Ein Fest des Friedens

Während andere mit ihren Familien unterm Weihnachtsbaum feiern, befindet sich die Crew der USS DEFENDER im Kampfeinsatz. Ausgerechnet ein Klingonen-Angriff an Heiligabend bringt allen den Sinn des Weihnachtsfests wieder näher …

Star Trek Short Story von Adriana Wipperling

Lieutenant Marc van de Kamp strahlte, als er sich auf der festlich geschmückten Sternenbasis umsah. Die Hauptbeleuchtung war gedämpft, dafür funkelten über jedem Eingang Lichterketten, replizierte Tannen und Fackeln säumten das Promenadendeck, die Verkaufsbuden sahen wie kleine Lebkuchenhäuschen aus. Das Highlight war jedoch ein gemauerter Kamin im Zentrum des Platzes, die Nachbildung einer mittelalterlichen Burg. Marc fragte sich, ob das Feuer im Inneren echt oder nur holographisch war …

Nach der letzten Schlacht mit den Klingonen hatte die USS DEFENDER eine Generalüberholung dringend nötig – das wusste Lieutenant van de Kamp als Chefingenieur besser als jeder andere. Nun war das Schiff im Hafen von DEEP SPACE 4 eingelaufen und Captain Lairis hatte der gesamten Crew dienstfrei gegeben – für einen Ausflug auf den Weihnachtsmarkt.
Marc hoffte immer noch, das Sternenflottenkommando würde ihm an Weihnachten Urlaub gewähren … aber die Föderation war seit drei Monaten im Krieg mit den Klingonen. Ein völlig sinnloser Krieg, dessen Gründe der junge Lieutenant nicht nachvollziehen konnte. Es war wohl für einen Menschen manchmal schwer, die Klingonen zu verstehen, trotz der hundertjährigen Allianz beider Völker.
Eine Allianz, die gebrochen war, als der Klingonischen Kanzler Gowron aus heiterem Himmel beschlossen hatte, wieder zu kämpfen, zu erobern, andere Völker zu unterwerfen. Zuerst die Cardassianer, dann die Föderation … Lieutenant van de Kamp grübelte oft, wie es zu Gowrons Sinneswandel gekommen war – aber heute wollte er einfach nur die schöne Adventszeit genießen.

„Herrlich, nicht wahr!“ schwärmte er.
Seine Begleiterin, eine kurvenreiche Cardassianerin mit langem blauschwarzem Haar, wirkte nicht sonderlich begeistert. „Was soll daran herrlich sein, wenn man eine solide Kampfbasis der Sternenflotte in einen pseudoreligiösen Zirkus verwandelt?“ konterte sie finster. „Ich gebe ehrlich zu, ich kann kein Liedgut mehr hören, das von dieser merkwürdigen 3in1-Gottheit der Menschen handelt …“
Marc lauschte. „Also, dieses Lied handelt nicht von Gott, glaube ich.“
„Dafür aber von klimatischen Bedingungen, die für meine Rasse extrem umgesund sind.“
„Ach, Belora, ich hab diese Dreieinigkeit von Gottvater, Sohn und Heiligem Geist auch nie kapiert – und ich bin ein christlich erzogener Mensch.“
„Die einzig schlüssige Erklärung wäre für mich folgende: Dieser Gott oder Jesus hat eine Reise in die Vergangenheit unternommen, um sich selbst zu zeugen – was sicher mit einem überaus verzwackten Zeitparadoxon zusammenhängt … vielleicht hatte sogar ein Zeitschiff aus dem 29.Jahrhundert oder ein vulkanischer Wahrträumer die Finger im Spiel … Dann musste ein Ablenkungsmanöver her, also wurde diese abstruse Geschichte mit dem Heiligen Geist erfunden …“
„Glinn Belora Karthal, Sie sind der hoffnungsloseste Fall einer zynischen Materialistin, der mir je untergekommen ist!“ schimpfte er empört. „Glaubt ihr Cardassianer überhaupt an irgendwas? Abgesehen von eurem allmächtigen Staat und eurer eigenen Überlegenheit?“
„Unser Staat ist nicht mehr allmächtig“, erwiderte sie trocken. „Und als er noch allmächtig war, habe ich nicht an ihn geglaubt.“
„Dann glauben Sie also an gar nichts?“
„Nur an meine eigene Überlegenheit.“
Marc verdrehte die Augen.
Da hakte sich Jeremy Prescott, Sicherheitschef der USS DEFENDER, bei den beiden unter. „Na, Mission erfüllt? Ich hoffe es doch – denn wenn ich diese ganzen Engelschöre noch länger ertragen muss, wächst mir gleich Lametta aus den Ohren!“
Die Cardassianerin lächelte. „Kann ich davon ausgehen, dass sie dieses Fest auch nicht mögen, obwohl Sie ein Mensch sind? Das macht Sie doch gleich ein bisschen interessanter!“
„Muss ich dieses Fest mögen, nur weil ich ein Mensch bin?“ In Prescotts Frage schwang ein provozierender Unterton mit.
„Ich frage mich, weshalb die Menschen es überhaupt feiern, Schließlich gab es eine Epoche auf der Erde, wo fast jeden Tag irgendwo ein Mann geboren wurde, der sich später für Gott hielt …“
„Ja, der letzte war mein Vater“, grummelte Prescott.
„Was meinten Sie eigentlich mit ‘Mission erfüllt’?“ wollte Karthal wissen.
„Ich brauche einen Weihnachtsbaum“, erklärte Marc.
„Das heißt also, Ihre Mission ist noch nicht erfüllt …“ seufzte Karthal und Prescott stimmte in ihr Seufzen ein.
„Warum seid ihr nicht auf dem Schiff geblieben, wenn euch das alles so nervt?“ schoss der Lieutenant zurück.
Prescott zuckte die Achseln. „Ich weiß nicht … Gruppenzwang?“
Marcs Ärger klang nicht ab, als er die Auswahl an Weihnachtsbäumen begutachtete.
„Haben Sie keine Tannen mehr?“ fragte er den Händler mit einem Anflug von Verzweiflung in der Stimme.
Der Mann schüttelte bedauernd den Kopf.
„Fichten? Kiefern?“
Wieder ein Kopfschütteln.
„Haben Sie wenigstens replizierte Tannen?“
„Es tut mir leid – die replizierten Tannen sind auch schon alle.“
Marc ließ die Mundwinkel hängen.
„Machen Sie nicht so ein Gesicht, Junge“, versuchte ihn der Händler aufzuheitern. „Womöglich können Sie sich ja mit etwas … Außergewöhnlichem anfreunden … einem Weihnachtsbaum, den nicht jeder hat …“
„Na gut, zeigen Sie mal“, willigte Marc lustlos ein.
Was er dann sah, ließ sowohl ihm als auch Prescott die Kinnlade herunterklappen: Das Gebilde hatte in etwa die Wuchsform eines Tännchens – aber damit endete auch schon jede Ähnlichkeit. Es sah eher aus wie ein großer lila Farn und aus seinen fingerdicken Zweigen hingen silberne Ranken … oder Tentakel … Nein, es waren Würmer – und sie bewegten sich!
„Pfui Teufel, Was ist denn das?“ platzte Lieutenant van de Kamp heraus.
„Das sind Mileecrons. Sie leben in Symbiose mit diesem Baum“, erklärte der Händler voller Stolz. „Wir haben sie mit einer silbernen Lebensmittelfarbe bemalt, damit sie richtig festlich wirken … das kostet natürlich einige Krediteinheiten …“ Er kicherte verhalten. „Aber dafür sparen Sie das Lametta.“
„Nein vielen Dank, da kann ich das Teil ja gleich mit Gagh schmücken! Wenn die Klingonen unser Schiff entern, will ich nicht, dass sie auch noch meinen Christbaum abfressen!“
Prescott warf den Kopf zurück und lachte aus voller Kehle. „Deine Katze wäre bestimmt begeistert von diesem Baum.“
„Tierquälerei ist das!“ murrte Karthal. „Habt ihr Föderierten keine Direktive gegen solchen Blödsinn?“
Prescott lachte erneut und klopfte seinem Freund Marc auf die Schulter. „Also, sei mir nicht böse … ich nehme dich jetzt beim Wort, beame zurück aufs Schiff und überlassen dich deinem Elend.“
Marc nuschelte irgendwas.
„Ich komme mit“, verkündete die Cardassianerin.
Prescott lächelte ihr zu. „Sie sind noch nicht sehr lange Austauschoffizier bei der Sternenflotte … Ich hätte Sie vorwarnen sollen, dass Ihnen diese Folter nicht erspart bleibt.“
Karthal sah ihn alarmiert an.
„Weihnachten, meine ich.“
„Ach so. Von Folter hab ich nämlich ein für allemal genug.“
„Entschuldigen Sie.“ Prescott senkte den Blick, wie immer, wenn Karthal auf ihre schmerzhaften Differenzen mit dem cardassianischen Militär zu sprechen kam.

