Von Birnen, Nüssen und Vulkaniern

Hier geht es um Schreibzirkel und Autorengruppen – und noch viel mehr: Triumphe und Niederlagen, Chancen und Gerechtigkeit, unangemessene Gefühle und den einzig angemessenen Umgang damit. Es geht darum, was ständige Frustration aus einem Menschen machen kann. Um Abhängigkeit, Rangordnung und Futterneid …

Das ist zugegebenermaßen eine sehr kryptische Überschrift, hinter der sich alles Mögliche verbergen kann. Tut es auch, denn es geht um so wichtige Sachen wie Triumphe und Niederlagen, Chancen und Gerechtigkeit, unangemessene Gefühle und den einzig angemessenen Umgang damit.
Es geht darum, was ständige Frustration aus einem Menschen machen kann.
Um Abhängigkeit, Rangordnung und Futterneid.
Um großes Getöse und leisen Verrat.
Was das alles mit Literatur zu tun hat?
Ganz einfach: Es geht diesmal um Schreibzirkel und Autorengruppen.
Und die Vulkanier?
Ach, ich beneide sie um das Kohlinar, um ihre Fähigkeit, Gefühle außen vor zu lassen und sich mit einer hochgezogenen Augenbraue jeden Kommentars zu enthalten, bis sie genug Informationen für eine qualifizierte Antwort haben.
Ja, das hat schon was und wirkt einschüchternd souverän.
Leider sind wir nur von Gefühlen gebeutelte unlogische Menschen.
Und falls es doch mal einer von uns schafft, so supercool zu sein, ist er entweder völlig fantasielos (was ihn nicht gerade für einen kreativen Zirkel qualifiziert) oder ein Soziopath mit enorm hoher Reizschwelle.
Letztere werden, wenn man nicht aufpasst, leicht zu Verbrechern, Auftragskillern oder Vertretern anderer unanständiger Berufe, wie z. B. Henker, KZ-Aufseher oder Diktator.
Ich fürchte, nur sehr wenige Soziopathen sind Dichter.

1. Die Sehnsucht nach Gemeinschaft

Literaten schlagen sich mit Problemen herum, die Außenstehende kaum nachvollziehen können …  nicht einmal Künstler anderer Sparten.
Eine Freundin von mir hat es nach der Wende zu einiger Meisterschaft im orientalischen Tanz gebracht. Inzwischen gibt sie selbst Unterricht an einer Volkshochschule.
Ich habe alles miterlebt: wie sie eine neue Welt entdeckt hat, wie das Training sie anfangs geschlaucht hat, Hinwendung zu und Kräche mit diversen Tanzlehrern. Ihren ägyptischen Liebhaber und den Kulturschock, als sich herausstellte, dass dieser hauptsächlich auf ihr (nach europäischen Verhältnissen bescheidenes) Geld aus war.
Ich bewundere, was sie erreicht hat, mit welch lächelnder Anmut sie tanzt, und dass sie das alles versucht hat, obwohl sie mit über Fünfzig ganz bestimmt nicht mehr berühmt werden wird. Tänzer wissen genau, dass es irgendwann vorbei ist …  entweder, weil der Körper nicht mehr mitmacht, oder weil das Publikum keine Spuren des Alters sehen mag.
Es ist pure Leidenschaft und die Lust an der Bewegung, was sie immer wieder ins Studio treibt und sie bis zur Erschöpfung trainieren lässt.
Ich dachte, ich könne mit meiner Freundin jetzt leichter über meine Erfahrungen beim Schreiben reden, aber das Gegenteil war der Fall. Die Beschäftigung mit einer Kunst kann so aufwendig, dass alles andere hintenanstehen muss. Und letztendlich interessieren auch uns Literaten die körperbetonten Probleme der Tänzer eher am Rande.
Wir sind am Ende beim netten Small Talk gelandet.
Sie hat ihre Tanzfreundinnen und ich habe inzwischen einige freundlichen Kollegen gefunden. Gut, wir reden nicht immer über hohe Kultur, sondern auch über Katzen und selbstgemachten Apfelsaft. Wir tauschen Informationen, Fotos und manchmal auch ein bisschen Klatsch aus. Es ist nicht wichtig, dauernd über Fachliches zu reden …  wichtig ist, dass man es notfalls kann.
Denn die Suche nach dem einzig richtigen poetischen Bild, der Kampf mit einem widerborstigen Charakter oder das Entwirren komplizierter Handlungsfäden ist jedes Mal ein Abenteuer für sich.
Da braucht man schon ab und zu ein bisschen Zuspruch und die Gewissheit, dass die Freunde sich mit ganz ähnlichen Widrigkeiten herumschlagen …  die Versicherung, dass man nicht völlig unfähig ist.
Und man braucht freundliche und kompetente Probeleser, die einen nicht mit falschem Süßholz in die Irre führen, die nicht boshaft herumkritteln und deren ehrliches „ist ganz okay aber“ oder „eine gut gelungene Geschichte“ Gewicht hat.
Hinzu kommt, dass jeder andere Erfahrungen macht oder Chancen entdeckt. Wenn alle redlich teilen, kommt ab und zu etwas Positives heraus …  für irgendjemand. Wer davon profitiert, lässt sich nur in Ausnahmefällen vorausahnen.
Eins steht fest: Mit niemandem kann man so gut arbeiten, quatschen und saufen wie mit Gleichgesinnten.
Viele Künstler verspüren deshalb ein heftiges Bedürfnis, sich in Gruppen zusammenzuballen. Leider ist die Gefahr riesig, dass alles wieder auseinanderfällt.

