Kindermund

Immer Ärger mit dem Nachwuchs! Als ihr Baby eine kristalline Lebensform verschleppt, sieht die cardassianische Botschafterin Yanar Antorra eine diplomatische Krise auf sich zukommen …

 Star Trek Story von Adriana Wipperling

Ich liebe meinen neuen Posten – aber ich hasse die morgendliche Hektik. Von Zeit zu Zeit überlege ich sogar, in der Botschaft übernachten, wo ich nicht Gefahr laufe, morgens im Halbschlaf über Arons Futterkiste zu stolpern … oder über T’Narak, die auf dem Fußboden herumkrabbelt und an den Teppichfransen lutscht, weil sie angeblich „saure Nährstoffe“ enthalten. Dabei weiß die kleine Landplage mit Sicherheit nicht, was Nährstoffe sind, und ich habe keine Ahnung, was sie da wieder mal in Arons oder meinem Geist gelesen hat. Vermutlich in meinem, denn mein Mann ist Vulkanier, ein starker Telepath. Der Glückliche kann sich abschirmen, wenn er keinen mentalen Kontakt wünscht – ich dagegen merke es meistens nicht einmal, wenn jemand meine Gedanken liest.

Aber T’Narak zu sagen, dass sie nicht in meinem Geist herumschnüffeln soll, ist genauso zwecklos, wie ihr zu verbieten, die Zeltstangen hochzuklettern. Damit hat sich mich eines Tages dermaßen zur Weißglut gebracht, dass ich ein Bündel Socken nach ihr geworfen habe … Sie hat nur leise gejauchzt und versucht, es zu fangen. Wahrscheinlich muss sie erst runterfallen und sich ein paar blaue Flecke holen, bevor sie von ihrer Klettersucht geheilt ist.

Dabei kann sie so niedlich sein, wenn sie sich eine fixe Idee in den Kopf gesetzt hat! Ihre Augen sind dann riesengroß und ganz ernst, sie wirkt in solchen Augenblicken richtig weise, obwohl das gewaltig täuscht.

Ich stecke meine Haare hoch, klemme mir T’Narak unter den Arm … sie protestiert lauthals, weil ich sie von ihrem geliebten Teppich wegreiße … und mache mich schleunigst auf den Weg zur Transporterplattform des Hauses Boras. In einer Stunde trifft die Wallanische Delegation in der Botschaft ein und ich habe eine ganze Woche an meiner Begrüßungsrede gearbeitet. Immerhin haben die Wahrträumer der Turuska vorausgesehen, dass Cardassia eines Tages in die Föderation aufgenommen wird und ich als Botschafterin Cardassias auf Vulkan einen wichtigen Beitrag dazu leisten werde. Meine Pflichten nehme ich ernst!

Leider hat unsere Babysitterin T’Paslar sich die Hüfte gebrochen weil sie gestern Abend – mit ihrem Gemahl an selbiger verbunden – von einem Felsvorsprung gefallen war. Ihr Mann hat wohl Glück gehabt, weil er weich auf ihr gelandet war. Mir hat sie einmal gestanden, dass sie nur unter freiem Himmel und in Schwindel erregenden Höhen für eine gute Entrückung inspiriert sei. Ansonsten bekäme sie nur fade, abgedroschene Visionen beim Orgasmus. Nun ja, T’Paslar ist Arons Nichte und auf ihre Weise genauso verrückt wie er. Wahrscheinlich verstehen sie und T’Narak sich deshalb so gut … Seit T’Paslar einmal auf meine Kleine aufgepasst hat, werden die anderen Kindermädchen schlicht und einfach ignoriert.

Aron ist in seiner Praxis … eine Bindungslöschung bei irgendeiner Philosophiebürokratin … er hat sich vollständig abgeschirmt. Also bleibt mir nichts weiter übrig, als T’Narak heute in die Botschaft mitzunehmen und zu hoffen, dass diese Wallaner kinderlieb sind. Dabei kriegen sie überhaupt keine Kinder … jedenfalls nicht so wie wir Humanoiden. Die Wallaner sind anorganische Lebensformen, wunderschöne, funkelnde Kristalle, etwa handtellergroß. Ein erstaunliches Volk … es beschäftigt sich fast nur mit Kunst und Philosophie. Ich freue mich schon sehr auf das Treffen und hoffe, dass T’Narak sich anständig benimmt.