* * *

Als sie am nächsten Morgen ihren Dienst antraten, hofften sie, der süßlichen Weihnachtsromantik für die nächste Zeit entkommen zu sein. Doch sie hatten sich getäuscht. Die vielen bunten Lichter, die im Halbdunkel über der taktischen Konsole funkelten, gehörten auf keinen Fall zu den Armaturen …
„Captain, was ist denn das???“ fragte Karthal irritiert.
„Eine Lichterkette.“
„Auf der Brücke?“
„Die Birnen sind rot, gelb und blau. Passend zu unseren drei Alarmleuchten.“
Prescott schwankte zwischen einem Stöhnen und einem Lachen und verkniff sich beides. Captain Lairis Ilana war Bajoranerin, eine Frau von beinahe makelloser Schönheit, mit langen, kastanienbraunen Haaren, grünen Augen und einem rabenschwarzen Humor. Prescott verehrte sie, trotzdem musste er sich schwer beherrschen, um ihr keinen Vogel zu zeigen. Er konnte noch irgendwie verstehen, dass die Menschen so ein Affentheater wegen Weihnachten veranstalteten … Aber Lairis? Es war doch gar nicht ihr Glauben, ihre Kultur …
„Ich habe 146 Crewmitglieder in Bord, davon 82 Menschen abendländischer Herkunft“, erklärte sie – blickte dabei aber nicht Prescott an, sondern Karthal. „Es kann ihrer Moral nur gut tun, wenn der Captain ihre spirituellen Bedürfnisse respektiert.“
Was Prescott betraf, irrte sie sich gewaltig.

* * *

Julianna Lairis, die siebzehnjährige, halb menschliche Tochter des Captains, kam kurz vor Weihnachten von Bajor zurück. Sie fand, dass das Schiff reichlich kahl und überhaupt nicht weihnachtlich aussah – also bestellte sie kurzerhand einen ganzen Frachtcontainer voller Tannenzweige, Weihnachtsbaumschmuck und Lichterketten.
„Schatz, du bist wohl von einer tollwütigen Rastipure gebissen!“ schimpfte ihre Mutter ungehalten los. „Eine Energieüberladung – und dieses Zeug …“ Sie nahm einen der Zweige in die Hand. „… brennt schneller, als man ‘Heiliger Strohsack’ sagen kann! Das Letzte, was ich mir zu Weihnachten wünsche, ist ein Lagerfeuer auf meinem Schiff – besonders, wenn wir alle darin geröstet werden!“
„Mom, ich wollte doch nur …“
„Also gut, mein innenarchitektonischer Offizier, walte deines Amtes“, seufzte Lairis. „Mit den Lichterketten kannst du keinen Schaden anrichten – aber versuche nicht, sie an die Hauptenergieleitung anzuschließen. Und keine Adventskränze in sicherheitsrelevanten Bereichen, verstanden?“
„Schon gut, Mom. Ich bin lernfähig.“
„Das beruhigt mich sehr!“
Julianna schnappte sich so viele Lichterketten, wie sie unter ihre Arme klemmen konnte, und eilte glücklich mit fliegendem Haar davon.
„Captain …“ begann Marc mit Blick auf den Frachtcontainer. „Wir könnten doch die Tannenzweige nehmen, um damit die Offiziersmesse zu schmücken.“
„Meinetwegen, aber nur für die drei Weihnachtstage und nicht ohne die höchsten Brandschutzvorkehrungen.“
Aber das Leuchten ihrer Augen verriet, wie sehr ihr die Idee gefiel.