2. Eine traurige Realität

Es gibt kaum ein Literaturforum im Internet, das nicht immer wieder von geradezu absurden Krächen und giftigen Feindseligkeiten durchgeschüttelt und in seiner Existenz bedroht wird. Das Verrückte daran ist, dass es dabei eigentlich gar nicht um greifbare Vorteile geht, denn letztendlich ist keinem dieser unter mehr oder weniger romantischen oder heroischen Scheinidentitäten agierenden Autoren bisher der Durchbruch gelungen.
Das sagt zwar wenig über die Qualität ihrer Arbeiten aus aber der offizielle Literaturbetrieb ignoriert das Gegrummel im Internet weitgehend. Und dafür gibt es Gründe: So manches, was sich dort tummelt, ist so dilettantisch, dass es schon weh tut.
Anders ausgedrückt: Der erkämpfte Rangordnungsplatz in einem Literaturforum ist weniger wert als das Ergebnis einer Schulhofkeilerei, denn Letztere hat wenigstens gravierenden Einfluss auf die Entwicklung eines Schülers in einem bestimmten Lebensabschnitt.
Schließlich kann er Selbstbewusstsein und Durchhaltevermögen nur dort trainieren, wo ihn das Schicksal hingestellt hat und ihm bleibt nichts anderes übrig, als dafür die ortsüblichen Standards zu akzeptieren.
Aus Internetforen kann man sich jederzeit wieder ausloggen und anderswo sein Glück suchen. Besonders zänkische Zeitgenossen werden so zu Webnomaden, die von einem Schauplatz zum anderen wandern und manchmal unter einem anderen Nickname zurückkehren um ihre längst verlorenen Schlachten erneut zu zelebrieren.
Sie spielen jedes Mal solange den Guru, bis sie von ein paar beherzten Leuten vergrätzt werden … meist vom Provokateur vom Dienst, dem Rebellen gegen die Tradition oder einem übereifrigen Freak. Manche Foren sind eine Art „Second Life“ für Leute, die im realen Leben wenig zu melden haben.
Das andere Extrem sind Foren, die von taffen Admins effektiv beschützt werden und zu wahren Kuschelecken mutiert sind. Da gibt es geschriebene und ungeschriebene Regeln, ohne deren strikte Befolgung die virtuelle Bedeutungslosigkeit droht.
Eine dieser lustigen Regeln besagt: Wenn dich jemand lobt, musst du dich ganz schnell bei deinem Rezensenten revanchieren und mindestens die gleiche Menge Süßholz über dessen mehr oder weniger mittelprächtigen Werken auskippen.
Auf die Weise kann man leicht ganze Vormittage …  an denen man viel lieber an den eigenen Texten gebastelt hätte …  vergeuden.
Ich bin momentan in drei Foren Karteileiche und ich finde, das reicht langsam.
Außerdem sind virtuelle Freundeskreise ziemlich unbefriedigend.
Ich ziehe reale Menschen vor, mit denen ich auch telefonieren, mich treffen und ab und zu ein gutes Bier oder ein Glas Rotwein trinken kann.
Obwohl das auch seine Tücken haben kann …
Zumindest sollte man es nicht übertreiben.
Mein persönliches Nähkästchen enthält einige interessante Fallbeispiele, die ganz lehrreich sind und die ich euch keinesfalls vorenthalten möchte.
Um die beteiligten Personen zu schützen, habe ich alle Handlungsorte unkenntlich gemacht und auch die Namen verändert. Dennoch bin ich ganz nahe an der Realität geblieben.

