-sechzig große, die aufrecht gehen und sprechen kann und früher ein Lurch mit einem Riesengehirn war.

Ihre Spezies nannte sich Humili, sie waren die älteste Zivilisation des bekannten Universums und hatten bereits jeden Mist hinter sich, den sich ein Volk nur ausdenken kann: Demokratie, Diktatur, Faschismus, Herrschaft der Weisen, Genmanipulationen, sogenannte Selbstoptimierung … Dabei hatten sie zwei kolossale Fehler gemacht: An ihrer eigenen Sonne herumgepfuscht, bis sie sich in kürzester Zeit zum roten Riesen aufgeblasen hat, und ihre Körper verändert, so dass sie zum Schluss die Bezeichnung „Körper“ nicht mehr verdienten. Die Humili mutierten zu Wasserköpfen mit Kaulquappen-Ärmchen, kaum noch fähig, sich zu bewegen oder fortzupflanzen. Roboter-Ammen haben sie herumgetragen, gefüttert und die Scheiße hinter ihnen weggeputzt.

Kein Wunder, dass bei einer Mehrheit des Volkes der Wunsch aufkam, den Reset-Knopf zu drücken, zu den Wurzeln zurückzukehren, wieder funktionierende Körper zu haben – wunderschön, stark und elegant. Gibt es dafür ein besseres Vorbild als Katzen?

Trotzdem – als ich eines Tages diesen hochoffiziellen Brief der Regierung von Humil erhielt, dass eine Angehörige ihres Volkes eine DNA-Probe von Miezie haben wolle, um sich daraus einen neuen Körper zu züchten, fragte ich mich, wer mich da verarschen will. Wie oft passiert es schon, dass ein fünfhundert Jahre altes Alien über deine Instagram-Seite stolpert, sich in deine Katze verknallt und aussehen will, wie sie? Es hat die Humili viel Arbeit gekostet, mich zu überzeugen, dass meine Miezie keine fiesen Tests über sich ergehen lassen muss und tatsächlich nur eine winzige Gewebeprobe benötigt wird. Zum Glück war es nicht schlimmer als ein Routinecheck beim Tierarzt, Miezie geht es bestens und die Humili haben mich großzügig entlohnt, so dass ich nicht mehr auf dem Bau arbeiten muss.

Jetzt sitzt dieses jüngste Produkt humilischer Selbstverbesserung neben mir, versucht ihre eigene Panik weg zu schnurren, hat die Ohren angelegt, die Augen weit aufgerissen und bohrt ihre Krallen schmerzhaft in meinen Oberarm. Ihr Schwanz peitscht unruhig hin und her, sie sieht überhaupt nicht mehr wie eine Astrophysikerin von einem anderen Planeten aus – sondern ganz wie Miezie, wenn sie die Dobermänner nebenan kläffen hört.

„Kannst du nicht ein bisschen mehr Energie in die Schubumkehr leiten?“, fragt sie nervös.

„Was meinst du, was ich die ganze Zeit versuche? Mehr Energie geht nicht!“

„Aber irgendwas müssen wir tun“, jammert die Humili – oder Kass, wie sich ihre Spezies seit der Transformation in sprechende Miezies nennt.

„Warum fliegst du dann nicht diese scheiß Kiste?“, gebe ich entnervt zurück. „Wieso mache ich überhaupt mit bei diesem Wahnsinn?“

Etwas zwickt mich sanft in die Schulter, ein Insektenfühler streift meine Stirn und eine fremde Präsenz meinen Geist. „Du weißt es. Du weißt es tief in deinem Herzen“, flüstert Lakki, die telepathische Ameise, in meinen Gedanken. Die Jil’Takka, korrigiere ich mich. Ihr Volk lebt auf der ursprünglichen Heimatwelt der Humili und war unbemerkt von einer Insektenkolonie zu einer intelligenten Spezies mutiert.

Genau dort wollen wir jetzt hin.

„Der Ring der Königinnen kann uns helfen“, meinte Lakki am Tag, bevor wir aufbrachen.

„Helfen? Wobei?“, hakte ich nach.

„Kontakt zu der Kraft zu finden, die das Universum zusammenhält“, erwiderte Lakki geheimnisvoll.

Ich runzelte die Stirn. „Hoffentlich ist das kein religiöser Hokuspokus. Ich bin nämlich märkischer Heide.“

Zuerst zog Lakki beleidigt die Fühler ein. Dann schickte sie mir Bilder – grauenvolle Bilder: Ein Regen tödlicher Sternschnuppen vor einem dramatisch dunklen Wolkenhimmel, brennende Städte, brennende Menschen, kochende Ozeane und tiefschwarze Abgründe, in die wir alle stürzen werden. Ich kapierte instinktiv, dass eine Apokalypse bevorstand – und zwar eine echte und keine dieser Verschwörungs-Spinnereien, die mit Nostradamus, dem Maya-Kalender oder Planet X zu tun haben. Nein, diesmal ist das bevorstehende Ende greifbar nah. Ich fühlte die sengende Hitze und den giftigen Qualm, der meine Lungen verätzte. Ich spürte, wie meine Augäpfel schmolzen.

Als Lakki die geistige Verbindung löste, tastete ich voller Panik mein Gesicht ab und war extrem erleichtert, dass meine Haut noch dran war.

Lakki, die als Adjutantin des Captains auf der Heyla’Thur diente, versuchte ihren Chef davon zu überzeugen, dass wir dringend handeln müssten. Doch der Captain, ein älterer bleichgesichtiger Heylaner mit Stock im Arsch, erklärte hochnäsig, dass ihr Vorhaben anmaßend, viel zu riskant und vollkommen unlogisch sei. Mit diesen Worten drehte er sich um, ging auf die Brücke und würdigte uns keines Blickes mehr. Lakki ließ traurig die Fühler hängen.

Meine Erde und andere Planten sollen also in einem großen Brand untergehen, weil dieser heylanische Schnösel seine Jil‘Takka nicht ernst nehmen will?

Nein, soweit darf es niemals kommen!

Also haben wir beschlossen, die Sache auf eigene Faust durchzuziehen. Wir: ein einfacher Kesselflicker, eine telepathische Ameise von der Größe eines Meerschweinchens, eine sprechende Katze, die vor kurzem noch ein Lurch war, und ihr Mini-Me im Katzenkorb, das ein penetrantes, ängstlich-forderndes „Määäiiij“ von sich gibt. Hat was von Guardians of the Galaxy.

Oder – um einen anderen Lieblingsfilm von mir zu zitieren: „Manchmal läuft das ganze Leben auf eine einzige, irrwitzige Entscheidung hinaus.“

Ich hoffe, meine erweist sie sich als richtig.

 

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