* * *

Am Morgen des 24. Dezember war Lieutenant van de Kamp ziemlich niedergedrückt. Einmal im wortwörtlichen Sinne, weil seine – mittlerweile recht gut genährte – Katze Misty quer über seinem Brustkorb lag. Zum anderen im übertragenen Sinne, weil er gezwungen war, das Weihnachtsfest auf einem Kriegsschiff nahe der klingonischen Grenze zu verbringen. Von allen Führungsoffizieren hatten nur Counselor T‘Liza und der Schiffsarzt, Dr. Ron Tygins Urlaub bekommen. Obwohl T‘Liza Vulkanierin war und überhaupt nicht Weihnachten feierte … Marc fand das unfair.
Er ließ seine Mutter ungern an Weihnachten allein. Seit Marcs Vater im Grenzkrieg gegen die Cardassianer gefallen war, neigte sie häufig zu Depressionen. Besonders, wenn das größte Familienfest des Jahres vor der Tür stand …
Er raffte sich auf, rollte die Katze von sich herunter und bewunderte seinen Weihnachtsbaum. Dunkelblaue Nadeln mit einem silbrigen Schimmer … Im Grunde war die rigellianische Petrolfichte wunderschön und Marcs Stimmung hob sich gleich ein bisschen. Er summte ein Weihnachtslied und begann den Baum zu schmücken – was gar nicht so einfach war, denn Misty versuchte jede einzelne Kuller zu fangen. Vor allem bimmelnde Glöckchen treiben sie zu absoluten Ekstase …
Dann bimmelte es an der Tür. Commander Jerad Kayn, der Erste Offizier, trat ein, grinste und drückte Marc ein kleines Päckchen in die Hand. „Fröhliche Weihnachten, Lieutenant!“
„Oh, danke …“ Marc strich sich schnell das wirre blonde Haar aus dem Gesicht. „Ich wusste gar nicht, dass Sie Weihnachten feiern, Jerad …“
„Ich bin ein Trill, wir feiern die Feste, wie Sie fallen … Oh, ein blauer Weihnachtsbaum von Rigel 4, wie originell! Na, wenigstens harmoniert er farblich mit Ihrer Katze – das ist sehr wichtig, wenn sie erst mal drin sitzt.“
Wie aufs Stichwort gab es ein begeistertes „Miau!“, Misty hing wie eine Fledermaus in den Zweigen und der Baum schwankte bedrohlich.
Jerad klopfte dem Lieutenant auf die Schulter und lachte. „Ich hab noch ein bisschen Zeit, bis meine Schicht anfängt … Was halten Sie davon, wenn ich das liebe Tierchen ablenke, damit Sie den Baum fertig schmücken können?“
„Leider können Sie nicht 24 Stunden am Tag hier sein“, seufzte Marc.

Die Offiziersmesse verwandelte sich in einen magischen Ort, erfüllt von herbem Tannenduft, erhellt von bunten Lichtern und dem prasselnden Feuer eines holographischen Kamins. Flammen und Lichter spiegelten sich tausendfach in goldenen Weihnachtsbaumkugeln, Kristallzapfen, künstlichem Schnee …
Captain Lairis hatte sich nicht davon abhalten lassen, beim Dekorieren mitzuhelfen. Nun trat sie einen Schritt zurück und betrachtete zufrieden ihr Werk.
Lieutenant van de Kamp räusperte sich. „Ich bin Ihnen wirklich dankbar, dass Sie mir erlaubt haben, diese Krippe in der Offiziersmesse aufzustellen, Captain, und Ihre Hilfe war auch durchaus wertvoll, aber …ähm … Sie haben Maria mit dem Hirten verpaart und Joseph die Schafe hüten lassen …“ Dann warf er einen scheelen Blick auf den ziegenbockähnlichen Kommunikationsoffizier neben ihm. „Gucken Sie nicht so gierig, Fährich Vixpan – das Heu ist nicht echt!“
Vixpan meckerte enttäuscht. Der letzte Tannenzweig, an dem er aus Neugier geknabbert hatte, fiel ihm wieder ein und sein Rückenfell sträubte sich. Die Nadeln zu verdauen, war kein Problem gewesen – doch er hatte die Hilfe einer Krankenschwester gebraucht, um das klebrige Harz von seinem Gaumen wieder abzukriegen.
Captain Lairis lachte leise. Vixpan war ein loyales und fähiges Mitglied ihrer Crew – nur obsiegte beim Anblick pflanzlicher Bestandteile immer wieder sein Magen.
Marc lächelte versonnen. Er fühlte sich in eine andere Welt versetzt, eine friedliche Welt, in der es keinen Krieg und keine Klingonen gab …
Ein Ruck schleuderte ihn gegen die Krippe, die Figur des Joseph stürzte um und sein Kopf kullerte wie ein makaberer Ball über den glitzernden Boden. Die Hauptbeleuchtung flackerte auf, sie war so ernüchternd wie eine kalte Dusche.
„Nicht schon wieder …“ fluchte Lairis erstickt, bevor sie im Laufschritt zum Turbolift eilte. Lieutenant van de Kamp und Fähnrich Vixpan folgen ihr auf dem Fuß.
„Wir werden angegriffen! Captain auf die Brücke! Ich wiederhole: wir werden angegriffen …“
„Ist ja gut, Prescott – ich bin doch schon unterwegs“, knurrte Lairis.