3. Das gute alte Vitamin B

Anfang der 70er war ich zusammen mit drei weiteren Autoren vom gleichen Ort kurze Zeit Mitglied einer vom Schriftstellerverband der DDR organisierten Arbeitsgemeinschaft für Nachwuchsautoren auf Bezirksebene. Mich hatte ein Schauspieler vom Stadttheater (der von mir bereits erwähnte „Bösewicht vom Dienst“ ) empfohlen.
Wie das bei den anderen war, weiß ich nicht.
Die Empfehlung durch einen Schauspieler bedeutete kein gutes Renommee, obwohl die Sache völlig harmlos war. Da steckte nämlich gar keine skandalumwitterte Liebschaft dahinter. Nachdem wir zufällig in der Theaterklause über „Nathan den Weisen“ins Gespräch gekommen waren, stellte sich heraus, dass der beliebte Darsteller mit seiner Frau und zwei kleinen Töchtern im gleichen Stadtteil wie ich wohnte …  praktisch gleich um die Ecke. Wir haben ein paarmal zusammen gefeiert, bis unser Bekannter ein neues Engagement in einer größeren Stadt bekam. Danach schlief der Kontakt allmählich ein.
Jedenfalls schauten die etablierten Herren von der Zirkelleitung jedes Mal sehr skeptisch, wenn ich etwas vorlas. Sie hatten ja nicht ganz Unrecht, denn aus heutiger Sicht war ich damals noch eine ziemlich orientierungslose Grenzgängerin zwischen Kunst und Politkitsch …  und eigentlich eines so illustren Haufens nicht würdig. Ich weiß nicht, ob ich heute mein damaliges Ich mögen würde. Wohl eher nicht.
Merkwürdigerweise gelang es aber …  bis auf eine Ausnahme …  auch den meisten anderen Autoren aus meiner Heimatstadt nicht, in der Gruppe Ansehen zu erlangen. Wir verstanden das nicht und gaben irgendwann auf. Zuhause gab es schließlich zwei Zirkel Schreibender Arbeiter und wenn wir für die Arbeitsgemeinschaft Jungen Autoren (noch) nicht gut genug waren, gehörten wir vielleicht da hin.
Ich habe erst viel später erfahren, dass alles ganz simpel war. Die eigentliche Nachwuchsförderung fand nämlich bei geselligen Besäufnissen in privaten Wohnungen und Wochenendhäusern statt und da wir jeden Abend mit dem Zug nach Hause fuhren …
Nur eine Kollegin, setzte alles auf eine Karte und schloss sich dem etablierten Klüngel an …  auch wenn ihr am nächsten Tag bei der Arbeit die Augen vor Müdigkeit zufielen.
Ich kann es ihr nicht verübeln, sie war eben älter und schlauer als ich.
Und auch schon weiter auf dem Weg zu ihrem eigenen Stil.

