Es gibt verschieden Gründe, aus denen fremde Charaktere in deine Geschichte geraten können. Vielleicht schreibst du ja einen historischen Roman, die Lebensgeschichte einer berühmten Persönlichkeit, eine Geschichte zu einer Fernsehserie … oder du versuchst, aus einem Rollenspiel, an dem ursprünglich viele verschiedene Leute mitgearbeitet haben, einen Roman zu basteln. Auf jeden Fall hast du es mit Charakteren zu tun, die du nicht besonders gut kennst, die erst einmal nicht Geist von deinem Geist sind. Damit sie in deiner Geschichte funktionieren, musst du dir etwas einfallen lassen. Nach meinen Erfahrungen ist es am besten, erst einmal herauszufinden, zu welcher Kategorie diese Fremden gehören … und danach über ihr Schicksal zu entscheiden.
1. Die Handzahmen:
Es gibt Figuren, die irgendwann auf der Matte stehen und darum bitten, hereingelassen zu werden. Sie sind wie Katzen, die zwar ein Zuhause haben, aber auch ihre Bratkartoffelverhältnisse lieben … die sich gern mehrere Optionen offen lassen, falls man sie zu Hause rausschmeißt oder ihr Untertan sich einen Partner sucht, der nicht gerade auf destruktive Fressmonster steht. Manche sind auch massiv unzufrieden und suchen ganz gezielt ein Plätzchen, wo sie sich nach ihrem eigenen Gutdünken breitmachen können. Die Handzahmen sind pragmatisch und freundlich. Wie zugelaufene Katzen passen sie sich auch als Erwachsene problemlos an ihren neuen Besitzer an.
Mir ist nur einmal eine Figur zugelaufen: Tuvok, der mit seinem Image bei Voyager unzufrieden war und gern ein wenig mehr Tim Russ geglichen hätte. Nun, ich konnte ihm bei der Erforschung seines Innenlebens helfen und ihn von seinen schlimmsten Neurosen befreien. Jetzt lebt er still und zufrieden irgendwo in meinem Heylauniversum und versteht sogar, dass ich ihn dort nicht mehr öffentlich auftreten lassen kann, weil er zu sehr mit den Star Trek-Universum verbunden ist. Tuvok ist eben ein feiner Kerl!
2. Die Pappaufsteller
Manche Autoren benutzen Pappaufsteller als Nebenfiguren. Sie stehen irgendwie in der Gegend herum, man kennt ihre Gesichter und weiß, was sie anhaben. Bei der Rückseite kann man nur vermuten, dass sie sich im Rohzustand befindet und eine Art Pappfuß angeklebt ist, der für eine begrenzte Standfestigkeit sorgt. Ein Innenleben ist bei einer zweidimensionalen Figur nicht vorhanden. Pappaufsteller sind ebenfalls leicht zu okkupieren: Man erschafft einen eigenen interessanten Charakter, verpasst ihm das Gesicht und die Klamotten des Pappkameraden … und schon marschiert er willig los.
T’Pel war so eine Pappfigur. Ich wusste von ihr nur, dass sie wild die Augen aufreißen kann und Tuvok mit „Mein Ehemann“ anredet. Der wilde Blick und das bürokratische Gefasel passten überhaupt nicht zusammen. Auch T’Pel darf jetzt als Kah’Pel auf Heyla weiterleben. Da sie nicht so berühmt wie ihr Ex ist … und die Frauennamen jetzt sowieso ganz anders klingen … muss sie sich nicht einmal verstecken. Gute Kah’Pel! Sie hat mir mehrmals versichert, wie sehr sie es genießt, Turuska und dreidimensional zu sein.
3. Verwandte Seelen
Manche Fremden sind auf Anhieb sympathisch … fast, als würden sie schon immer zur Familie gehören. Im Gegensatz zu den Handzahmen verändern sie sich jedoch in der neuen Umgebung auf subtile Weise. Es gibt keine zwei Autoren, die sich hundertprozentig gleichen … nicht einmal, wenn es eineiige Zwillinge sind. Der ursprüngliche Schöpfer der Figur wird sein adoptiertes Kind zwar wiedererkennen, aber dennoch anfangs mehr oder weniger heftig protestieren: „Also meine Yanar ist aber nicht so aggressiv!“ Dann musst du dich entweder mit dem anderen Autor auf einen Kompromiss einigen, auf deinem Standpunkt beharren … oder die Figur ist fremdartiger als du dachtest und du lässt besser die Finger davon!