„Manchmal frage ich mich, wozu ich dieses Schiff überhaupt reparieren lasse“, schimpfte der Captain leise vor sich hin. Ihr rechter Uniformärmel war voller Brandlöcher, verursacht durch einen Funkenregen, der bei der letzten Systemüberlastung auf sie niedergeprasselt war. Die Haut darunter sah aus, als hätte jemand mehrere Zigaretten darauf ausgedrückt. Commander Jerad Kayn, der erste Offizier, hatte eine hässliche Brandwunde auf der Wange.
Der Rest der Brückencrew schien unverletzt zu sein.
Die beiden klingonischen Birds of Prey kämpften mit wilder Entschlossenheit, aber letztendlich waren sie der DEFENDER unterlegen.
Ein Klasse-5-Torpedo zerfetzte das Heck eines klingonischen Schiffes und Prescott erkannte, wie schwer es einigen Crewmitgliedern fiel, ausgerechnet an Heiligabend so viele Leben zu vernichten. Verdammt, seid nicht so sentimental! dachte er grimmig.
„Rufen Sie das Schiff!“, befahl der Captain – aber sie erhielten keine Antwort.
Als Lairis drohte, mit einem Enterkommando an Bord zu kommen, ging der Bird of Prey in Flammen auf.
„Mein Güte!“ entfuhr es Prescott.
„Sie haben sich selbst zerstört …“ Fährich Vixpan war schockiert.
„Aber warum?“ sinnierte Jerad. „Verdammt, was haben die zu verbergen …“
Sie hatten keine Zeit, lange darüber nachzudenken. Die brennenden Trümmer des Klingonenschiffes regneten wie ein Meteoritenschauer auf die Schilde der DEFENDER herab, das Schiff überschlug sich mehrmals, die Hauptbeleuchtung erlosch, die Brücke wurde mehr schlecht als recht von der Weihnachtslichterkette erhellt.
„Sie hatten keine Chance, sich gegen uns zu verteidigen“, meinte Prescott. „Sie waren viel zu wenige – also sind sie mit einem großen Knall ins Sto’Vo’Kor umgezogen.“
„Statusbericht?“ verlangte Lairis.
„Mittelschwere Schäden auf den Decks fünf und acht, keine Verluste“, antwortete Vixpan.
Die Kommandantin war sichtlich erleichtert. „Und die Klingonen?“
„Kein Impulsantrieb, keine nennenswerten Waffen, die Lebenserhaltungssysteme pfeifen auf den letzten Loch.“ Prescott blickte auf. „Was meinen Sie, Captain – erlösen wir sie von ihrem Elend?“
„Nein“, erwiderte Lairis mit ungeahnter Schärfe. „Ich habe keine Lust, einem Gegner, der bereits am Boden liegt, den Rest zu geben … nicht heute.“
„Wahrscheinlich ist es genau das, was die Klingonen wollen!“
Lairis warf einen Blick auf Vixpan. „Rufen Sie sie.“
Ein vernarbtes, klingonisches Gesicht starrte zornig auf sie herab. Ein Gesicht, das der Bajoranerin sehr bekannt vorkam …
„Captain Ko’tagh?“
„Das haben Sie fein hingekriegt, Lairis“, knurrte der Klingone. „Uns bleibt nicht einmal mehr die Selbstzerstörung. Jede Begegnung mit Ihnen beraubt mich eines Teils meiner Ehre …“
„Ich entschuldige mich nicht dafür, dass wir uns verteidigt haben.“
„Dann bringen Sie es zuende, verdammt noch mal! Zerstören Sie mein Schiff, damit uns wenigstens ein ehrenvoller Tod vergönnt ist.“
„Das Sto’Vo’Kor kann warten.“ Lairis wandte sie sich an Karthal. „Machen Sie die Bojen startklar. Das Schiff wird eingekreist, bis ich mir überlegt hab, was wir damit anfangen.“
„Verdammt, seien Sie kein Wischlappen, Lairis …“ Ko’tagh schlug mit der Faust auf seine Konsole.
„Sobald Sie Ihre Waffensysteme aktivieren oder Ihr Schiff sich weiter als 500 Kilometer vom Fleck rührt, werden diese vollautomatischen Bojen das Feuer eröffnen“, fuhr sie unbeeindruckt fort. „Aber wenn ich mir die Statusanzeigen Ihres Schiffes so ansehe, brauchen wir uns deshalb wohl keine Sorgen zu machen.“
„Sie lassen uns in der Falle schmoren, bis uns Nahrung und Sauerstoff ausgeht“, erwiderte Ko’tagh voller Wut. „Ich hab gedacht, Sie hätten wenigstens einen Funken Ehre im Leib, aber da habe ich mich wohl getäuscht!“
„Sauerstoff können Sie von uns haben – und ein weihnachtliches Fresspaket beamen wir Ihnen auch noch herüber.“
Ko’tagh bleckte die Zähne. „Ist da Ihre Leber drin?“
Lairis hob die Augenbrauen. „Ich dachte, die Klingonen essen das Herz ihrer Feinde?“
„Wenn sie denn ein Herz haben“, brummte der klingonische Captain und Lairis beendete die Verbindung.