Als wir in Shi’Kar materialisieren, sieht sie sich mit großen Augen um … dann zeigt sie auf einen vorübergehenden Andorianer.

„Mama, Mama, blauer Mann mit Löffeln auf dem Kopf“ , quietscht sie begeistert.

„Das sind keine Löffel, Schätzchen, sondern Fühler“ , erkläre ich geduldig. „Er ist ein Andorianer und kann damit riechen.“

„Ando…“ Sie schafft es nicht, das schwere Wort auszusprechen. Dann strahlt sie. „Fühler!“

Oh nein … ich kenne diesen Blick! Wie sie dem Andorianer hinterher starrt und dabei ungeduldig an meinem Arm herumzerrt … Sie hat sich schon wieder eine fixe Idee in den Kopf gesetzt! Wahrscheinlich will sie die Fühler anfassen oder … Ich halte ihre Hand so fest ich kann, denn wenn ich mir das Gewühle auf der Straße ansehe … meine Kleine wird sich hoffnungslos verirren und ich werde sie nicht wieder finden … dann darf ich die Ordnungshüter rufen … Wenn ich das hier überstanden habe, pflanze ich ihr einen Transponder ein und nehme zu jedem Ausflug einen OrtzuOrtTransporter mit!

Oder ich lege sie ganz einfach an die Leine.

Der Transporterchief bittet mich um meinen Kreditchip, ich greife in meine Handtasche … das kleine Biest nutzt die Ablenkung sofort und reißt sich los. „T’Narak, bleib stehen – sofort!“ brülle ich ihr verzweifelt hinterher. Natürlich hört sie nicht auf mich.

Einige Passanten drehen sich neugierig um, der Transporterchief – ein bleicher, gefriergetrockneter Philosophiebürokrat – hebt lediglich eine Augenbraue.

„Warten Sie bitte einen Augenblick – mein Kind …“

„Ihren Chip bitte“ , fordert er ungerührt.

„Aber machen Sie schnell!“ fauche ich ihn an.

Oh, dieser geistig retardierte Selath! Ich sehe T’Narak nicht mehr … sie ist in der Menge verschwunden. Wie kann sie auf ihren kleinen Beinchen nur so flink sein? Das ist mir ein Rätsel … Also halte ich Ausschau nach den Fühlern des Andorianers … Da! Zu dumm, dass ich in diesem langen, engen Kleid, das ich für den Empfang angezogen habe, nicht vorwärts komme … In einem plötzlichen Geistesblitz ziehe ich mein Armeemesser aus der Tasche, schlitze den Rock rechts und links bis zu den Hüften auf … egal, ob diese Wallaner mich nachher schief angucken … die haben doch nicht einmal Augen!

Nun kann ich endlich rennen! Jetzt drehen sich die Leute erst recht nach mir um und schütteln ihre spitzohrigen Köpfe. In der Hauptstadt Vulkans ist man wohl nicht an den Anblick von Cardassianern gewöhnt – vor allem nicht, wenn sie wie die aufgescheuchten Moorhühner durch die Fußgängerzonen flattern und jeden beiseite schubsen, der ihren im Weg ist.

T’Narak steht, wie erwartet, vor dem Andorianer und streckt ihr kleines Händchen nach ihm aus. Er lächelt amüsiert auf sie herab – doch als er mich erblickt, verfinstert sich seine Miene. „Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?“ fragt er kühl.

„Ich bin Botschafterin Yanar Antorra, die Kleine ist zufällig mein Kind.“

„Soviel zu der Theorie, dass cardassianische Kinder gehorsam seien“ , meint er spöttisch.

