Die Macht

Völlig aufgelöst erscheint die Studentin Michelle Maras zu ihrer Prüfung in vulkanischer Philosohie – und steht einem leibhaftigen Vulkanier gegenüber …

Star Trek Shortstory von Anneliese Wipperling

Ich bin auf einer Disco und so ein blasser, pickeliger Fiesling traut sich wahrhaftig, mich anzumachen, raspelt irgendwelches Süßholz von großen Augen und noch größeren … also, sage ich ihm, dass meine Oberweite ihm doch egal sein kann … aber warum bist du nur so zickig, kritisiert mich der Pickel und versucht, mich zu küssen … er ist stark wie ein Bär und drängt mich einfach gegen die Wand … verdammt, warum hilft mir keiner, die müssen doch sehen, wie unverschämt dieser Kerl ist … dabei weiß ich noch nicht mal, ob das ein Mensch ist, wundere ich mich … weil … ich glaube, das sind gar keine Pickel … es sieht jetzt aus, wie eine Art Schuppen, der Kerl ist eindeutig grau im Gesicht und er sabbelt pausenlos mit blecherner Stimme … so ein seltsames Alien habe ich noch nie gesehen … Cardassia … nie gehört … muss ja eine fürchterliche Welt sein, wo solche hässlichen Kerle frei herumlaufen … Herrgott, ich will hier weg und das so schnell wie möglich … auf einmal blitzt etwas bläulich auf … der Cardassianer wird in kleine Stücke zerhackt und der Fußboden sieht aus, wie mit Himbeersoße bekleckert … Danke Obi-Wan … ich …

Es war zum Glück alles nur ein Traum! Die Morgensonne schien in meine kleine Pariser Studentenbude und beleuchtete das Riesenposter vom jungen Obi-Wan Kenobi: kurzes, dunkles Haar, ein kleines Zöpfchen im Nacken, ein schimmerndes Lichtschwert.
„Mein Held! Warum gibt es solche Jungs nicht bei uns … so selbstlos, tapfer und geheimnisvoll, mit magischen Kräften. Möge die Macht mit dir sein, großer Obi-Wan irgendwo in einer weit entfernten Galaxis!”
Natürlich wusste ich, dass Obi-Wan nur eine Erfindung ist … und der Holofilm obendrein das vierzehnte Remake eines Klassikers aus dem zwanzigsten Jahrhundert. Aber irgendetwas braucht man doch zum Träumen … obwohl: „Ich sollte mich besser beeilen!”
Ich war die Erste bei der Abschlussprüfung in vulkanischer Philosophie und ich fühlte mich alles andere, als gut vorbereitet. Natürlich hätte ich mir auch einen anderen Planeten heraussuchen können, Andor zum Beispiel … oder Tellar. Aber jemand gab mir den schlauen Rat, es mit Vulkan zu versuchen, weil es dort nur einen einzigen wichtigen Philosophen gäbe, nämlich Surak … und alle neueren vulkanischen Philosophen nur Surak wiederkäuen würden. Ich dachte in meiner Naivität, ich bräuchte nur genug Zitate von ihm auswendig zu lernen und könnte so das Fach außerirdische Philosophie ganz leicht abhaken. Warum nur hat mich niemand gewarnt, dass dieser Surak mehr als hundertdreißig Jahre lang täglich mehrere hoch wichtige Mails verfasst hat? Und dass man von seiner Philosophie Kopfschmerzen bekommt, so kompliziert ist sie!
„Möge die Macht mit mir sein! … und möge ich die richtigen Prüfungskladden ergattert haben! Die können doch unmöglich so unfair sein und den ganzen Surak von uns verlangen! Ich rassele durch, wenn das passiert … hilf mir, Obi-Wan! Ich sterbe vor Angst!”