Jerad begleitete Lairis in ihren Bereitschaftsraum. „Was hältst du davon: Wir schleppen die Klingonen mit dem Traktorstrahl ab und lassen das Sternenflottenkommando entscheiden“, schlug er vor.
Aber Lairis schüttelte den Kopf.
„Die haben doch nicht einmal mehr Impuls – also wo liegt das Problem?“
„In ihrem Warpantrieb steckt noch genug Antimaterie, um sich selbst und nebenbei die halbe DEFENDER zu vaporisieren.“
Jerad runzelte die Stirn. „Dieser Ko’tagh hat doch behauptet, ihm bliebe nicht einmal mehr die Selbstzerstörung …“
„Dann hat er gelogen, schätze ich.“
„Wieso forderte er dich dann auf, sein Schiff abzuschießen?“
„Für sein eigenes Logbuch“, vermutete Lairis.
„Du meinst, er will gar nicht sterben? Aber das ist so … unklingonisch.“
„Er hat sicher nichts dagegen, einen ehrenvollen Tod zu sterben – aber nicht durch die Hand der Sternenflotte.“
„Tut mir Leid, ich hatte zwar sechs Leben – aber da komme ich nicht mit.“
„Vor ein paar Monaten war ich unfreiwilliger Gast auf Ko’taghs Schiff, er hat mich mit Blutwein abgefüllt und wir haben … verhandelt. Er glaubte, die DEFENDER hätte auf heimtückische Weise eine klingonische Basis zerstört, aber ich konnte ihn schließlich von unserer Unschuld überzeugen. Die letzte Nachricht, die er mir schickte, hat er noch mit ‘Kommandant der 9. Flotte der Klingonischen Verteidigungsarmee’ unterschrieben … das passierte, kurz nachdem die Klingonen eine zivile Föderationskolonie auf Pargalos IV angegriffen haben. Zwei Tage später erklärte die Föderation den Klingonen den Krieg. Ko’tagh war schon immer ein Gegner dieses Krieges … er muss sich beim Hohen Rat irgendwie unbeliebt gemacht haben.“
„Dann hat er vielleicht gar kein Interesse daran, dass unser Schiff in die Luft fliegt.“
„Das traue ich ihm auch nicht zu – aber wir wissen nicht, wer inzwischen zu seiner Crew gehört. Sein Erster Offizier braucht ihm bloß ein Messer in den Bauch zu jagen und das Kommando zu übernehmen. Dann weht auf seinem Bird of Prey ein anderer Wind.“
„Das mag schon sein, aber … Was machen wir jetzt mit dem Kerl? Sollen wir seinen Haufen vielleicht zum Weihnachtsessen einladen? Dann können sie sich mit Glühwein vollaufen lassen, sich unterm Mistelzweig die Schlüsselbeine brechen … oder was auch immer.“
Lairis schien plötzlich von innen heraus zu strahlen. „Das ist es!“
„Ilana, das sollte nur ein Scherz sein!“
„Ich erkläre es dir später. Vertrau mir einfach!“ Sie nahm einen Hautregenerator und fuhr damit über Jerads Wange. „Und nun halt still, damit ich deine Wunde behandeln kann.“
Als sie fertig war, strich er mit den Fingern über sein Gesicht. „Die Flecken kommen doch wieder?“
„Ich denke, schon.“
„Wenn nicht, lasse ich mich eben tätowieren“, flachste er. „Und jetzt du …“
Sie holte zischend Luft, als er ihren Uniformärmel mit einer Schere auftrennte, und als er den Stoff behutsam löste, stieß sie einen erstickten Schrei aus.
„Tut mir Leid.“ Er strich sanft über ihren Hals und ihre Wange. „Ich wollte Dir nicht wehtun.“
„Nicht so schlimm.“ Seine Berührung löste ein heißes Prickeln in ihr aus. „Wusstest du eigentlich, dass Weihnachten bei den Menschen das Fest der Liebe ist?“
„Hmm … ja.“
Ihre Hände wanderten unwillkürlich über seinen Rücken, seine breiten Schultern, seine Brust …
Er atmete heftig, sein ganzer Körper bebte. „Wir … wir sollten das nicht machen. Es ist nicht gut für deine Karriere.“
„Ach was, ich habe schon Dinge getan, die viel gefährlicher für meine Karriere sind“, erwiderte sie leichthin.
„Wusstest du, dass sich die Menschen am Weihnachtstag unter Mistelzweigen küssen?“
„Es sind auch symbiotische Lebensformen, weißt du …“
„Was?“
„Misteln.“
Er lächelte breit. „Mit scheint, du magst symbiotische Lebensformen.“
„Naja … wenn sie mich so unwiderstehlich anlächeln, wie du …“
Schritte näherten sich und Lairis zuckte zurück. Prescotts Kopf lugte durch die halb offene Tür des Bereitschaftsraums. „Verzeihung, Captain … Störe ich bei irgendwas?“
„Ähm, nein … der Commander und ich spielen nur gerade ein paar Doktorspiele.“
Prescott grinste. „Ich wollte nur bescheid sagen …. meine Schicht ist jetzt zuende – aber wenn Sie noch meine Hilfe als Klingonenbändiger brauchen …“
„Danke, aber das ist wirklich nicht nötig.“ Die Bajoranerin lächelte. „Mit den Klingonen werden wir schon fertig. Machen Sie sich einen schönen Heiligabend.“
Prescott wandte sich ab, damit der Captain seinen Flunsch nicht sah. Sie hat es immer noch nicht begriffen, dachte er frustriert.