„Sie ist ein vulkanisches Kind, wie man sieht“, kontere ich genauso frostig. Es stimmt ja auch. Im Institut für Genetik wurden meine cardassianischen Erbanlagen vollständig übersetzt, T’Narak ist schwarz wie ihr Vater, hat große graue Augen und kleine süße spitze Ohren. Immer diese Vorurteile! Es ist schließlich nicht meine Schuld, dass ich auf dem falschen Planeten geboren wurde, und ich wünschte selbst oft, es wäre anders.

 * * *

 Mit T’Narak auf dem Arm betrete ich mein Büro und wahrscheinlich wirke ich genauso abgehetzt wie ich mich fühle. Jivara, meine Adjutantin, mustert mich jedenfalls skeptisch bis entsetzt von Kopf bis Fuß. „Meine Güte, Yanar, was ist passiert? Bei allem Respekt – Sie sehen aus, als wären Sie hinter einem Gleiter hergeschleift worden!“

„Übertreibung war schon immer Ihr Problem, Jivara.“

Obwohl ich sie angrinse, wird sie bleich. „Das sagte die Hohe Richterin Makbar auch.“

„Es tut mir Leid …“ Meine Hand ruht kurz auf ihrer Schulter.

Früher war sie Universitätsdozentin in der Mektat-Kolonie. Was sie „übertrieben“ hatte, waren die Verbrechen des cardassianischen Militärs während der Grenzkriege.

Ich fürchte, T’Narak hat einige Bilder aus ihrem Geist aufgeschnappt, denn sie versteckt sich ängstlich hinter meinem Rücken. Jetzt lugt sie hervor und Jivara ist voll verwandelt. „Wen haben wir denn da?“ ruft sie entzückt. „Na, du bist ja ein süßes, kleines, herziges …“

T’Narak hält den Kopf leicht schief und lutscht an ihrem Mittelfinger.

„Wie alt ist sie jetzt? Achtzehn Monate?“

Ein Glück! Ich hatte schon befürcht, Jivara gehöre zu dieses Frauen, die in Anwesenheit eines Kleinkindes binnen dreißig Sekunden Sprachzentrum und Großhirnrinde ausschalten!

„Siebzehn“, korrigiere ich.

„Das ist ja erstaunlich – sie läuft schon so gut!“

Bei soviel Komplimenten wird T’Narak zutraulich und krabbelt ein Stück näher. Sie ist sehr wählerisch, was den Umgang mit Fremden betrifft – aber irgendwie hat sie sich spontan entschieden, meine Adjutantin zu mögen. „Du siehst ja aus wie Mama!“ ruft sie voller Begeisterung und Jivara strahlt.

„Das stimmt nicht ganz, aber Jivara ist Cardassianerin, wie ich.“

„Sprechen kann sie auch schon – wie wundervoll!“

„Ja, sie läuft und sie spricht – und das ist manchmal ein großes Problem“, seufze ich.

Ich habe beobachtet, dass Turuskakinder besonders früh sprechen lernen, was wohl an ihren telepathischen Fähigkeiten liegt. Und T’Narak ist mental genauso begabt wie ihr Vater … höchstwahrscheinlich hat sie auch seine Fähigkeit geerbt, mit der puren Kraft des Geistes Lust und Schmerz zu erzeugen … sogar zu töten. Zum Glück hat sie noch nicht herausgefunden, wie man das anstellt! Mir ist der Gedanke extrem unheimlich … die Vorstellung, dass mir T’Narak in ihrer Bockphase die Eingeweide grillt …

„Yanar, die Wallanische Delegation ist soeben ins Foyer gebeamt“, teilte mir mein Sicherheitsattaché via Com-Anlage mit.

„Danke. Dann werde ich mich mal in die Empfangshalle begeben …“

Meine Adjutantin räuspert sich. „Ihr Kleid, Yanar …“

„Hach, ja … Können Sie mir vielleicht eins leihen?“

„Natürlich.“ Jivara macht sich auf den Weg zur Garderobe, schüttelt den Kopf und lächelt.

T’Naraks Glucksen begleitet sie.