* * *

Als ich vor dem Raum, in dem die Prüfungen stattfinden sollten, ankam, hörte ich schon den üblichen Lärm. Hopkins versuchte wie immer, in letzter Minute noch Unmengen Wissen in sich hineinzustopfen und fuchtelte hektisch mit seinen Datenpads. Julia betete laut. Morrigan starrte mit hoffnungslosem Gesichtsausdruck aus dem Fenster und murmelte in regelmäßigen Abständen: „So ein Mist, ich weiß rein gar nichts, die werden mich rausschmeißen, wenn sie erst merken, wie leer mein Kopf ist!”
„Macht nicht so ein Theater!“ bemerkte ich großspurig. „Der alte Loriot stellt jedes Jahr die gleichen Fragen, was soll uns schon groß passieren.“
Die anderen drei beachteten mich überhaupt nicht.
„Meine Damen und Herren”, hörte ich die piepsige Stimme der Sekretärin unserer Fakultät hinter mir. „Professor Loriot ist leider erkrankt …”
„Spitze!” schrie Julia begeistert. „Die Prüfung fällt aus! Beten hilft doch …”
„So ein Scheiß!” knurrte Hopkins. „Bis die Prüfung wiederholt wird, habe ich alles längst wieder vergessen … die ganze Paukerei war umsonst …”
Morrigan sagte gar nichts und starrte den Vorzimmerdrachen nur entgeistert an.
„Die Prüfung fällt nicht aus”, erklärte die Sekretärin und erlaubte sich ein spöttisches Lächeln. „Professor Andal wird Sie prüfen.” Sie sprach es Angdáll aus … also war es wenigstens ein Mensch und wahrscheinlich sogar ein Franzose … Trotzdem, meine Kladden konnte ich nun wegschmeißen …
„In einer halben Stunde geht es los“, erklärte die Sekretärin hoheitsvoll. „Professor Andal muss erst noch Ihre Unterlagen prüfen, warten Sie bitte auf den Gong!“ Mit wedelnden Locken und klappernden Absätzen rauschte sie davon. Wir sahen uns verunsichert an.
„Ich bin tot”, erklärte ich resigniert. „Ich habe nur gelernt, was in der Kladde steht … und nun schicken die uns zu einem wildfremden Prof …”
„Vielleicht sollte ich einfach zum Arzt gehen …” sinnierte Hopkins. „Irgendwann wird der alte Loriot wieder da sein … und dann …”
„Vergiss es”, bemerkte Morrigan ohne jede Illusion. „Der alte Loriot geht Ende dieses Semesters in Pension. Du glaubst doch nicht im Ernst, dass der sich vorher noch gesund schreiben lässt!”
„Wir sind von allen guten Geistern verlassen …” murmelte Julia verzweifelt. „Ein fremder Prof … was für eine Katastrophe …”
Schweigend und ergeben warteten wir auf unser Schicksal …

Verflixt! Das kann doch noch nicht schon der Gong gewesen sein … oder doch? … und jetzt muss ich da rein … mit dieser widerwärtigen Watte im Kopf und in den Knien … und wer weiß, wo sonst noch? Wenn ich wenigstens etwas über diesen Prof wüsste … soll ich noch schnell zwei Knöpfe an meiner Bluse? … oder lieber nicht? … Lächeln? … Augenaufschlag? … oder ganz geschäftsmäßig? … ich hoffe doch, das ist wenigstens ein Mann, sonst sieht es noch schlechter für mich aus … dieser Vorzimmernervensäge ist alles zuzutrauen … für die ist das ein Heidenspaß, wie die eingebildeten zukünftigen Akademiker sich vor Angst … sie hätte uns wenigstens sagen können, welches Geschlecht …