Einige Zeit später saßen Lairis und Ko’tagh bei Kerzenlicht im Bereitschaftsraum des Captains zusammen. Das heißt, am Anfang saß nur Lairis, während der Klingone trotzig stehen blieb. „Was haben Sie mit mir vor?“ wollte er wissen. „Wieso haben Sie mich auf Ihr Schiff gebeamt?“
„Ich revanchiere mich für die zwei Fässer Blutwein, die Sie mir vor ein paar Monaten spendiert haben. Obwohl mir davon ziemlich schlecht geworden ist.“ Sie forderte Ko’tagh mit einer Handbewegung auf, sich zu setzen. „Wie es der Zufall will, haben die Menschen heute einen wichtigen religiösen Feiertag. Es geht dabei um so wundervolle Sachen wie Frieden und Nächstenliebe …“
Der Klingone schnaubte abfällig.
„Ich weiß, davon halten Sie nicht viel – aber ich kann mich durchaus damit anfreunden. Also probieren Sie den Truthahn, er ist wirklich gut!“
Ko’taghs Augen wurden schmal. „Sie haben ganz schön Mut, sich hier mit mir allein in einem Raum aufzuhalten. Ich könnte Sie auf der Stelle töten, wenn ich nur wollte.“ Wieder zeigte er sein imposantes Gebiss. „Ihr Kopf wäre hübsch anzusehen, über meinem Bett …“
„Mein Kopf gefällt mir besser, wo er jetzt ist.“ Lairis knabberte genussvoll an ihrem Truthahnbraten. „Ich möchte Ihnen ja nicht zu nahe treten, Captain, aber das letzte Mal waren Sie ein wesentlich … hartnäckigerer Gegner.“
„Da kommandierte ich auch noch einen Kreuzer der Vor’Cha-Klasse“, erwiderte Ko’tagh missmutig. „Aber dann musste ich dem Rat erklären, weshalb ein einziges, verfluchtes Föderationschiff meine halbe Flotte ausradiert hat. Die mögen es überhaupt nicht, wenn jemand den Klingonen überlegen ist – und ich mag es auch nicht! Ich muss wohl noch froh sein, dass ich nur degradiert und nicht hingerichtet wurde!“
„Besonders überlegen kamen Sie mir heute nicht vor“, konterte Lairis unverblümt. „Die Cardassianer und die Föderation sind genau ein Feind zuviel. Gowron verdirbt es sich mit seinem wichtigsten Verbündeten, verwickelt Ihr Reich in einen Zwei-Fronten-Krieg und ruiniert es auf diese Weise … das haben Sie selbst gesagt! Die Klingonische Verteidigungsarmee muss ganz schön heruntergewirtschaftet sein, wenn Sie Birds of Prey der Klasse 1 gegen waffenstarrende Kriegsschiffe der Föderation in die Schlacht schickt … Mit Ehre allein kann man so einen ungleichen Kampf nicht gewinnen – das muss doch selbst Gowron begreifen.“
„Gowron begreift gar nichts!“ stieß Ko’tagh hervor.
„Aber Sie begreifen es – und deshalb wünsche ich mir, dass wir zusammenhalten! Ich bin nicht so kurzsichtig und töte einen der wenigen klingonischen Militärs, die ihren Kopf noch zum Denken benutzen!“
Er griff widerwillig nach der Truthahnkeule, aber dann biss er gierig hinein. „Hmm, nicht übel. Schade, dass es sich nicht bewegt.“
„Sie haben in letzter Zeit nicht viel gutes Essen bekommen …“ Lairis musterte ihr Gegenüber nachdenklich.
Er legte die Keule zurück, und sah sie provozierend an. „Geben Sie den toten Vogel meiner Crew!“
„Ihre Leute bekommen den selben toten Vogel, keine Sorge. Nur auf unserer Weihnachtsfeier wollte ich sie nicht haben. Sie reden mir zu viel über das Töten von Cardis – und das ist kein Thema für einen besinnlichen Abend unterm Tannenbaum. Zumal ich ein cardassianisches Crewmitglied habe.“
„Sie haben einen Cardassianer an Bord? Als ehemalige bajoranische Untergrundkämpferin?“ wunderte sich der Klingone.
„Glinn Karthal gehörte zu den liberalen Militärs, die sich nach den großen Volksaufstand auf die Seite der Zivilregierung geschlagen hatten. Ihr Sohn war leider nicht so liberal und hat sie dem ‚Wahren Weg’ ans Messer geliefert. Karthal überlebte nur durch pures Glück – und da entschied ihr Vater, dass sie am Offiziers-Austauschprogramm teilnimmt. Auf einem Schiff der Sternenflotte ist sie wenigstens in Sicherheit …“
„Und nun dient sie ausgerechnet auf dem einzigen Sternenflottenschiff, das von einer Bajoranerin kommandiert wird?“ Ko’taghs Tonfall war leicht ironisch.
„Ich habe ihr lange misstraut – aber inzwischen glaube ich, dass sie tatsächlich etwas für den Frieden zwischen unseren Völkern tun wollte, als sie sich bei mir beworben hat.“
„Wieso tun Sie das, Lairis?“ fragte der Klingone unvermittelt.
„Das sagte ich bereits.“ Sie nahm einen Schluck Wein. „Ich schulde Ihnen keine Erklärungen mehr, sondern umgekehrt.“
„Schulde Ihnen gar nichts“, murrte Ko’tagh mit Truthahn zwischen den Zähnen.
„Wieso haben Sie Ihr Schiff nicht zerstört? Sie hätten es tun können.“
„Wären Sie damit glücklich?“
„Ich nehme an, mit Ihrer Einstellung haben Sie mehr Feinde bei den Klingonen als bei der Sternenflotte …“
Ko’tagh sah ein, dass es keinen Zweck mehr hatte, eine Schau abzuziehen. „Sie haben mich und meine treuen Soldaten auf diesen Seelenverkäufer geschickt, damit wir für Schiffe wie Ihres zum Kanonenfutter werden.“ Plötzlich grinste er triumphierend. „Und sie werden sich vor Ärger die Haare ausreißen, wenn ich überlebe! Ich muss nur zusehen, dass ich vor dem Hohen Rat nicht als Feigling dastehe …“
„Das können wir arrangieren. Sobald Sie wieder auf Ihrem Schiff sind, werden wir ein Stück in den Klingonischen Raum fliegen …“
„Man wird Sie dort nicht gerade willkommen heißen.“
Die Bajoranerin lächelte verschwörerisch. „Das wird man nicht, weil man uns weder sehen noch orten kann.“
„Wie ist das möglich?“
„Sie haben sicher schon von unserer Tarnvorrichtung gehört … nun, sie basiert auf einer etwas anderen Technologie als die Tarnvorrichtungen der Klingonen. Mehr darf ich dazu nicht sagen.”
„Und mein Schiff?“
„Sobald es angedockt ist, wird es ebenfalls getarnt sein. Dann, wenn wir nahe genug am nächsten klingonischen Außenposten sind, lösen wir die Andockklammern, ohne unsere Tarnung aufzugeben. Ihren Vorgesetzten können Sie irgendein Märchen auftischen, in etwa: Sie haben tapfer gegen uns gekämpft und eine ehrenvolle Niederlage erlitten – nur leider war die Sternenflotte zu sentimental, um Sie abzuschießen. Statt Ihnen Ihren glorreichen Einzug ins Sto’Vo’Kor zu gönnen, hat sich die Schweinebande einfach zurückgezogen, um irgendein gefühlsduseliges Fest zu feiern … Sie haben sich schließlich auf den Heimflug nach Kronos gemacht, bis Ihr Antrieb endgültig den Geist aufgegeben hat, genau wie Ihre Tarnung.“
„Und wie erkläre ich meinen Vorgesetzten, dass mein Schiff im klingonischen Raum getarnt war?“
„Da müssen Sie sich was einfallen lassen … Erzählen Sie Ihnen meinetwegen, Ihre Sensoren hätten verrückt gespielt und Sie wüssten nicht genau, wo Sie sind …“
„Überlassen Sie das mir!“
„Selbstverständlich. Ach … und Ihren Warpkern werfen Sie vorher ab. Nur für den Fall, dass nicht alle Ihre Soldaten so treu sind, wie Sie denken!“
Ko’tagh fixierte sie angriffslustig und für einen Moment fürchtete Lairis, er würde seine Drohung wahr machen und sich auf sie stürzen.
„Meinetwegen … er hat sowieso nicht mehr richtig funktioniert“, willigte er zähneknirschend ein.
„Sollen Sie ruhig denken, ich hätte kein Herz und keine Ehre …“
„Das habe ich nicht so gemeint.“
„Also lag ich richtig und es war nur eine Show fürs Logbuch.“ Lairis sah ihn forschend an. „Sie haben von Anfang an darauf hingearbeitet, nicht wahr? Sie wussten, dass ich Ihnen nichts antun will … Warum haben Sie sich nicht gleich zu erkennen gegeben?“
Kotagh zögerte einen Moment. „Weil der Teil von mir, der das alles hier gründlich satt hat und am liebsten ins Sto’Vo’Kor überwechseln würde, für eine Weile die Oberhand gewonnen hatte.“