 * * *

Meine Rede vor der wallanischen Delegation war ein voller Erfolg. Die Anwesenden applaudierten und die winzigen Translatoren auf den Rücken der Wallaner blinkten anerkennend. Obwohl es für mich eine echte Premiere war, einer gepolsterten Schachtel voller Kristalle etwas über Völkerverständigung zu erzählen …

Ich teilte meinen Mitarbeitern je einen Wallaner zum Herumtragen und Bemuttern zu, führte die Offiziere des Sternenflottenschiffes, das die Waller befördert hat, zum Buffet, beantwortete die Fragen von einem halben Dutzend Journalisten und – absolut vertieft eine philosophische Diskussion mit dem ovalen grünen Chefkristall – bemerkte ich nicht, dass Ikat, mein Sicherheitsattaché, etwas von mir will. Erst jetzt, als er mich anstubst … „Yanar, ein Mitglied der Wallanischen Delegation ist verschwunden!“

„Was … Wie bitte?“ stammele ich und der Wallener auf meiner Hand blinkt ganz alarmiert mit seinem Translator herum. „Wer ist es?“

„Der Kultusminister.“

„Hast du einen Verdacht, wer mit seinem Verschwinden zu tun haben könnte?“ Doch nicht etwa diese rassistischen Fanatiker von „Vulkans Reinheit und Macht“ …

Ikats breites, jungenhaftes Lächeln beruhigt mich etwas. „Ich möchte ja niemandem etwas unterstellen … aber der Botschafts-Kindergarten ist wohl nicht gerade ausbruchssicher.“

„Willst du damit andeuten, T’Narak sei hier rumgekrabbelt?“

„Ein kleiner, schwarzer Kugelblitz, der mit T’Narak identisch gewesen sein könnte.“

Ich kann nur noch entnervt seufzen, verabschiede mich höflich von dem grünen Wallaner und überlasse ihn Ikats fürsorglichen Händen.

Plötzlich verlöschen sämtliche Lichter und Com-Bildschirme im Raum, ein paar Frauen schreien leise auf, ein Tellarit in Sternenflottenuniform grunzt missbilligend, sämtliche Presseleute stürzen sich sofort mit Mikrophonen auf mich … da merken sie, dass ihre kleinen Aufnahmegeräte nicht funktionieren. Ich verkneife mir ein schadenfrohes Kichern, denn das wäre nicht sehr diplomatisch. Außerdem werden sie sich früh genug rächen, wenn sich herausstellt, dass mein kleines Biest von Tochter … ich kann mir die Schlagzeilen schon lebhaft vorstellen: „Krabbelkind gefährdet diplomatische Beziehungen!“

„Meine Damen und Herren, seien Sie beruhigt. Wir haben alles unter Kontrolle!“ Meine Stimme klingt freundlich, aber energisch, wie es sich gehört. „Ich werde mal kurz nach dem Rechten sehen … Genießen Sie das Buffet – ich bin gleich wieder für Sie da! Und Seien Sie versichert, dass wir in Kürze die Ursache dieser … Unannehmlichkeit finden.“

Aber die kenne ich längst: Wallaner sind keine hübschen, bunten Klunkern, sondern Geschöpfe von großer Macht. Die U.S.S. CASABLANCA war tagelang im Orbit ihrer Heimatwelt gefangen, weil der Captain ein paar besonders angesehene Philosophen respektloser Weise in seine Tasche gestopft hatte. Dem Schiff war sämtliche Energie entzogen worden, das Außenteam konnte nicht raufbeamen, die Lebenserhaltung versagte … Glücklicherweise klärte sich das Missverständnis und Walla wurde Mitglied der Föderation.

Hoffentlich sind sie diesmal auch so großmütig! Bitte, T’Narak …

Wie befürchtet, lutscht sie an einem trapezförmigen roten Kristall herum.

„T’Narak, nimm sofort den Kultusminister aus dem Mund!“

Sie sieht mich nur mit kreisrunden Augen bar jeder Vernunft an. Dabei versteht sie mit Sicherheit, was ich von ihr will, und das macht mich wütend …

„Also, hör mal zu: Wie würde es dir wohl gefallen, wenn man dich in eine dunkle Höhle sperrt und von Kopf bis Fuß einschleimt? Soll ich das mal mit dir machen? Dieser Kristall ist ein fühlendes Wesen und kein Spielzeug!“ Mir ist es todernst und das spürt meine Kleine.