4. Heilige Ikonen

Mein erster Zirkel Schreibender Arbeiter wurde von der etwas pummeligen Gemahlin eines Kreisgerichtsdirektors geleitet. Sie war mütterlich, milde und sehr linientreu. Die Weisheiten, die sie uns vermittelte, stammten ausnahmslos aus einem vom Tribüne Verlag herausgegebenen „Handbuch des Schreibens“ . Wenn sie es hervorholte, verdrehten alle mehr oder weniger genervt die Augen, denn jetzt wurde „Theorie gemacht“…  und zwar ziemlich losgelöst von unseren eigenen Bemühungen.
Unsere Chefin legte Wert darauf, dass alles hübsch präsentabel war, Partei und Gewerkschaft erfreute und geeignet war, die Betriebszeitung des Geldgebers zu schmücken.
So entstanden neben unseren „privaten“ Gedichten und Geschichten auch etliche Arbeiterportraits, Loblieder auf den Sozialismus, Verse über das Schmelzen von Eisen und die Freuden des sozialistischen Kollektivlebens.
Geschadet hat uns das wahrscheinlich nicht und alles in allem hätten wir ganz glücklich sein können, wenn da nicht die Zirkelikonen und ihr Gefolge gewesen wären.
Die beiden älteren Herren …  ein unsäglich langatmiger Prosaschreiber und ein feuriger Heldenbarde …  zu kritisieren, war schlicht und einfach unmöglich. Sie dominierten praktisch jede Anthologie und Lesung und gewannen locker die Sonderpreise der Kreisleitung der SED und ihrer hiesigen Zeitung.
Einer von den Beiden war einmal bei einer Lesung so vermessen, sich während der anschließenden Diskussion ganz selbstbewusst mit Goethe zu vergleichen, was ein längeres unbehagliches Schweigen des Publikums zur Folge hatte.
Das Zirkelfußvolk grinste hämisch in sich hinein und ließ die Ikone hilflos zappeln.
Nein, obwohl die gemeinsame Arbeit am Text riesig Spaß machte und es unter der Autorität der Richtersgattin sehr viel harmonischer zuging, als in einem durchschnittlichen Internetforum, waren wir kein rundherum gutes Kollektiv.
Es gab Einzelfreundschaften, die zum Teil während der Wende zerbröselten.
Es gab ab und zu Erfolgserlebnisse wie Lesungen oder Anthologien …  aber die waren vom Frust wegen der Ikonen überschattet. Und es brodelte nicht wenig Neid und Wut wegen der ungerechten Bevorzugung Einzelner unter der glatten Oberfläche.
Zumindest habe ich das so empfunden.
Und dass der Deckel auf dem Gebräu rot angemalt war, machte es auch nicht besser.

5. Die Herzkönigin

Nennen wir sie einfach Maja, um ihre wahre Identität zu verbergen. Die Herzkönigin tauchte eines Abends auf und verzauberte unsere Männer, allen voran unseren neuen Zirkelleiter. Sie war Anfang zwanzig, groß, wohlproportioniert, blond und hatte unglaublich sanfte nussbraune Rehaugen. Oh ja, sie sah aus wie eine Poetin aus dem Bilderbuch.
Wir übrigen schreibenden Weiber konnten ihr aussehensmäßig nicht das Wasser reichen. Einige von uns reagierten mit blankem Hass, denn plötzlich gab es nur noch eine Sorte exzellenter Gedichte: die von Maja!
Sie schrieb im Stil von Heinz Kahlau: Knapp, pointiert …  und gar nicht mal schlecht.
Ich fand, dass es ein bisschen zu kahlaumäßig klang …  und inhaltlich nicht halb so bedeutend war, wie unser Zirkelleiter mit ziemlich verträumtem Blick behauptete.
Natürlich war schon der bloße Gedanke ein Sakrileg.
Ich weiß nicht, ob ich stolz darauf sein kann, diese junge Frau nicht gehasst zu haben. Es hatte nichts mit Moral und viel mit meiner Natur zu tun. Sexualneid gegenüber hübschen Frauen ist nicht mein Ding. Dazu schaue ich sie mir viel zu gern an. Ich weiß, besonders hetero klingt das nicht.
Außerdem sah ich ein, dass die Herzkönigin viel begabter als die bisherigen Ikonen war.
Sie stand nicht ganz so unrechtmäßig auf ihrem Podest.
Trotzdem war Maja für mich nicht der einzige aber ein wichtiger Grund, den Zirkel zu wechseln. Die andere, weniger berühmte Truppe gab mir dann bis zur Wende eine Heimstatt.
Niemand soll mich falsch verstehen.
Ich glaube bis heute nicht, dass es zwischen Maja und dem Zirkelleiter eine irgendwie zu beanstandende Beziehung gab. Da ging es wohl eher recht einseitig um dessen Begeisterung für wahre Schönheit und/oder einen netten kleinen Hormonkoller.
Trotzdem war der Schaden für die Gemeinschaft groß.
Dem Zirkel tat der Verlust einiger seiner erfahrensten Autoren nicht gut.
Ohne den ganzen Quatsch hätte ich mich vielleicht mit der jungen Frau angefreundet.
Aber was ich heute am schlimmsten finde: Aus Maja ist am Ende doch keine Dichterin geworden. Sie hat bis jetzt kein aufregendes Buch herausgebracht und im Web ist sie auch nicht zu ergoogeln.
Eigentlich schade!
Wenn der hoffnungslos verknallte Zirkelleiter sie nicht viel zu früh gelobhudelt hätte … ich denke, dann hätte aus ihr etwas werden können.