Der Schreibtisch des Prüfers stand direkt vor dem Fenster. Draußen schien die Sonne und ich sah nur eine große, schlanke Silhouette im Licht stehen.
„Guten Morgen, Mademoiselle Maras … oder soll ich Sie Michelle nennen?” Die Stimme klang eindeutig männlich, dunkel … und trotzdem sehr kühl.
„Professor Angdáll?“ flüsterte ich heiser.
„Ich bin Andal aus dem Hause Boras”, verbesserte mich die kühle Stimme ruhig. Er betonte die erste Silbe seines Namens … und sein Französisch hatte einen sehr merkwürdigen Akzent. „Nehmen Sie bitte Platz.”
Der Fremde setzte sich geschäftsmäßig … und ich rückte meinen Stuhl so, dass mich das Licht vom Fenster nicht mehr blendete und ich endlich sehen konnte, wer …
Fassungslos starrte ich nun in das Gesicht meines Prüfers: Es war tiefschwarz … ein makelloser, negroider Typ … in dem dunklen Gesicht leuchteten die hellgrauen Augen beinahe unnatürlich … und die Ohren … sie waren eindeutig lang und spitz … auf den sanft geschwungenen Lippen ein grünlicher Schimmer … ein Vulkanier würde mich in vulkanischer Philosophie prüfen! Plötzlich war auch meine Zunge aus Watte. Ich konnte den Fremden nur anstarren … und wahrscheinlich sah ich dabei ungefähr so intelligent wie eine Weinbergschnecke aus.
„Es ist nicht logisch, Angst vor mir zu haben …” Die Stimme des Vulkaniers klang nun sehr sanft. „Ich freue mich, dass Sie sich für vulkanische Philosophie entschieden haben. Es ist eine große Ehre für mich, dass Sie Surak so viel Interesse entgegenbringen.”

Ich fasse es nicht … er freut sich, dass mich Surak interessiert … seit wann freuen sich Vulkanier … jedenfalls tun es diese beiden arroganten Schnösel von der medizinischen Fakultät nie, die sind so schlau und erhaben, dass sie niemals mit unsereinem reden und miteinander auch ziemlich selten … und jetzt das … es ist ein Desaster … mein Gott, wenn der wüsste, wie der liebe alte Loriot seinen kostbaren Surak verwurstet … Zitat eins bis fünfundzwanzig und die Interpretationen stehen im Handbuch … wehe, man hatte das nicht ständig im Kopf …

Professor Andal sah mich irritiert an. „Ich verstehe nicht, welches Handbuch Sie meinen … gibt es denn an der Lehre Suraks etwas, das Sie besonders fasziniert?” Er wollte offensichtlich nett zu mir sein … vielleicht hatte er ja keine Lust, seine allererste Studentin durchfallen zu lassen.
„Ich … äh …” war alles, was ich mit großer Mühe hervorbrachte.
„Vielleicht“, sagte Andal behutsam, „sollte ich Ihnen ein wenig Zeit geben, sich zu beruhigen.“ Er stand auf, stellte sich ans Fenster und sah hinaus.
Es war so still, dass ich meinen eigenen Herzschlag hörte … und spürte, wie sich ein seltsames Kraftfeld im Raum aufbaute. Die Präsenz des Vulkaniers war so übermächtig, dass ich kaum noch atmen konnte … als müsste ich sofort aufspringen und flüchten …

Was geschieht nur mit mir? … dieser vulkanische Professor ist praktisch überall gleichzeitig … sogar in mir … und er merkt, wie hohl mein Kopf ist, wie gleichgültig mir eigentlich dieser Surak ist … und dass ich nur irgendwie die Prüfung überstehen will und nicht wiederkommen müssen … was bin ich nur für ein Würstchen … ich kann unmöglich mit ihm reden und ihm meine auswendig gelernten Zitate vorsetzen … er wird sofort merken, wie wenig Ahnung ich habe … vielleicht stimmt ja auch nicht, dass Vulkanier nur Berührungstelepathen sind … oder er hat eine Großmutter von Betazed … egal, ich bin so und so verloren … er weiß alles … er hat die Macht … ich spüre es deutlich … da ist etwas … vielleicht gibt es ja auch auf Vulkan diese … Midi-Chloriane … ich ahnte ja nicht, dass ich solche Angst haben würde, wenn die Macht endlich vor mir stehtund dabei habe ich mir immer gewünscht, ein Jedi würde mich irgendwann retten und nun spüre ich nur noch mein eigenes Herz, wie es rast und wahrscheinlich gleich stehen bleibt.