Sie legt den Kristall auf den Tisch und fängt bitterlich an zu weinen.

Ich habe Bauchweh und weiß nicht, wen ich zuerst trösten soll: T’Narak oder den Wallaner … Kurz entschlossen nehme ich mein Baby in den Arm, greife mit der anderen Hand nach dem unglückseligen Kultusminister und wische ihn mangels Taschentuch vorsichtig am Sitzpolster ab. „Ich bitte vielmals um Verzeihung, Herr Minister … Ich weiß nicht, ob Sie Erfahrungen mit humanoidem Nachwuchs haben, aber meine Tochter ist noch sehr jung und weiß nicht, was sie tut. Bitte fassen Sie es nicht als böswillige Absicht auf …“

Meine wortreiche Entschuldigung scheint ihn zu besänftigen. „Neugeformte Wallaner entwickeln ihr Bewusstsein auch nur allmählich“, ertönt seine glockenhelle Stimme in meinem Kopf. „Die Schuld an der Unvollkommenheit Ihres Abkömmlings liegt nicht bei Ihnen.“

Das Licht geht wieder an, der Wallaner hat mir und T’Narak verziehen. Ich atme erleichtert auf und winke Jivara heran. „Bitte seien Sie so lieb und holen Sie T’Narak einen Lutscher … lesen Sie ihr was Schönes vor … nur machen Sie, dass sie beschäftigt ist!“

 * * *

Der Empfang der Wallanischen Delegation ist mittlerweile drei Tage her – und heute bekam ich eine offizielle Einladung vom Wallanischen Regierungsrat: Ich soll mich auf der ihrer Heimatwelt einfinden und „meinen Nachwuchs mitbringen“. Letzteres bereitet mir die größten Bauchschmerzen. Den halben Tag war ich mit Reisevorbereitungen beschäftigt – und die andere Hälfte des Tages mit vulkanischer Meditation zwecks Besänftigung meines Drangs, alles kaputtzuschagen. Verdammt, ich habe doch bereits getan, was ich konnte, um die Wallaner zu beschwichtigen, und eigentlich bin ich davon ausgegangen, das T’Naraks unangemessenes Genuckel vergeben und vergessen sei! Wer weiß, was die Regierung für ein bizarres Entschuldigungs-Ritual von mir verlangt … oder von T’Narak … Sie wissen doch, dass meine Kleine ein unschuldiges Kind ist!

Aron steht plötzlich hinter mir, legt seine Arme um mich, reibt sein – leicht stoppeliges – Gesicht zärtlich an meinen Halskämmen und streicht mir aufreizend langsam über die Brüste … offensichtlich, um mich aufzuheitern. „Bist du jetzt überzeugt, dass es besser ist, mich mitzunehmen?“ raunt er mir ins Ohr.

„Nun ja, du bist zu fünfzig Prozent verantwortlich für T’Naraks Existenz ist somit für dieses völkerrechtliche Desaster …“

„Ist das der einzige Grund, weshalb du mich dabei haben willst?“

„Zu zweit haben wir T’Narak besser im Griff. Wer weiß, was sie anstellt …“

„Wenn dir das solche Sorgen macht, gibt es immer noch Jivara. Dort wäre sie für ein paar Tage gut aufgehoben.“

„Du schlägst vor, die Kleine hier zu lassen und den Wallanern irgendeine Ausrede aufzutischen, weshalb wir unseren ‚Nachwuchs’ nicht mitbringen konnten?“ Ich lächle ihn schief an. „Gib’s zu: Du hast nur keine Lust, hinter ihr herzuputzen, wenn sie mal wieder die Wände mit dem Inhalt ihres Nachttopfes bemalt“, necke ich ihn.