6. Heimatliche Geschichten

Die Zirkel Schreibender Arbeiter waren eine sehr sozialistische Sache, die vom FDGB gefördert und aus dem Kultur- und Sozialfonds volkseigener Betriebe bezahlt wurden.
Mit der Wende kamen die Probleme. Es gab kein Geld mehr für die Zirkelleiter, keine kostenlosen Räumlichkeiten, keine Unterstützung für Anthologien und keine Betriebszeitungen, die bunte Seiten mit Fotos, Lyrik und kleinen Geschichten brauchten.
Das bedeutete für die meisten Zirkel Schreibender Arbeiter das Aus. Auch in meiner Heimatstadt blieb nur ein kleines Häufchen Aufrechter übrig, das sich zu einer freien Autorengruppe unter dem Dach des örtlichen Kulturbundes zusammenschloss.
Zirkelikonen gab es weiterhin (alte und neue), die sich jetzt vornehmlich der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit widmeten. Natürlich mit genau der edlen Entrüstung, die von ihnen erwartet wurde.
Andere waren auf einmal völlig unpolitisch …  so, als hätte es gewisse sozialistische Gesänge und Arbeiterportraits nie gegeben.
Nur wenige Mutige legten den Finger in die neuen Wunden …  und nur, weil das ab und zu geschah, fand ich es immer noch sinnvoll, weiterzumachen.
Wir fanden eine kleine private Druckerei, gaben eine repräsentative Anthologie heraus und zerstritten uns mörderisch dabei.
Merkwürdigerweise ging es diesmal nicht darum, wer der Größte war (das war für die Ikonen längst geklärt), sondern darum, wer sich im Dienst der Gemeinschaft unentgeltlich die Hacken abrennen sollte. Unsere bejahrten Ikonen und einige andere Rentner waren der Meinung, dass das etwas für junge Beine wäre. Dass sie jetzt nur noch schreiben wollten und dass ihnen grundsätzlich eine besondere Schonung zustände.
Wir wenigen „werktätigen“ Autoren ließen uns das eine Weile gefallen …  aber es kotzte uns gewaltig an, denn wir hatten unsere eigenen Probleme.
Es fiel uns schwer, uns in der neuen Arbeitswelt zurechtzufinden. Wir standen permanent unter Druck, mussten uns ganz schnell anpassen, hatten ständig Angst um den Arbeitsplatz …  und da kam diese Horde angegrauter und zu diesem Zeitpunkt noch ausgesprochen rüstiger Egomanen auf die Idee, uns ausbeuten zu wollen!
Zu dem schäbigen Generationenkonflikt kam, dass auf einmal jeder sich selbst der Nächste war. Wer eine Chance zum Veröffentlichen entdeckt hatte, behielt sie für sich und fand das auch noch ganz normal. Schließlich hatten wir jetzt Kapitalismus und da war Kollektivgeist nicht mehr gefragt.
„Alles muss sich rechnen“ , plapperten die Wendehälse landauf landab.
Ich konnte es schon nicht mehr hören.
Wenig später kamen die Neuen …  Leute, die sich bisher nie irgendwo engagiert hatten …  und schleppten den bürgerlichen Mief der Vorkriegszeit mitten ins Herz unserer Gemeinschaft. Auf einmal bestimmten sie den Ton.
Da verließ ich die Gruppe zusammen mit unserem …  nun ehrenamtlichen …  Zirkelleiter.
Ja, ich gebe zu, dass wir es beide ganz gern gesehen hätten, wenn es ohne uns nicht weitergegangen wäre. Zu unserer Entschuldigung kann ich nur sagen, dass wir wirklich sehr frustriert und gekränkt waren.
Aber die Truppe tat uns nicht den Gefallen und existiert heute noch. Sie ist jetzt ein typischer Heimatdichterverein …  nichts, wo ich mich wohlfühlen könnte.
Ich denke manchmal nostalgisch oder zornig zurück.
Aber zu den Leuten habe ich kaum noch Kontakt.

