Berührung des Fremden

Bisher war Stakka De eine treue Ehefrau für ihren Mann Apo Ca. Doch dann trifft sie den Außenweltler Ken’Ko – und der weckt völlig neue Gefühle in ihr … SciFi-Liebesgeschichte von Ramona Scheerer Der Flug zu den Sternen erschien ihr glaubhafter, als man annehmen mochte. Bedacht auf die Distanz ihres Herzens zu den Dingen um sich herum, plante sie ihren eigenen Stil. Sie wollte ihn verwirklichen. Es war wichtig, daß sie die Dinge nicht aus den Augen verlor, daß ihr Mund nicht voreilig von all dem sprach, was ihr vorschwebte. Es war lausig zu wissen, daß die Alten ihr Steine in den Weg legen mochten. Doch aufgeben durfte sie nicht. Jetzt nicht, zu keiner Zeit. Sie mußte die Höhe bewahren, das war wichtig, und sie hielt ihren Blick nach oben gerichtet. Sie wollte nicht verlieren, was sie nun nach so mühsamer Suche gefunden hatte. Es war schwierig, all das zu fassen, was ihr innerhalb so kurzer Zeit gegeben worden war. Die Götter waren mit ihr… Stakka. De schaute auf den Weg vor sich. Er war steinig, und sie achtete darauf, nicht zu straucheln. Doch ihre Aufmerksamkeit galt nicht nur diesem Weg, den sie noch vor sich hatte. Unendlich viele Gedanken gingen ihr durch den Kopf, Gedanken, die geboren worden waren aus den Ereignissen der letzten Zeit. Ihr Blick wanderte hinauf zum Himmel, der jetzt nach dem Sonnenuntergang in ein tiefes Violett gehüllt war; nur der erste der zwei Monde, der bereits aufgegangen war, erhellte diese Dunkelheit. Unvermittelt glitt ein Lächeln über ihr schmales Gesicht. Wenn der zweite Mond aufzog, würde auch er da sein… Sie begann sich zu wiegen nach einer imaginären Melodie, die ihrem Herzen entsprang. Sie verstand es selbst noch nicht, was da geschah, aber sie spürte, daß es etwas ganz Besonderes sein mußte. Anders konnte es nicht sein. Sie blieb wieder stehen und schaute hoch zu dem großen, fast weißen Mond. Ihre großen, facettenartigen Augen reflektierten seinen reinen Glanz, und er vermischte sich mit dem Schimmer der Sehnsucht, der in ihrem Inneren lebendiger geworden war. Sie hob ihre rechte Hand, als wolle sie den Trabanten berühren. Ihre vier Finger hoben sich dunkel ab von der hellen Scheibe des Himmelskörpers. Lang und schmal. Sie musterte sie. Er hatte fünf Finger, fiel ihr ein, und sie waren fleischiger als ihre. Stumm starrte sie auf ihre Hand. Sie wandte sich um und setzte ihren Weg fort. Es wurde Zeit, der zweite Mond ließ nicht mehr lange auf sich warten. Und sie wollte dort sein, wenn er kam. Woher kam er überhaupt? Das wußte sie nicht. Er hatte ihr wohl gesagt, daß er auf einer anderen Welt lebte, er hatte sogar angeboten, sie ihr zu zeigen, doch sie brachte den Mut nicht auf. Was wäre, wenn sie nicht mehr hierher zurückkommen konnte? Seine Welt, so hatte er erzählt, war eine Welt der Wüsten, auf der Oberfläche und in den Herzen. Und eine Frau war nicht viel wert dort… Viele Dinge erfuhr sie durch ihn, die ihr unvorstellbar erschienen. Sie schaute sich um. Eine überaus üppige Pflanzenwelt unigab sie, die am Tag in den schönsten Farben zwischen Blau und Grün leuchtete, wenn die Sonne vom rotvioletten Himmel schien. Wüste… ? Nur orangefarbener Sand, soweit man sah? Sie blieb stehen. Wie sollte sie sich das vorstellen? Wüste… Land ohne Wasser, brennende Sonne. Ihr fröstelte. Es war nicht mehr weit. Sie spürte ihre Unruhe, die Vorfreude. Und ihr Erstaunen, immer noch. Er war so