Andal stand jetzt hinter mir … so nahe, dass er mich fast berührte. Ich spürte die Hitze, die von ihm ausging und er roch fremdartig, wie von der Sonne erhitzte Steine.
„Hören Sie, Mademoiselle“, sagte er frustriert. „Ich bin eigentlich hier, um Ihre Kenntnisse in vulkanischer Philosophie zu überprüfen. Ich weiß nichts über Jedi und Midi-Chloriane, ich habe noch nie etwas davon gehört und es hat auch nichts mit unserem Thema zu tun. Sie müssen sich jetzt endlich konzentrieren.“ Er konnte also tatsächlich Gedanken lesen!
„Ich bin …” flüsterte ich demütig. „Ich werde jetzt gehen … es hat keinen Zweck.”
„Sie müssen sich beruhigen!“ wiederholte der Vulkanier… und dann berührte er mich mit beiden Händen am Halsansatz. Seine Finger waren genauso heiß und hart, wie ich vermutet hatte.

Vulkanier meiden doch jeden Körperkontakt … jedenfalls würden unsere beiden Schnösel ganz laut „huch” sagen und so ein niederes Wesen wie mich auf gar keinen Fall anfassen … dabei ist es so angenehm … so sicher und glücklich habe ich mich zuletzt als ganz kleines Kind gefühlt … als Vati mich noch beschützt hat und meine Hand hielt … dieser unendliche Frieden … ich wusste gar nicht, dass es so etwas für mich noch gibt … Andal hat doch die Macht … nein, widerspricht er sanft, ein Krieger hat mir vor langer Zeit gezeigt, wo die Nervenpunkte sind, wie man einer verängstigten Person … Krieger auf Vulkan, das sind doch Pazifisten … vielleicht ist das in Wirklichkeit ein Romulaner, der mich gleich umbringen wird … aber das kann nicht sein … er ist so sanft, ein echter Sohn der Wüste … und es tut wirklich gut, was er mit mir macht … nein, er soll mich nicht loslassen, denn die kalte Welt …

Nun saß er wider ganz ruhig und geschäftsmäßig hinter seinem Schreibtisch … als wäre überhaupt nichts Seltsames zwischen uns passiert.
„Sie haben beachtliche mentale Fähigkeiten”, sagte er ruhig und sah mich interessiert an. „Wir müssen über Ihre Träume reden. Diesen Cardassianer gibt es wahrscheinlich irgendwann in der Zukunft … aber da ist noch mehr: Sie haben sogar bemerkt, dass ich Ihre Gedanken gelesen habe und mein Nehau gespürt. Das ist ungewöhnlich, für einen Menschen, ich wäre sofort bereit, Ihnen Unterricht zu geben.”
Irgendetwas schien ihn zu amüsieren. Zu meiner maßlosen Verwunderung lächelte er nun leicht und fuhr fort: „Es ist eigentlich unlogisch, auf der Erde diese Maskerade weiter aufrecht zu erhalten. Hier wird mir niemand übel nehmen, wenn ich ab und zu Gefühle zeige …”
„Sie sind ein Dissident“, stellte ich verwundert fest.
„Nein, ich bin ein Turuska. Mein Volk bewohnt eine Art Reservat mitten in der südlichen Wüste. Man hält uns für nicht sonderlich zivilisiert, aber wir dürfen in Ruhe unsere angeblich so archaischen Bräuche ausüben, weil der große Surak uns vor tausend Jahren beschützt hat. Ich bin der erste ordentliche Professor meines Volkes, der Philosophie und Ethik lehrt … ich wurde tatsächlich für eine gewisse Zeit suspendiert, aber nicht wegen meiner Lehren, sondern weil ich angeblich das Kohlinar nicht genügend achte.”
„Aber das ist doch auch Rebellion!“ sagte ich ehrfürchtig.
„Nein, jeder auf Vulkan weiß, dass wir Turuska Surak anders interpretieren. Es war meine dunkle Haut, die plötzlich Anstoß erregt hat. Ich wurde stellvertretend für mein Volk gestraft.“
„Es gibt Rassismus auf Vulkan …” dachte ich unglücklich. „Wenn selbst Vulkanier so unzivilisiert sein können … wie sollen dann Menschen …”
„Wissen Sie, was das Cthia ist?“ fragte mich der Professor ruhig.
„Die Realität …” antwortete ich in vagem Ton.
„Das trifft es nicht richtig … das Cthia ist auch für Nichtvulkanier sehr interessant. Erklären Sie bitte, was die Beurteilung der Realität so schwierig macht!”