7. Zu den Sternen

In einem kreativen Star Trek – Fanclub bin ich immer noch Mitglied. Er bietet die Möglichkeit, mit verhältnismäßig geringem finanziellem und organisatorischem Aufwand Texte unter die Leute zu bringen. Das ist ein entscheidender Vorteil gegenüber anderen Organisationsformen. Meine Tochter Adriana und ich fanden dort Freunde, Feinde und einige Leser.
Eine Zeit lang war es richtig schön.
Aber leider ist die ganze Fanfiction …  zumindest, was Star Trek betrifft …  ein wenig ins Abseits geraten. Immer weniger Hefte werden verkauft und selbst die langjährigen Aktivisten sind inzwischen müde geworden.
Viele Leute haben einfach kein Geld mehr für Bücher. Sie schleichen bei den großen Conventions um unseren Infostand herum, blättern interessiert, schauen nach dem Preis und legen das Fanzine unauffällig zurück auf den Tisch.
Dann gehen sie wortlos mit beschämter Miene.
Es fällt mir schwer, mich von diesem in Agonie dahinvegetierenden Verein zu trennen.
Warten wir ab, ob sich das Problem von allein löst.
Vielleicht gibt es ja mit dem nächsten Star Trek Kinofilm einen neuen Boom?
Aber eine Geschichte muss ich euch doch noch erzählen.
Adriana und ich schrieben Ende 1999 zeitgleich an unseren ersten Büchern …  ich an einer ziemlich unüblichen Vulkaniergeschichte und Adriana am ersten Band ihrer inzwischen schon inzwischen im Internet sehr beliebten Serie Star Trek Defender.
Ich hatte gar keine Erfahrung mit Prosa, tippte wild drauflos, merkte bald, dass all meine Pläne nicht so recht funktionierten, begegnete glücklicherweise einigen kooperativen Charakteren …  und folgte zum ersten Mal aufgeregt und skeptisch ihren Spuren.
Herausgekommen ist die Geschichte eines kleinen vulkanischen Mädchens, das von einem Sternenflottencaptain einen Gedichtband von García Lorca geschenkt bekommt, sich für die Kultur der Erde zu interessieren beginnt und Jahre später als Dissidentin von Vulkan verbannt wird. Ein typischer Entwicklungsroman, der vermutlich irgendeine stille Sehnsucht bei einigen Fans befriedigt hat, denn die Verkaufszahlen reichten beinahe an die guten alten Zeiten der Fanfictionblüte heran.
Ich finde heute noch, dass inhaltlich viel für den Band spricht …  aber eigentlich ist er grauenhaft schlecht geschrieben. Er müsste vollständig überarbeitet werden, um endlich sein Potenzial voll entfalten zu können, aber bei der derzeitigen Flaute macht das wenig Sinn.
Spätere Bücher von mir fanden bedeutend weniger Leser.
Wahrscheinlich experimentiere ich zu gerne und die Fans haben wohl generell etwas anderes von mir erwartet: dass es mit der lieben kleinen T’Liza geradlinig weitergeht, dass sie z. B. studiert, einen heroischen Partner findet und nette Kinderchen kriegt, vielleicht ein paar kleine Konflikte … Soap vom Feinsten eben.
Stattdessen hat sich ein Rudel sehr selbstbewusster schwuler Krieger vorgedrängelt, die den T’Lizafans offenbar nicht sonderlich behagten. Ich wurde auf das Forumnormalmaß zurechtgestutzt. Aber ein paar Freunde, die mich immer noch lesen, machen mir Mut.
Adriana hatte anfangs weit weniger Glück als ich. Ihre mit viel Liebe konzipierte Defenderreihe wurde schlicht ignoriert und unsere liebe Monika, die für das Geschäftliche zuständig ist, leistete sich einen phänomenalen pädagogischen Fehltritt.
Nachdem sie mein alles andere als vollkommenes Erstlingswerk eben noch in den Himmel gehoben hatte, drehte sie sich zu meiner Tochter um und sagte: „Dein Buch will leider niemand haben. Tut mir leid.“
Habe ich schon erwähnt, dass Monika von Beruf Lehrerin ist?