„Sie muss verrückt geworden sein!“ Prescott kippte sich ein weiteren Schluck Cognac herunter und unterdrückte ein Rülpsen.
„Lairis? Die wurde doch schon verrückt geboren. Alle Bajoraner sind verrückt, das liegt am Wurmloch.“ Karthal nahm die Flasche und goss ihr ganzes Glas voll.
„He, jeder, der so was über den Captain sagt, kriegt mit der Rute den Hintern voll – oki doki?“
„Ihre Eltern müssen ja wahnsinnig stolz sein, so einen braven dreihundertprozentigen kleinen Sternenflottenoffizier zum Sohn zu haben.“
„Irrtum, das sind sie nicht. Die hassen mich. Und ich hasse sie. Ende der Geschichte.“ Prescott blinzelte die Cardassianerin aus trüben Augen an. „Wie viele Klingonen hat sie doch gleich eingeladen?“
„Nur einen. Den Captain, glaube ich.“
„Ein Glück! Ich dachte schon an einen besoffenen Klingonenchor, der ‘Santa Claus is coming to Town’ singt – und mir lief es eiskalt den Rücken herunter …“
Karthal musste so heftig lachen, dass sie die Hälfte ihres Cognac verschüttete. Sie stellte das Glas notgedrungen ab.
Prescott runzelte verwundert die Stirn. Er hatte die Cardassianerin noch nie so ausgelassen und fröhlich erlebt … Doch ihr Lachen ging allmählich in ein Schluchzen über. Sie wandte sich ab und wischte sich schnell mit dem Handrücken über die Wange.
„Belora, was ist los …“ Er nahm ihre Hände vorsichtig in seine, aber sie zog sich zurück, als hätte sie einen Stromschlag erhalten.
„Lassen Sie mich in Ruhe!“
„Dann hätten Sie nicht mit in mein Quartier kommen dürfen.“
„Weiß ja auch nicht, was ich mir dabei gedacht habe …“ murmelte Karthal, machte aber keine Anstalten, zu gehen.
„Also, was ist los?“ hakte Prescott noch einmal nach. „Ich verstehe Sie vielleicht besser als Sie denken … und ich habe jede Menge Taschentücher.“
Karthals Lachen klang diesmal eher halbherzig. „Ich … es muss am Schnaps liegen … oder an diesem eigenartigen menschlichen Fest … alle reden von ihren Familien, wie gern sie heute bei ihnen sein würden … und wenn ich an meinen Sohn denke …“
„Belora, er hat Sie an diesen Terroristenhaufen, diesen ‘Wahren Weg’ ausgeliefert … diese ‚Cardassia den Cardassianern und die Föderation ist an allem Schuld’-Matschbirnen … Wenn mein Sohn so ein Verräter-Arsch wäre, hatte ich ihn auch verstoßen!“
„Aber er ist dennoch mein Kind!“ Karthal spülte den Kloß in ihrer Kehle mit mehreren Schluck Weinbrand herunter. „Dann denke ich an meinen Mann … er lässt sich jetzt wahrscheinlich genauso vollaufen wie wir … bis zur Besinnungslosigkeit. Verstehen Sie nicht … die Familie ist das wichtigste für einen Cardassianer! Aber gerade, was Familie angeht, habe ich so ziemlich alles falsch gemacht, was man nur falsch machen kann …“
„Sie tragen nicht die“, versuchte Prescott sie zu trösten.
Karthal blinzelte die Tränen weg. „Das sage ich mir auch immer wieder … meistens funktioniert es sogar.“
Prescott legte eine Hand auf ihre Schulter, und diesmal schlug sie sie nicht weg. „Lassen Sie mal, dieser ‚Jesus-Maria-und-Joseph’-Stuss macht mich auch ganz krank! ‘Der Herr ist mein Hirte, er weidet mich auf grüner Aue’ … Was für ein Schwachsinn!“
Karthal grinste. „Wenn Fähnrich Vixpan das hört, konvertiert er noch.“
Prescott lachte und hob sein Glas. „Prost!“
Ihre Gläser stießen so heftig zusammen, dass es klirrte. „Runter damit.“
Prescott blickte sie entgeistert ein. „Haben Sie nicht mehr alle? Das ist Cognac – kein Betäubungsmittel!“
„Was ist da der Unterschied?“
„Es ist Cognac!“
„Es ist kein Kanar!“
„Meine Fresse, sind Sie immer so unflexibel?“
„Ihre Eltern hassen Sie, ja?“
Prescott ließ sich neben Karthal auf die Couch fallen, alle viere von sich gestreckt. „Kennen Sie ‘Prescott Industries’? Nein? Da haben Sie nix verpasst … Keine Schweinerei, wo die nicht ihre Finger drin hatten … ‘Was, da ist irgendwo ein fieser Diktator, der seine eigenen Leute ausbeuten, foltern und abschlachten lässt? Schieben wir ihm doch schnell ein paar blaue Kacheln in den fetten Arsch, sonst könnte es ja sein, dass sie aufhören, nach Amerikas Pfeife zu tanzen und der Profit im Klo verschwindet … Dann kam die Föderation und ihr feines Konsortium wurde hübsch klein gehackt, so dass sie nichts mehr zu sagen haben … Logisch, dass sie eine Stinkwut auf die Föderation haben. Seit ich zur Sternenflotte gegangen bin, spricht mein Vater nicht mehr mit mir. Mit meiner Mutter und meiner Schwester tausche ich noch ab und zu Geburtstagsgrüße aus, aber …“