* * *

Jetzt wird es ernst … das ist definitiv die Prüfung … und er will keine Zitate hören, sondern wissen, was ich selbst denke … über die Philosophie Suraks … so etwas hat der alte Loriot nie von mir verlangt … vielleicht hat er es selbst auch nie getan und sich wie ein Ertrinkender an diesem Handbuch festgeklammert … denke ich ganz ketzerisch und die grauen Augen des Vulkaniers funkeln amüsiert …

Es war eine schwierige Situation. Ich musste jetzt und hier nachdenken und es sofort mit diesem fremdartigen Alien besprechen … er würde sogar meinen Denkprozess bewerten. Bei dem Gedanken wurde mir abwechselnd heiß und kalt.
„Eine Schwierigkeit ist, dass man niemals alle Informationen hat …” sagte ich langsam.
„Das ist in der Tat ein großes Problem“, stimmte mir Andal zu. „Aber das allein ist mir zu simpel. Was für Probleme erkennen Sie noch?“
Hilf mir Obi-Wan! Dann fiel mir überraschend etwas ein: „Es gibt Dinge, die zu groß oder zu klein für uns sind … und solche, nach denen wir nicht suchen …”
„Weil sie zu fremdartig sind … gänzlich außerhalb unserer Vorstellungswelt liegen …” ergänzte der Professor freundlich. Es war wie bei einer lockeren Diskussion unter Gleichen … irgendwo bei einer guten Flasche Rotwein.
„Das können wir später noch nachholen …” erklärte der Vulkanier freundlich. „Allerdings werde ich mich mit Fruchtsaft begnügen müssen, von Wein bekomme ich leider Kopfschmerzen.”
Das unmerkliche Lächeln in dem dunklen Gesicht sah richtig nett aus. Ich verstand jetzt gar nicht mehr, weshalb ich solche Angst gehabt hatte. Nun wurde er wieder ernst. „Nehmen wir einmal rein theoretisch an, dass alle Informationen zu einem bestimmten Sachverhalt vorhanden sind und dass sie in geordneter Form vorliegen …”
„Dann dürfte es eigentlich keine Probleme mehr geben …” sagte ich selbstbewusst.
„Wirklich?“ fragte Andal amüsiert.
Ich starrte ihn unglücklich an. Jetzt hatte ich ihn doch enttäuscht!
„Haben Sie schon einmal etwas von der Unschärferelation gehört? Auf dieser Welt wurde sie von einem gewissen Heisenberg formuliert.“
Das war Schulstoff der zehnten Klasse. Ich spürte förmlich, wie es in meinen Gehirnwindungen rumorte … und wie Andal mit einem behutsamen mentalen Eingriff einige Erinnerungsblockaden beiseite räumte. „Es geht um theoretische Physik …” sagte ich vorsichtig. „Das Messinstrument hat Einfluss auf das Ergebnis … das Ganze bildet ein System …”
„Richtig”, bestätigte Andal erfreut. „Und jetzt wenden Sie das bitte auf unser Problem an!”
„Der Beobachter ist das Messinstrument … er ist Teil des Systems …” antwortete ich langsam, verwundert über meine eigene Intelligenz. „Die persönlichen Eigenschaften des Beobachters gehen unweigerlich in das Ergebnis ein … sein Wissen, seine Kultur, seine Ansichten … seine Vorurteile.”
„Sogar der Erziehungsstil seiner Mutter und seine erste Liebe beeinflussen die Forschungsergebnisse“, ergänzte mein Prüfer gelassen.
„Es gibt gar keine objektive Wahrheit!” erkannte ich erschüttert. „Selbst wenn ich mich noch so sehr anstrenge …”
Ich war selbst erstaunt, welch abgrundtiefe Trauer mich bei diesem Gedanken erfasste. All unsere leidenschaftlichen, selbstgerechten Diskussionen …
„Sie haben recht, Michelle … das ist in Wirklichkeit ziemlich irrelevant.”
„Aber dann ist alles völlig sinnlos … mein Studium … diese Prüfung …”
Die grauen Augen hielten mich unerbittlich fest. „Ich bin mir sicher, Sie wissen jetzt, was das Cthia ist. Sprechen Sie es einfach aus!”
„Das Cthia ist die wahre Wirklichkeit, die außerhalb von uns selbst existiert und nicht durch unseren Einfluss verunreinigt ist … es ist eine abstrakte Größe”, sagte ich erleichtert. Langsam begann ich zu hoffen, dass ich doch nicht durchfallen würde.
„Und was folgt daraus?“
„Niemand kann auf das Cthia Anspruch erheben. Wer behauptet, es zu besitzen, lügt.“
„Auf Vulkan heißt es, dass man das Cthia ehren muss … und dass es sehr schwer ist, dies zu tun.” Andal war auf einmal sehr ernst. „Ich möchte, dass Sie jetzt formulieren, was das für Sie persönlich bedeutet … und für alle anderen denkenden Wesen im Universum.”
„Es bedeutet, bescheiden zu sein, die eigene Person bewusst in den Hintergrund zu drängen und zu wissen, dass sogar dieses kleine, demütige Selbst die Objektivität noch behindert.“
Professor Andal sah mich aufmerksam an. Ich spürte wieder seine vorsichtige, mentale Berührung. „Sie haben eben gezeigt, dass Sie im Stande sind, selbstständig zu denken und die Lehren Suraks nachvollziehen können. Sie haben die Prüfung bestanden … leider kann ich Ihnen nicht die volle Punktzahl geben, weil …”