Auf keinen Fall darfst du bei jeder Szene darüber nachgrübeln, was der andere Autor jetzt schreiben wohl würde. Denn sonst wird der Charakter dir niemals wirklich gehören und vom lebenden Wesen zum Pappaufsteller mutieren.
Fremde, die mit deiner Familie in Wirklichkeit nichts zu tun haben wollen, solltest du so bald wie möglich ziehen lassen. Gut, du warst ein bisschen in sie verliebt, aber es lässt sich halt leider nichts erzwingen …
4. Multiple Persönlichkeiten
Diese Spezies findet man vorrangig in Serien aller Art. Zeitdruck, mangelnde Kommunikation zwischen den Drehbuchautoren und schlampige Produzenten sorgen dafür, dass die Figur eigentlich nur vom Schauspieler zusammengehalten wird … und wenn dieser eine Knetmasse ohne eigene Meinung ist, hast du in jeder Folge eine andere Persönlichkeit vor dir. Dann stimmen nur noch Name und Aussehen überein. Ich habe das bei Pille … der eigentlich ein eher leichter Fall ist … einmal gründlich recherchiert: Es gibt nicht einmal ein einheitliches Vokabular!
Eigentlich sollte man von multiplen Persönlichkeiten besser die Finger lassen. Wenn das leider nicht geht, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder verfährt man mit ihnen wie mit Pappaufstellern … die Drehbuchautoren haben sie schließlich auch nicht besser behandelt … oder man pickt sich eine Variante heraus und hält an ihr fest. Dann funktionieren sie wenigstens einigermaßen … mein Pille war am Ende auch ganz kooperativ.
Dennoch ist es mir nie gelungen, ihn mir richtig anzueignen oder etwas Wichtiges über ihn herauszufinden. Ich glaube nicht, dass ich mich noch einmal auf ihn einlassen möchte.
5. Minimal Kompatible
Viele Fremde wirken auf uns unverständlich, irritierend oder sogar unsympathisch. Man wird nicht richtig warm mit ihnen. Wenn sich doch so etwas wie eine Beziehung einstellt, ist sie meist sehr zerbrechlich … oder einfach nur eine Illusion. Glaub mir: Diese Figuren machen nichts als Ärger und wenn du ihnen irgendwie aus dem Weg gehen kannst, dann tu das, ohne zu zögern! Weiß der Teufel, was der andere Autor an diesen abartigen Leuten gefressen hat! Du verstehst sie nicht wirklich, also weg mit ihnen!
Schlimm ist, wenn die minimal Kompatiblen auch noch multiple Persönlichkeiten sind! Ich sage nur: „Janeway!“ Was für eine krude Mischung aus angepasster Streberin, spießiger Mittelstandsmieze, Dusseltier, begnadeter Forscherin und leichtsinnigem Haudegen! Ich vermute, dass Kate Mulgrew ein wenig zu fügsam war, um aus dem Murks der Drehbuchautoren und Regisseure eine plausible Figur zu machen. Leider konnte ich Janeway nicht umgehen, weil Tuvok sie unbedingt dabei haben wollte …
Wahrscheinlich ahnt kein Leser, mit welcher Intensität ich auf Janeway eingedroschen habe, wie unsäglich schwer es war, sie endlich doch zu unterwerfen. Ohne die Hilfe des Tok’Ra Selmak wäre mir das nie gelungen!
Ich weiß nicht, ob ich mir so eine Knochenarbeit noch einmal aufladen möchte. Ich rate zur Vorsicht im Umgang mit diesen Leuten!
6. Inkompatible
Wenn eine fremde (oder auch eigene) Person partout keinen Kontakt zu dir aufnehmen will, gibt es leider nur einen Ausweg: So schnell wie möglich wegputzen! Ab in die nächste Raumanomalie oder in ein schönes kühles Grab. Falls der Schöpfer ein Freund von dir ist, kannst du dem störrischen Biest ja einen besonders glorreichen Heldentod gönnen. Wichtig ist, dass du es los wirst, bevor es dir die ganze Geschichte versaut!
Fazit:
Schau dir genau an, wen du über die Grenze lässt. Assimilier die Fremden so schnell wie möglich. Lass keine Ghettobildung zu und schieb alle ab, die deine Grundgesetze nicht respektieren … oder einfach nur langweilig oder unsympathisch sind. Es ist nämlich jetzt deine Geschichte … dein Territorium, das du beschützen musst.
© 2005 by Anneliese Wipperling
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