„Du weißt, wie sehr ich T’Narak liebe … aber ihre Fäkalien sind etwas anderes.“

„Ach, und deshalb überlässt du sie mir? Ich weiß noch, als T’Narak ein Baby war, wolltest du dem armen Kind tatsächlich einen Schlauch in den Hintern schieben, weil du zu faul zum Windeln wechseln warst …“

„Ich wollte dir doch nur die Arbeit erleichtern!“

„Und ich hätte mich scheiden lassen, wenn du das gewagt hättest!“

„Du kannst mir nicht vorwerfen, dass sämtliche Drecksarbeit an dir hängen geblieben wäre! Dieses so genannte Gemälde hast du nämlich mir überlassen.“

„Weil ich es nicht übers Herz gebracht habe, etwas zu zerstören, dass von soviel Talent zeugt. Abgesehen von seinem Geruch war es nämlich sehr hübsch.“

Aron lacht leise. „Ich sollte mal heimlich in deinen frühkindlichen Erinnerungen graben …“

„Damit du weißt, was dir noch bevorsteht? Du wolltest ja unbedingt ein Kind, das nach mir kommt – das hast du nun davon.“

„Es ist die fleischgewordene Entropie, aber ich weiß, es wird eine faszinierende Frau.“

„Bis es soweit ist, musst du dich leider mit ihrer Unvernunft herumschlagen.“

„Ich bin Gedankentechniker und ich hatte schon so manches auf meinem Behandlungstisch, das wesentlich unvernünftiger war als T’Narak.“

Mir wir ganz warm bei seinen Worten. Ich weiß, dass er mich und die Kleine über alles liebt … egal, was wir ihm für Stress bereiten.

„Hast du alles Wichtige eingepackt? Zahnbürste, Handtücher, Echsengift?“

„Du sollst dich nicht ständig über die alten Methoden turuskischer Gedankentechniker lustig machen!“ tadelt er mich. „Die sind nämlich sehr wirksam.“

„Wetten, dass du den Bindungspartner dieser Philosophiebürokratin heute früh mal wieder von oben bis unten mit deinem rostigen Käsemesser aufgeschlitzt hast?“

„Ich habe nicht den Mann aufgeschlitzt, sondern sein Abbild im Geist meiner Patientin. Nur so konnte ich ihre Bindung an ihn löschen.“

„Wird dieses Hauen und Stechen auf die Dauer nicht etwas langweilig? Möglicherweise hätte es der Dame besser gefallen, wenn du ihren ungeliebten Gemahl mitsamt einer Bohrinsel in die Luft gejagt hättest oder …“

„Du weißt, ich liebe dich mehr als mein Leben, Yanar – aber misch dich bitte nicht in meine Arbeit ein. Das geht zu weit!“

„Sei nicht gleich beleidigt! Das war doch nur ein Verbesserungsvorschlag.“

„Habe ich dir jemals Verbesserungsvorschläge gemacht?“

„An meiner Arbeit gibt es nichts zu verbessern!“

Mein entwaffnendes Lächeln sorgt dafür, dass seine Hand langsam unter den Bund meiner Hose wandert. „Vielleicht sollte ich das in unsere nächste Entrückung einbauen …“

„Was, die Bohrinsel? Oh Aron, du bist komplett übergeschnappt!“

„Ich nehme das als Kompliment.“

 * * *

Die Menschen haben vor Jahrhunderten eine wichtige Entdeckung gemacht: Murphys Gesetz. Das bedeutet: Alles, was nur schief gehen kann, geht schief – besonders, wenn der Anlass wichtig ist. Daran musste ich heute denken, als ich den Rat der Anführer um einen Kampfflieger bat. Piri erinnerte mich mit einem ironischen Lächeln daran, dass diese Woche ein großes Manöver stattfindet und alle Kampfflieger gebraucht würden.

„Soviel zum photographischen Gedächtnis der Cardassianer“, lästerte er.