fremdartig, so anders als sie. Sie hatte Wesen wie ihn nie vorher gesehen. Seine Augen waren so klein… sie fuhr sich über ihre eigenen, die ein Viertel ihres Gesichtes einnahmen und eine unendliche Tiefe aufwiesen, die selbst von ihrem Umfeld mit Erstaunen aufgenommen wurde. Sie würde einmal etwas ganz Außergewöhnliches sehen, sagte man ihr, als sie noch ein Kind war. Sie lächelte wieder. Sie sah es. Er war es. Er mit diesem runden Gesicht, mit dieser Pigmentierung an den Seiten des Kopfes, mit seiner orangeblauen Hautfarbe und den beinahe orangeroten Haaren. Er war groß, aber nicht so schlank wie die Männer ihres Volkes, er war einfach ganz anders. Sie erschrak, als sie ihn das erste Mal sah, doch ihm war es offenbar nicht anders ergangen. Die Neugier ließ beide bleiben. Und eine seltsame Ahnung über den anderen… Aus diesem wundersamen Aufeinandertreffen erwuchs ein tiefes Gefühl der Vertrautheit für den anderen, eines der Zuneigung… eines der Liebe. Wieder begann sie sich zu wiegen im Takt einer Musik, die nur sie vernahm, und sie rief sich allerlei Erinnerungen ins Gedächtnis. Ihr langes tiefschwarzes Haar wehte im lauen Nachtwind, ihre metallene Haut glänzte matt im Schein des nun aufgehenden zweiten Mondes. Sie wirbelte ihre schlanke Gestalt um ihre eigene Achse und lachte kurz auf. Sie war da. Nun konnte er kommen. Vorsichtig kletterte sie einen steinigen Abhang hinunter und machte es sich schließlich auf einem Pflanzenteppich bequem. Sie musterte das noch zaghafte Lodern vor sich. Vor einiger Zeit war es ihr aufgefallen, als sie hierher kam, um Obst zu sammeln. Normalerweise kam sie nie an dieser Stelle vorbei, doch diesmal wollte sie einfach einen anderen Weg wählen, und, so vermutete sie, führte sie das Schicksal an diesen Ort. Sie lehnte sich zurückck, als das weißviolette Flackern vor ihr heller wurde und sich nun in ein gleißendes Licht verwandelte, das aber keineswegs blendete. Stakka De legte den Kopf ein wenig schräg, und Glücksichsein spiegelte sich auf ihrem Gesicht wieder. Der überaus helle Strahl verwandelte sich in einen Spalt, der zusehends breiter wurde und plötzlich eine dunkle Gestalt sichtbar werden ließ. Unmittelbar nachdem diese das Licht durchquert hatte, fiel dieses in sich zusammen und verblaßte wieder zu einem unauffälligen Lodern in der Nacht. Doch darauf achtete die junge Frau nicht mehr. Er stand vor ihr, und mehr sah sie nicht. „Ken’Ko!” Leise flüsterten ihre Gedanken seinen Namen. Sie sprach ihn nicht aus, aber sie wußte, daß er sie auch so verstand. Sie war überrascht gewesen, als sie feststellte, daß es Wesen gab, die sich nicht über die einfache Übertragung von Gedanken verständigten. Er hatte sie nicht verstehen können. Doch sie fand einen Weg, eine Verbindung zu ihm zu ermöglichen. Sein Volk nutzte die Lautsprache, eine Methode, die in ihrem Volk kaum noch verwendet wurde. Er würde nie alles verstehen, was sie ihm mitteilen wollte, und umgekehrt war es genauso, doch benötigte man in ihrem Fall kaum noch Worte. Die Barrieren, die ein Durchdringen in sein Inneres erschwerten, verhinderten es doch nicht ganz, und so hatten sie beide teil an den Bildern, an den Farben, dem Glanz, an allem, was sie füreinander erfüllte. Ihre Seelen begannen zu einer vollkommenen, erfüllten Einheit zu verschmelzen, und bald fanden sie heraus, daß dies trotz ihrer gegenseitigen Fremdartigkeit körperlich ebenso möglich war…