8. Das Elend mit den Gefühlen

Nun, das alles ist nur ein kleiner Teil meiner merkwürdigen Erlebnisse mit kreativen Gruppen. Aber ich will es vorerst dabei bewenden lassen.
Vielleicht findet sich ein andermal die Gelegenheit, über raffiniertes Mobbing zu reden.
Darüber, wie die Verantwortlichen bei Auszeichnungsveranstaltungen einen Saal vollkriegen …  oder über die fatalen Folgen von Alkoholmissbrauch und was für ein undefinierbarer ekliger Dreck da hochgespült wird.
Wahrscheinlich könnte ich locker einen Band mit Anekdoten füllen.
Ich habe diesmal ganz bewusst recht häufige Phänomene ausgewählt, um zu zeigen, wie verlogen und zerbrechlich Künstlergemeinschaften sein können. Obwohl einiges DDR-typisch daherkommt, könnte es doch mit kleinen Abweichungen überall passiert sein.
Ich höre schon die üblichen Kommentare.
„Künstler sind alle Egomanen …  da gönnt einer dem anderen nicht das Salz in der Suppe.“
„Verrückt und größenwahnsinnig sind sie!“
„Das weiß doch jeder: Genie und Wahnsinn gehören zusammen.“
„Ach, was heißt hier Genie? Das sind doch alles bloß neidzerfressene kleine Japper.“
„Ja, das ist wirklich sehr unappetitlich.“
„Lohnt es sich überhaupt, das Zeug von solchen Angebern zu lesen? Die sind doch sozial völlig inkompetent und kriegen nicht einmal ihr eigenes Leben auf die Reihe.“
„Wahrscheinlich nicht …“
Hier muss ich heftig intervenieren.
Das, was den Leser so abstößt, gibt es auch in anderen Berufsgruppen.
Experten schätzen zum Beispiel, dass in Deutschland ungefähr 2,5 Millionen Menschen ganz konkret von Mobbing betroffen sind .
Neben solchen systematischen Feindseligkeiten nehmen sich die üblichen Reibereien und Gemeinheiten in Schreibzirkeln und Foren noch recht harmlos aus …  obwohl auch da der Übergang zum Mobbing fließend sein kann.
Die Ursachen von Mobbing und anderem Gezänk werden so erklärt: „Sie reichen von Missgunst und Neid über die Unsicherheit um die eigene Person bis hin zum bewussten Personalabbau via Mobbing. „
Na, kommt Euch das bekannt vor?
Und erklärt mir bitte nicht, dass ihr noch nie mit Eifersucht oder Neid auf eine reale oder eingebildete Zurücksetzung reagiert habt! So etwas glaube ich …  unter Vorbehalt …  nur vulkanischen Kohlinar-Meistern, und die sind leider nur eine Fiktion.
Die Frage ist nicht, ob ab und zu ein paar unappetitliche Emotionen in Euch hochkochen, sondern wie zivilisiert ihr damit umgeht, und das hängt unter anderem auch davon ab, wie wohl ihr euch in der eigenen Haut und Persönlichkeit fühlt.
Wenn bereits ein paar …  wenn auch kleine …  Erfolge und reichlich positives Feedback vorhanden sind, fällt es leichter, den eigenen Wert objektiv zu beurteilen und die peinlichen Gefühle erfolgreich zurückzudrängen.
Mir hilft es meist, in den eigenen Texten noch einmal zu blättern und zu lesen. Dann komme ich regelmäßig zu dem Ergebnis, dass sie …  wenn auch keinesfalls vollkommen …  gar nicht mal schlecht sind und ich vor keinem „Bullenkäfer“ Angst haben muss.
Kraft und kostbare Lebenszeit kostet es dennoch jedes Mal.
Aber zurück zur Frage, warum es gerade unter Künstlern so viel Futterneid gibt!
Eigentlich sind die Ursachen ganz simpel.

1. Es gibt bedeutend mehr kreative Menschen als Veröffentlichungsmöglichkeiten und vor allem Käufer. Ganz objektiv können nicht einmal alle, die es verdienen, den Wettlauf zur Futterkrippe gewinnen.
2. Es ist oft unverständlich, warum manche Autoren von Verlagen und Kritikern „hochgeschossen“ werden, und warum andere, die mindestens genauso gut sind, keinen Fuß auf den Boden bekommen. Wahrscheinlich ist da viel „Vitamin B“ im Spiel. Ein Freund von mir träumt permanent davon „Hausautor“ bei einem renommierten Verlag zu werden, was ihm das Recht verleihen würde, im Schlafrock und mit Filzpantoffeln in das Büro seines Lektors spazieren zu dürfen. Der arme Mann hat für seine einzige Buchveröffentlichung eine Menge Geld hingeblättert und er hortet immer noch in seinem Keller ungefähr tausend unverkäufliche Exemplare.
3. Die Qualität von Kunst ist nicht wirklich messbar. Nach dem Aussondern von offensichtlichem Mist wird ein Ranking schwierig. Wer mir nicht glaubt, schaue sich einmal einen Wettbewerb im Eiskunstlaufen an. Die sportlichen Noten liegen für gewöhnlich dicht beieinander und die Noten für den künstlerischen Ausdruck differieren heftig. Jeder Kampfrichter oder Kritiker lässt eben seine persönlichen Vorlieben oder Abneigungen für die Person und für den Stil des Dargebotenen einfließen.
4. Kreative Menschen sind oft überdurchschnittlich sensibel. Wer ständig feinsten Nuancen und Schwingungen nachspürt, hört schon einmal das Gras wachsen und die Flöhe husten …  ich will sagen, er ist besonders schnell beleidigt und gerät leichter als robustere Naturen in einen Strudel aus negativen Empfindungen.
5. Andererseits sind viele Künstler ziemlich eitel, einige sogar offensichtlich narzisstisch. Narzissten können urplötzlich in maßlose Wut geraten, wenn jemand ihrem Claim zu nahe kommt oder ihre Vortrefflichkeit in Frage stellt. Seid ehrlich! Auch das müsste uns allen ab und zu bekannt vorkommen.