„Ich habe zu viele Termine, um sie alle im Kopf zu behalten“, schoss ich ärgerlich zurück. „Dieser ganze Diplomaten-Kram ist neu für mich … jede zweite Woche eine Dienstreise zu irgendeinem abgelegenen Planeten, jeden dritten Tag ein Staatsbesuch … stell dir vor – ich muss sogar einen Plan aufstellen, welches Abendkleid ich zu welchen Anlass anziehe! In solchen Momenten sehne ich mich beinahe nach dem cardassianischen Militärknast zurück. Dort gab es nur einen Kittel für alles!“

Piri lächelte halb amüsiert, halb mitleidig.

„Und dann habe ich noch T’Narak …“ fuhr ich leise seufzend fort.

Piri schnappte meine Gedanken auf. „Sie hat schon wieder irgendwas angeknabbert …“

„Den wallanischen Kultusminister.“

„Ich hoffe, du kommst lebend zurück.“ Er klopfte mir auf die Schulter und verschwand in den Höhlen des Hauses Raban.

Sachte schaudernd denke ich an T’Naraks letzten Flug mit einem Linienschiff zurück … Aron hatte ihr telepathisch vorgegaukelt, wir seien von Monstern umzingelt, die sie augenblicklich fangen und verspeisen würden, wenn sie sich mehr als einen halben Meter von uns wegbewegt. Es wirkte tatsächlich: T’Narak war ganz brav und klammerte sich ängstlich an mir fest … so lange, bis Aron vor Erschöpfung eingeschlafen war.

Ehe ich mit der Wimper zucken konnte, war T’Narak auf die Gepäckablage geklettert, krabbelte dort mit Warpgeschwindigkeit rauf und runter, brachte diverse im Weg liegende Handtaschen zu Fall, sprang schließlich einem verklärt lächelnden Sternenflotten-Commander in die Arme und pflückte ihm sämtliche Rangabzeichen vom Kragen. Zum Glück nahm er seine „Degradierung“ mit Humor.

Zu derlei Aktivitäten scheint sie heute keine Lust zu haben. Seit sie Piris Katze Kira begegnet ist, hat sie nämlich eine neue Lieblingsbeschäftigung: „Miez spielen“ . Im Klartext: Sie kippt ihr Essen auf den Tisch und leckt es genüsslich auf. Wir haben uns eben bei der Stewardess bedankt – schon verteilt die süße T’Narak ihren Brei auf der Platte.

„T’Narak … Nein!“, fauchte ich sie an.

Sie blickt erschrocken auf und blinzelt mit ihren Kulleraugen. Ob sie uns blamiert, ist mir allmählich egal – aber wer weiß, was in diesem Schiff für Krankheitskeime herumschwirren! Ich muss sie davon abhalten, diesen Brei aufzulecken – egal wie …

„Der Weltraum ist kalt“, beginne ich mit todernster Miene. „Und weißt du, was das heißt? Das Metall saugt die ganze Kälte von draußen auf … Wenn du also den Tisch ableckst, wird deine Zunge festfrieren … Das tut richtig weh, sage ich dir!“

Das Bild sorgt dafür, das T’Narak zurückschreckt. Aron unterstützt mich erfolgreich mit seinen telepathischen Kräften. Schließlich begnügt sich unser entzückender Nachwuchs damit, ein Werbeprospekt der Fluggesellschaft klein zu rupfen und die Schnipsel mit Brei an der Tischplatte festzukleben. Nach der Landung auf Walla greint sie, weil sie die Platte nicht mitnehmen darf. Sie ist wohl der festen Überzeugung, dass das, was sie da gerade fabriziert hat, ein besonders gelungenes Kunstwerk ist.