* * *

Der zweite Mond war des Nachts schon längst nicht mehr am Himmel zu finden, und sie ging nun mit sehr viel mehr Sicherheit zu jenem Ort, an dem sie eine ganz wundervolle Art des Glücks und der Liebe kennengelernt hatte. Sie wußte daheim um ihre Familie, um ihren Ehemann, wußte, daß sie ihn betrog. Doch sie bereute nicht einen Moment davon. Sie wußte, daß diese Erfüllung mit diesem Mann von einer anderen Welt ein Geschenk der Götter war, und das würde sie nicht einfach aufgeben. Natürlich mußten sie einen anderen Weg finden, irgendwann. Sie konnten sich nicht ewig auf diese Art treffen … Sie stand nun an der oberen Kante des steinigen Abhangs und blickte hinunter. Ken’Ko wartete bereits auf sie und schaute nun seinerseits zu ihr hinauf. Ihre Blicke verfingen sich ineinander und verband sie mit einem unsichtbaren Band, an dem Wärme und Zuneigung entlangglitten, bis sie den anderen erreichten. Ihre Seelen faßten sich an den Händen, und es schien unvorstellbar, sie je wieder voneinander zu trennen. Als sie sich ihrer wieder bewußt waren, hatte Stakka De den Abhang bereits hinter sich gebracht und Ken’Ko seine Arme um sie gelegt. Es war eine seltsame Ahnung, die sie in dieser Nacht beschlich, eine, die sie enger zusammenrücken ließ. Eine, die sie mehr Leidenschaft füreinander empfinden ließ als jemals zuvor. Denn es war die Ahnung der Einsamkeit….

* * *

Die Nacht war nahezu schwarz. Sie schaute zum Himmel, an dem auch der andere Mond kaum noch sichtbar war. Bald würde er völlig verschwunden sein, und mit seinem Glanz verflüchtigte sich auch jener aus Stakka Des tiefen Augen. Die Monde, nun, sie würden irgendwann wiederkommen, doch kam es ihr vor, als müßten die Nächte nur schwärzer werden, immer schwärzer. So schwarz, wie es in ihrem Inneren aussah. Sie stand an jenem steinigen Abhang, und ihre Arme hingen schlaff an ihrem Körper herab. Eine innere Unruhe hatte sie ungeachtet der Gefahr den schwierigen Weg schnell hinter sich bringen lassen, und nun starrten ihre großen Augen in die Dunkelheit, die sich vor ihr ausbreitete. Das weißviolette Flackern war erloschen. Sie wußte, daß er nicht mehr wiederkehren konnte. Er war wieder auf seiner Welt gefangen wie sie auf ihrer. So fühlte es sich für sie an. Das Tor hatte sich geschlossen. Das Tor, das sie zusammengeführt, sie und ihre Welten miteinander verbunden hatte. Das Tor, das ein neues Leben ermöglicht hatte. Vorsichtig fuhren ihre langen Hände über ihr Gewand, das ihren Körper umhüllte, in dem Ken’Kos Samen aufgegangen war. Sein Kind würde in ihr heranwachsen, und er würde es nie erfahren… Leise Zweifel kamen in ihr auf. Es war ein Kind eines fremden Wesens. Hatte es überhaupt eine Chance zu überleben, sich zu entwickeln m ihrem Körper und später in ihrer Welt? Sie schaute hinauf zum Mond, der nur noch zu erahnen war. Die Götter hatten sie und Ken’Ko zusammengeführt. Dies war nun nicht mehr möglich, doch dafür hatten sie einen Teil Ken’Kos in ihr zurückgelassen. Also würde das Kind leben. Diese plötzliche Erkenntnis glich einem Aufflackern in ihrem Bewußtsein, und sie straffte die Schultern. Das Kind würde es guthaben. Sie wollte dafür sorgen, daß es in dieser Welt zurechtkam. Welchen Sinn es auch immer haben mochte, einem solch fremdartigen Wesen zur Existenz zu verhelfen, die Götter hatten ganz sicher ihre Gründe dafür. Ein letztes Mal schaute Stakka De an die Stelle zurück, an der dieser so andere Mann aufgetaucht war. Ein letztes Mal gönnte sie sich ein Lächeln bei dem Gedanken an ihn. Sie hatten ihre Zeit gehabt, und diese war nun vorbei. Sie wandte sich um und kehrte zurück zu ihrer Familie, zu ihrem Ehemann. Bald würde es Nachwuchs geben, ein Grund, sich vorzubereiten.