Ja, das ist schon ein beunruhigendes Gebräu.
Über das Gebaren diverser unbegabter Möchtegernkünstler breite ich lieber den Mantel christlicher Barmherzigkeit. Die sind noch ein paar Zähne schlimmer als unsereins, weil ihnen auf jeden Fall die Fähigkeit zur Selbstkritik komplett fehlt. Sonst würden sie nämlich ihren unsäglichen Wortmüll nicht ist Web stellen.

9. Die ideale Gruppe

Was soll das denn sein?
Ein Schwarm stromlinienförmiger gleichartiger Fische, die synchron durchs Wasser tanzen?
Eine straff organisierte Einheit unter einem strengen Feldwebel?
Ein wilder Haufen, wo jeder ohne Rücksicht auf die Befindlichkeit der anderen seine Meinung herausrotzt?
Oder doch eine zahme Herde kuscheliger Schäfchen?
Vergesst es!
Ideale sind nur Abstraktionen und erfolgreiche Autorengruppen funktionieren vermutlich auf ganz unterschiedliche Weise.
Aufgrund von Pleiten, Pech und Pannen aus der Vergangenheit scheinen mir jedoch folgende Ratschläge wichtig zu sein:

Haltet die Mitgliederzahl überschaubar!
Hütet euch vor Dilettanten!
Ebenso, wie vor Missionaren und sonstigen Fanatikern!
Nehmt niemanden auf, dessen Grundwerte mit euren völlig inkompatibel sind.
Keine Privilegien für niemand!
Nieder mit allen „Zirkelikonen“ !
Maßlose Lobhudelei ist schädlich!
Unsachliche Kritik aber auch!
Bleibt tolerant und freundlich!
Lasst jedem Raum, damit er auf seine Art wachsen kann!
Vermeidet innerhalb der Gruppe jedes Ranking!
Und teilt geduldig alle Lasten und Chancen!
Trinkt ab und zu gemeinsam ein Bier.
Aber besauft euch nicht zu sehr.
Feiert gemeinsam eure Veröffentlichungen und Geburtstage!
Tröstet euch gegenseitig bei Niederlagen!
Und werdet bei Erfolgen nicht arrogant!

Tja …  sagt mir bitte Bescheid, wenn ich was Wichtiges vergessen habe.

Fazit

Künstler bilden gern Gemeinschaften, aber die sind nicht immer stabil.
Sowohl die komplizierten Künstlerpersönlichkeiten als auch die harten Bedingungen des Literaturmarktes können als Zentrifugalkräfte wirken.
Das Vorziehen Einzelner kann peinliche Gefühle wie Neid und Hass zur Folge haben.
Ikonen und Herzköniginnen sind gefährlicher, als man denkt.
Obwohl sie oft völlig unschuldig sind.
Das Mantra für alle lautet: Toleranz und Gerechtigkeit.
Toleranz und Gerechtigkeit.
Toleranz und Gerechtigkeit.

 

Referenzen:

Der Tribüne Verlag gehörte der DDR-Einheitsgewerkschaft FDGB.

Bekannter DDR-Lyriker

Freier Deutscher Gewerkschaftsbund …  die DDR – Einheitsgewerkschaft

Martin Wolmerath: Mobbing, WEKA Media GmbH & Co. KG 2008, Lizenzausgabe für Jokers restseller Augsburg, S. 5

Martin Wolmerath: Mobbing, WEKA Media GmbH & Co. KG 2008, Lizenzausgabe für Jokers restseller Augsburg, S. 31

 

© 2008 by Anneliese Wipperling

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