Anneliese & Adriana Wipperling, Hans B., Walter Kiesenhofer, Gerd Schleusner: „Im Licht des Abends stand der Bach still“

Cover im Licht kleinDie befreundeten Autoren Hans B., Adriana und Anneliese Wipperling, Walter Kiesenhofer und Gerd Schleusner reisen gemeinsam durch Zeit und Raum. Sämtliche Illustrationen stammen von den Autoren der Geschichten und Gedichte.

Die Anthologie beginnt mit einer Shortstory, die vom Untergang des vorigen und dem Beginn unseres Kosmos erzählt. Ein Weltgeist wird geboren und sorgt von nun an für ein lebensfreundliches Universum.

In weiteren Geschichten und Gedichten offenbaren sich die Geheimnisse und Abgründe hinter scheinbar alltäglichen Begebenheiten.
Der Leser erlebt fantastische, humorvolle, berührende und erschreckende Momente der Gegenwart und Zukunft auf der Erde, im All und auf fremden Welten.
Dichter der Erde und fiktive Poeten anderer Planeten enthüllen ihre Gedanken, Gefühle und Träume, ihren Zorn, ihre Liebe und ihre Verzweiflung.

Am Ende der Reise ist „Gott“ ausgelaugt und entmutigt. Der vorzeitige Untergang des ganzen Universums droht.
Wird es gelingen, dem Leben eine neue Chance zu geben?

Hans B.: „Der Träumer im Traum“:

Es war einmal eine mächtige uralte Schlange.
Sie schlief jahrhundertelang in den Tiefen der unteren Erde.
Eines Tages erwachte sie, brach die Erde auf
und kroch sich windend und wandernd
lange über weite menschenleere und kahle Einöden.
Ein Riese,
auf den sie überraschend stieß,
erschlug sie,
zerstückelte sie mit der silberglänzenden Sichel des Mondes
und verscharrte sie in einer tiefen Mulde.
Aus der Mulde erwuchs nach kurzer Zeit ein mächtiger Baum,
mit tiefen Wurzeln, einem starken Stamm
und einer weit ausladenden, immergrünen Krone.
Er blühte ohne Ende, das ganze Jahr lang,
und trug gleichzeitig Früchte.
Erdfrüchte,
nicht essbar, nicht zu pflücken,
die zahlreich dicht an dicht wuchsen
und dadurch eine neue, obere Erde bildeten.
Seltsame Früchte waren das,
aus Sand und Lehm, aus Steinen und fettem Mutterboden,
mit winzigen Landschaften, Bergen, Tälern, Ebenen und Mulden.
In eben einer solchen Mulde dieser oberen Erde schlief ein Mann.
Er war nackt,
umschlungen nur von den Haaren und Armen einer Frau,
bedeckt und geschützt von ihrem Gesicht.
Es war Nacht.
Sterne fielen in das Haar der Frau –
und in den Traum
des Träumers im Traum des Träumers des Traums im Traum des Träumers im Traum …

 

Walter Kiesenhofer: „cool“:

herde erkaltet
feuer erloschen
räume leer

jagend männer
jagend frauen
weiter nur weiter

herde erkaltet
menschen erloschen
feuer leer

endlich
alles
ausgecoolt

 

Adriana Wipperling: Auszug aus „Metamorphose“

Doch Laiina und Maiitró waren fröhliche Larven. Damals hatten sie noch Flügel besessen, sie segelten über den Dächern, fraßen Blätter von Bäumen, lachten und träumten. Manchmal trieben sie sich in den Schmuddelbezirken herum, spielten zwischen Mülltonnen und verfallenen Bauten, kicherten über die Betrunkenen, die mit schlackernden Beißzangen aus den Tavernen getorkelt kamen, erzählten sich Gruselgeschichten bei Kerzenschein …
Bis ihnen eines Tages etwas wirklich Gruseliges passierte: Ein einzelnes, riesiges, gelbes Auge glühte hinter einer verrotteten Mauer auf, ein Kopf mit überdimensionierten Beißzangen kam zum Vorschein, dann ein paar scheußlich deformierte Gliedmaßen …
Maiitró und Laiina rannten, was ihre acht Beinchen hergaben, schlugen verzweifelt mit ihren Flügeln … endlich hatten sie genug Schwung, um abheben. Die Greifer des Monsters verfehlten nur knapp Laiinas Hinterteil.
„Hoffentlich war euch das eine Lehre“, zischte ihre Mutter erbost. „Ich hatte euch doch verboten, in solch düsteren Gegenden herumzuflattern! Seid froh, dass ihr fliegen könnt – sonst wärt ihr längst von wilden Tieren verspeist worden.“
„Aber das war kein wildes Tier. Es war ein Mann“, widersprach Laiina. „Warum sah er so verunstaltet aus?“

 

Anneliese Wipperling: Auszug aus „Es werde Gott“

Auf den ersten Blick sehen die Straßen von Heyla’Thur wie immer aus: Die grelle Mittagssonne schlägt sie gnadenlos platt. Hell gekleidete Heylaner diskutieren in den Arkaden leise und diszipliniert an melodisch plätschernden Brunnen. Einige Außenweltler schleppen sich im Schatten der niedrigen Häuser und Gartenmauern dahin. Sie ächzen und taumeln, während die Hitze ihnen den Schweiß von ihren gedunsenen Gesichtern leckt. Ein paar kleine Jungen jagen kreischen ihrem zahmen Whiskal hinterher. Ein Mädchen wiegt im Schatten eines Indukibaums hingebungsvoll eine grünlich bemalte Puppe.
Das Unheil kommt lautlos und unerwartet.
Winzige Glasvögel fallen lautlos vom Himmel und verwandeln sich beim Aufprall in leichte silbrige Aschehäufchen. Überall bilden sich mehrere Djibb große rauchige Kugeln, in denen alles schrumpft – auch die Lebewesen, deren trostlose Schreie die Umahs der zehn großen Meister martern. Risse ziehen sich kreuz und quer durch die Mauern der Wohnstätten, werden immer breiter – bis alles donnernd zusammenbricht. Aber da sind die Heylaner und Außenweltler längst verstummt.
Dann lösen sich riesige Flashs aus der Atmosphäre der Sonne, die sich abrupt dunkelblau verfärbt. Die Lebewesen außerhalb der rauchigen Kugeln verbrennen. Nichts bleibt übrig. Die Sonne scheint immer näher zu kommen, bis sie irgendwann ein Viertel des Himmels einnimmt. Ein dunkelroter Schmelzfluss ebnet alles ein. Heyla ist tot.

Farbcover: Adriana Wipperling
Seitenzahl: 197 Seiten DIN A4
Preis: 5,00 EURO
Altersbeschränkung: Keine
Bezug: www.xinxii.com

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