* * *

Apo Ca musterte seine Frau, die still an ihrem Webstuhl arbeitete. Sie war eigentlich immer still, erinnerte er sich, doch hatte dies nahezu extreme Formen angenommen, seit sie wußte, daß sie ein Kind erwartete. Sie war eine freundliche, warmherzige Frau und darum bemüht, daß ein jeder es gut hatte. Diese Eigenarten brachte sie mit in die Ehe, als sie noch fast ein Kind gewesen war, und seitdem hatte sich das kaum geändert, obwohl einige Zeit ins Land gezogen war. Für ihn erwies sie sich als äußerst angenehme Person, als sehr beruhigend, was er sehr zu schätzen wußte. Umso mehr vermißte er nun diese Zuneigung von ihr, die er immer sehr genossen hatte. Sie hatten nicht aus Liebe geheiratet, dies war hier nicht maßgebend gewesen, sondern einfach die Tatsache, daß sie nach Meinung ihrer Familien und der Priester gut zusammenpaßten. Eine zurückhaltende, in sich ruhende Frau, so fand man heraus, schien ideal für einen jungen Mann wie Apo Ca, der zielstrebig sein Leben gestalten wollte und manchmal auch einen leichten Hang zum Jähzorn offenbarte. Trotzdem war er nicht unbedingt jemand, der sich gern im Mittelpunkt sah. Es lag ihm eher, mit der Kraft vieler Leute Dinge zu bewegen und in die richtige Richtung zu lenken. In Stakka De fand er eine Frau, die ihm half, neue Energie zu schöpfen. Er vermutete, daß sie beide tatsächlich das Glück gehabt hatten, in der Zeit ihrer Ehe eine tiefere Bindung zueinander aufzubauen. Nicht allen Paaren erging es so, manche trennten sich bald wieder, wenn absehbar war, daß die Beziehung eher zu einer Belastung wurde. Er stand auf und trat hinter seine Frau. In letzter Zeit hatte sie die telepathische Bindung zu ihm etwas gelöst, was ihn ein wenig beunruhigte. Sie würde ihm nicht mitteilen, warum, soweit kannte er sie. Sie war eine bessere Zuhörerin denn Erzählerin, und mit Sicherheit waren viele Geheimnisse bei ihr besser aufgehoben als bei den treuesten Freunden. Er blickte nun schweigend und ein wenig grübelnd auf sie hinunter. Stakka De hatte derweil ihre Arbeit unterbrochen und ihre Hände in den Schoß gelegt. Sie wußte, worum es ihrem Mann ging. Doch sie wußte auch, daß sie nicht anders reagieren konnte. In ihr wuchs das Kind des Fremden heran, bald würde es zur Welt kommen. Bevor sie Ken’Ko traf, hatte sie ja nicht einmal den Hauch einer Ahnung gehabt, daß es auch Beziehungen voller Liebe und Glück geben konnte, in vollem Einklang mit ihm, sich selbst und dem Universum … und nie hätte sie es für möglich gehalten, daß eine Vereinigung mit einem Mann so wunderbar sein konnte, so erfüllend. Mit Apo Ca war es sicher nicht unangenehm, doch betrachtete sie es früher eher als eine von den Göttern verliehene und von den Familien erwartete Gabe, auf diese Weise für den Nachwuchs zu sorgen. Seit Ken’Ko wußte sie, daß es so nicht ganz richtig war… Auf ihrer Welt herrschte der Brauch, eine Ehe auch dann zu lösen, wenn das Paar keine Kinder bekam. Gedankenverloren starrte sie auf ihre Webarbeit. Und als sie Apo Cas Umarmung spürte, dachte sie daran, daß diese Erwartungen, die an die Eheleute gestellt wurden, sicher nicht völlig unwesentlich waren. Es herrschte ein Krieg mit dem Nachbarreich, in dem viele starben, und das Volk mußte weiterleben. Sie blickte schließlich in Apo Cas Augen und erinnerte sich daran, daß all diese Dinge auch ihr galten. Und so schenkte sie ihm ein Lächeln voller Wärme. Sie spürte, wie er sich zu entspannen begann. Er hatte sich um sie gesorgt. Sie konnte froh sein, daß die Götter ihr einen solchen Mann geschenkt hatten. Es war sicher nicht unmöglich, etwas von diesen wundervollen Erfahrungen mit Ken’Ko hinüberzunehmen in ihre Ehe mit Apo Ca. Vielleicht hatte sie den anderen Mann auch deshalb kennengelernt, um zu erfahren, daß es noch soviel mehr gab, das eine Beziehung unendlich bereichern konnte. © Copyright by Ramona Scheerer, 1996

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