* * *

Walla. Keines der Bilder aus dem Datennetz wird der Schönheit dieses Planeten gerecht: leuchtend türkisfarbener Himmel, zartgelber Wüstensand und eine riesige weiße Sonne, die uns gnadenlos das Hirn versengt . Die Hitze ist selbst für mich kaum zu ertragen und die Schwerkraft scheint noch höher als auf Vulkan zu sein. Überall liegen Kristalle: rote, blaue, grüne, violette . Sie funkeln in der Sonne, dass es eine wahre Pracht ist! Ich habe mich immer noch nicht an den Gedanken gewöhnt, dass Lebensformen so existieren können: Ohne körperliche Kontakte, unfähig, sich fortzubewegen oder die Galaxie zu erforschen …

Puh, ich würde am liebsten alle Viere von mir strecken und T’Narak geht es genauso: Aron muss sie auf den Arm nehmen und tragen, wobei er fast zusammenbricht. Das lässt er sich in seinem Männlichkeitswahn zwar nicht anmerken, aber dank unserer Bindung spüre ich es dennoch. Ein menschlicher Verbindungsoffizier geleitet uns zum Premierminister – einem vergleichsweise kleinen, unregelmäßig geformten Wallerner von einem klaren, leuchtenden Azurblau. Er ist hier der erste, der einen Translator auf dem Rücken trägt. „Willkommen, Botschafterin Yanar Antorra vom Volke Cardassias”, begrüßt er mich. Wir tauschen ein paar Minuten lang Höflichkeitsfloskeln aus, dann fordert der Wallaner: „Heben Sie mich bitte auf und betten sich mich in Ihre Öffnung zur Kommunikation.”

Aron und ich blicken uns stirnrunzelnd an. Wir haben alles Mögliche erwartet – nur nicht das! Wenn dieser Wunsch nicht ausgerechnet von einem fünf Zentimeter breiten, blauen Kristall käme, hätte ich es glatt für eine sexuelle Anspielung gehalten! „Aber Ihr Kultusminister war sehr erzürnt, als mein Kind ihn in den Mund genommen hat“, halte ich dagegen.

Der Translator des Wallaners blinkt in allen Farben. „Mein Minister war nicht auf die ungezügelten Emotionen Ihres Abkömmlings gefasst. Das brachte seine Energien für einen Moment aus dem Gleichgewicht.”

„Also dann hat es ihm nicht missfallen?” begreife ich allmählich.

„Im Gegenteil: Er hat das humanoide Wesen zum ersten Mal in seiner Komplexität erfahren und wurde zu wunderschönen Melodien inspiriert. Ich werde es Ihnen zeigen .” Ich nehme ihn also vorsichtig in den Mund – und jetzt … Es ist unbeschreiblich! Ich fühle, erlebe es mit jeder Faser meines Körpers: sphärische Klänge von fremdartiger Schönheit, explodierende Farben, Bilder des Universums, wie es nur ein Wallaner sehen kann. Gedanken, für die ich keine Worte finde. „Man muss keine Raumschiffe bauen, um den Kosmos zu erforschen”, begreife ich. „Es gibt auch eine andere Art der Reise.”

„Nur Ihre innere Welt war uns bisher verschlossen”, erwidert der Wallaner. „Wir brauchten Translatoren und binäre Signale, um uns mit organischen Wesen zu verständigen. Aber Sie haben ein Geschöpf von besonderer Weisheit produziert, Yanar Antorra, und nun ist eine neue Ära hereingebrochen.” Jetzt muss ich doch laut lachen! Der Wallaner fällt aus meinem Mund und ich fange ihn gerade noch rechtzeitig auf. „T’Narak ist ein Baby! Alles, was ihr gefällt, muss sie anfassen und ablutschen. Das nennt man orale Phase. Darin liegt keine Weisheit, glauben Sie mir!”

Plötzlich spüre ich Aron wieder in meinem Geist – und denke das Gleiche, was er denkt: Die Wallaner verständigen sich durch elektromagnetische Felder, und elektrische Energie wird durch Feuchtigkeit weitergeleitet. Indem ich also einen Wallaner in den Mund nehme, werden seine Gedankenmuster direkt in mein Gehirn übertragen – und umgekehrt.

T’Narak döst in Arons Armen und er streichelt sie andächtig. „Vielleicht ist sie tatsächlich ein Geschöpf von besonderer Weisheit.” „Sie ist die Fleisch gewordene Entropie – das waren deine eigenen Worte.”

Aron lächelt zurück. „Ein bisschen Entropie ist offenbar gut für die Völkerverständigung.”

© 2005 by Adriana Wipperling

 

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