Die Sehnsucht nach Helden und Erlösern gibt es so lange, wie es intelligentes Leben gibt. Aber solch eine Legendenbildung ist gefährlich, weil sie zu hemmungslosem Personenkult führen kann …
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Madras aus dem Hause Kinsai: Rede anlässlich des Sieges über die Feuerhänder
(Übersetzung von Anneliese Wipperling)
“Liebe Mitstreiter und Freunde! Vor zwei heylanischen Tagen wurde dem Triumphat bei den Feuermulden der Kopf abgeschlagen … es gibt keine flammenden Schöpfer mehr und ihre führerlosen Handlanger werden sich nicht mehr allzu lange behaupten können. Viele von ihnen konnten bereits gefangen genommen oder eliminiert werden. Es ist gewiss nicht zu früh, von einem großen Sieg zu sprechen, zumal der Übergang zu Frieden und Normalität sich nur ganz allmählich vollziehen wird. Es ist von der Gegenseite niemand mehr da, der eine Kapitulationsurkunde oder einen Friedensvertrag unterzeichnen … oder für einen geordneten Rückzug der feindlichen Truppen sorgen könnte.
Die Bewohner und Gäste der Höhlen des Hauses Raban wissen genau, dass sie schon bald hinaus ins Freie gehen, den Wind der weiten Wüste atmen und die Sterne und Monde Heylas sehen werden. Auf dem Weg hierher habe ich die Begeisterung der Menge gespürt. Das hat mich einerseits erfreut, denn ich habe hier unten während der fünf Decenna, die der Krieg gedauert hat, einige schlimme Emotionen aufgenommen: Hass, Verzweiflung, Wut, Aggressivität … Resignation und Trauer. Ich bin froh, dass es damit vorbei ist. Dennoch bin ich beunruhigt. Die Freude der Höhlenbewohner hat aus meiner Sicht etwas Irrationales, Hysterisches … und ihre Dankbarkeit fokussiert sich leider auf eine einzige Person … auf mich.
Solch eine Legendenbildung ist gefährlich, weil sie einerseits zu hemmungslosem Personenkult führt … und weil sie andererseits die Gesundheit und Integrität des Umahs jener Person, die auf so irrationale Weise angebetet wird, nachhaltig zerstören kann. Niemand ist so edel, dass er in so einer Situation nicht irgendwann anfängt, sich selbst für genial, unfehlbar und göttlich zu halten. Um der Demokratie auf Heyla und der Zukunft unserer Kinder willen muss diese alberne Lobhudelei energisch unterbunden werden!
Ich schlage vor, dass wir sofort damit beginnen, die ganze Wahrheit über unsere Kämpfe, Zweifel, Irrtümer, Niederlagen und Siege aufzuzeichnen. Dabei muss eindeutig erkennbar werden, dass ich ohne den Rat und die Hilfe der Vielen kläglich gescheitert wäre … und dass etliche unverzeihliche Fehler auf mein Konto gehen … dass ich oft kurz davor war, unter der Last der Verantwortung zusammenzubrechen oder auf schmähliche Weise die Kontrolle zu verlieren. Ich denke zum Beispiel daran, dass die von mir empfohlenen Giftspender in den Höhlen beinahe einen Aufstand provoziert hätten, der all unsere Pläne vereitelt hätte.
Oder nehmen wir nur einmal die Schlacht bei den Feuermulden: Es war leichtsinnig von uns, ohne Reserveenergiezellen in den Kampf zu ziehen … und es hätte uns viel Angst und Kummer erspart, wenn wir die Feuerhänder nicht unterschätzt und vorsorglich eine zweite Waffe mitgenommen hätten … oder wenigstens den Techniker Argip, der Am’Ramahs Hammer erfunden und gebaut hat.
Wenn wir vorausschauender gehandelt hätten, wären die sieben gefallenen Schutzgeister von Nakkar noch am Leben. Am’Ramah, der Eine, der alles sieht und sehr selten eingreift, hat sie vor langer Zeit erschaffen, um eine instabile Sonne zu zähmen. Sie waren gut, tapfer, pflichtbewusst und selbstlos … dass sie nicht mehr da sind, erhöht die Entropie im Universum beträchtlich … und es erfüllt mich mit Schmerz, Trauer und tiefer Scham.
Ohne den technischen Sachverstand des talurischen Piloten Ikat Valna und sein ausgeprägtes Improvisationstalent wäre unsere Waffe nicht rechtzeitig einsatzbereit gewesen und zwei flammende Schöpfer wären entkommen und hätten den Krieg neu entfachen können.
Vielleicht wären viele oder sogar alle Schutzgeister umgekommen, weil wir mit der Jagd auf die beiden Bestien und unserem eigenen Überleben beschäftigt gewesen wären, statt unsere geschwächten Verbündeten aus dem Inferno zu retten. Wie hätten wir danach den Nakkaranern in die Augen sehen können … wohl wissend, dass ihnen irgendwann durch unsere Schuld das gleiche grausame Schicksal wie den Urheylanern bevorstehen würde?
Ich möchte kein Idol sein … nur ein guter Premierminister, der beim Wiederaufbau Heylas weniger Fehler macht, als im Krieg gegen das Triumphat.
Ich möchte, dass sichtbar wird, wie wichtig die Selbstlosigkeit und Hingabe der Vielen ist … dass ein Anführer nichts ist, wenn er nicht über starke, kluge, tapfere und integre Kämpfer verfügt.
Ich möchte, dass wir eine Ordnung schaffen, die jedem heylanischen Bürger die Möglichkeit gibt, entsprechend seinen Fähigkeiten zu wachsen.
Ich möchte, dass die Macht geteilt wird … und niemand die Möglichkeit hat, an ihr zu kleben, wie ein hirnloses Insekt am Leim.
Ich möchte, dass es für das Volk Heylas nichts wichtigeres gibt, als das Cthia zu ehren.
Ich möchte, dass unsere Kultur sich weiterentwickelt.
Ich möchte, dass Heyla ein Vorbild für andere Welten wird.
Deshalb bitte ich den großen Philosophen Andal und die unbestechliche Richterin Kah’Jara um ihren Beistand bei der Erschaffung einer neuen Ordnung … und ich bitte die Vielen, den beiden dabei zu helfen. Ich danke euch für eure Aufmerksamkeit und warte auf eure Meinung.”
(Auszug aus: Anneliese Wipperling: “Gesang mitten im Feuer“ , 2006)
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