„Warum wandern Ihr Vater und Konsorten nicht aus, wenn sie die Föderation so sehr hassen … Nach Cardassia, zum Beispiel?“
Prescott lachte rauh. „Da würden sie wunderbar hinpassen.“ Er rutschte unauffällig näher an sie heran. „Viel besser als Sie, finde ich …“
Karthal nahm ihn bei den Schulter und hielt ihn auf Abstand – sanft aber bestimmt.
Prescott lächelte verlegen. „Tschuldigung, vergessen Sie es … was da eben in mich gefahren ist …“
„Ich denke, das, was Sie gerade ausfahren wollten, ist das größere Problem“, entgegnete sie mit gutmütigem Spott.
Dann lehnte sie sich nachdenklich zurück. „Sie würden sich mit meiner Freundin Yanar gut verstehen. Sie hat genau die selben Probleme mit ihrer lieben Verwandtschaft.“
„Ja, mein reizender Daddy … er ist nicht nur eine despotische Nervensäge, er ist sogar ein Wohltäter und Menschenfreund! Gibt jede Weihnachten eine großkotzige Gala für Waisenkinder auf irgendwelchen rückständigen Planeten … Planeten, die er drei Wochen vorher noch mit chemiewaffentauglichem Gas beliefert hat … eine verlogene Scheiße ist das alles! Nur zur Verblödung da, das ganze Christentum … ‘Du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst und eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr, als dass ein Reicher in den Himmel kommt’ … Aber was bitte haben die Menschen zweitausend Jahre lang getan? Sich gegenseitig umgebracht, verletzt und übers Ohr gehauen … Kriege angezettelt im Namen Gottes … das ganze Universum auf den Kopf gestellt, damit das Geld aus ihres Nächsten Tasche in ihre eigene Tasche kommt …“
„Wissen Sie, ich hab mich aus aktuellem Anlass ein wenig mit der Bibel beschäftigt … Wenn man das so betrachtet, hat die Föderation euch den ersten christlichen Staat beschert. Obwohl die Kirchensteuer abgeschafft wurde und sich kein Politiker mehr auf Gott beruft. Ironie des Schicksals. Vielleicht musstet ihr eure Religion erst abschaffen um danach zu handeln.“
„Aber wozu brauchen wir dann noch Weihnachten?“
„Weil …“ Karthal überlegte einen Moment. „Ich denke, die Menschen feiern Weihnachten einfach, weil es ihnen Freude macht.“
Prescott schüttelte den Kopf und lachte leise. „Es ist verrückt: Eine Bajoranerin spielt die gute Weihnachtsfee und eine Cardassianerin erzählt mir was über die Bibel.“
„Meiner Freundin Yanar hätte dieses Fest gefallen – es gibt nichts, was sie lieber tut, als irgendwelche Räume zu dekorieren“, fuhr Karthal mit einem Schmunzeln fort. „Aber Ihnen geht es besser als ihr, denn Sie haben wenigstens eine Heimat, mit der Sie sich identifizieren können – während meine Freundin Cardassia noch mehr verabscheut als ihre Familie.“
„Wenn ich jemals eine richtige Familie hatte, dann ist sie hier“, bemerkte Prescott gedankenverloren.
Karthal erhob sich und streckte ihm die Hände entgegen. „In der Offiziersmesse läuft eine Weihnachtsfeier. Gehen wir hin!“
„Ist das Ihr Ernst?“
„Natürlich. Gehen wir, bevor Sie mir wieder auf die Pelle rücken.“
Prescott grinste. „Ich nehme nur schnell eine Tablette, die mich wieder nüchtern macht – und ich glaube, Sie können auch eine gebrauchen.“
Eine halbe Stunde später standen sie vorm Eingang zur Offiziersmesse. Karthal rümpfte die Nase, als sie die Weihnachtsgirlande sah. „Wer ist bloß auf die Idee gekommen, dauernd grüne Koniferenzweige mit roten Kullern zu kombinieren!“
„Ach ich finde …“ Prescott lächelte versöhnlich. „Ich finde, es sieht sehr hübsch aus.“

Inmitten des Lichtermeers, neben einem prächtig geschückten Weihnachtsbaum, standen Lieutenant van de Kamp und Captain Lairis und blickten hinaus zu den Sternen.
„Es ist schon komisch, Weihnachten so zu verbringen: Aus der Phase geschoben, mitten im klingonischen Gebiet … am Anfang war ich gar nicht begeistert, dass ich hier bleiben muss – aber jetzt möchte ich nirgendwo anders sein.“
„Wenigstens haben wir die Klingonen erfolgreich nach Hause gebracht.“
„Ja, Captain, wir haben einem notleidenden Feind geholfen. Es gibt wohl nichts Weihnachtlicheres.“
„Ko’tagh ist kein Feind …nicht wirklich.“
„Was ist mit den übrigen Klingonen? Ob sie uns heute nochmal angreifen?“
„Nein, heute nicht“, erwiderte Lairis voller Überzeugung.
Denn heute war ein ganz besonderer Tag.

© 2004 by Adriana Wipperling

 

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