Ich muss die Prüfung nicht wiederholen … ich muss hier nicht wieder antreten … jetzt habe ich nicht einmal mitbekommen, welche Zensur er mir gegeben hat, aber das ist mir egal … hurra, ich habe es geschafft, nur das zählt … ich kann jetzt die ganze außerirdische Philosophie vergessen, obwohl es eigentlich schade ist … es fängt gerade an, interessant zu werden … und Professor Andal … der Jedi …

Der Jedi lächelte nun ganz offen. „Ich habe eigentlich gehofft, Sie auch zukünftig in meiner Vorlesung zu sehen. Sie wird einen etwas anderen Inhalt haben … ein zweiter Schein in vulkanischer Philosophie ist bestimmt nicht zum Schaden.”
Er wollte mich als Studentin behalten … also hielt er etwas von mir. Interessiert fragte ich: „Was werden die Schwerpunkte Ihrer Vorlesung sein? Um mich zu entscheiden, brauche ich …”
„… ausreichende Informationen”, ergänzte der Vulkanier sanft. „Nun, wenn es nur um den üblichen Philosophiebürokratismus ginge, hätte ich das neue Angebot auf Vulkan annehmen können, aber ich will mich keiner Zensur mehr unterwerfen. Meine Vorlesung wird das enthalten, was mir schon immer wichtig war und was ich zu Hause niemals lehren durfte: die Interpretation der Lehren Suraks durch mein eigenes Volk und meine persönlichen Versuche, das Cthia zu ehren …”
„Es wird denkwürdig und einmalig sein …” flüsterte ich andächtig. „Ich will unbedingt dabei sein.”
„Dann gehen Sie jetzt am besten gleich zu Frau Linné und schreiben sich ein. Es könnte sein, dass es nach den Semesterferien ein wenig eng wird“, bemerkte Andal selbstbewusst.
„Oh ja, das werde ich sofort tun.” Ich hatte auf einmal Angst, es hätte sich bereits herumgesprochen, was für ein einmaliger Professor …
„Ich habe noch eine Bitte“, unterbrach der Vulkanier meinen Gedankengang. „Ich möchte nicht, dass Sie Ihre Kommilitonen über meine mentalen Fähigkeiten informieren.“
Ich war ein wenig enttäuscht. „Sie legen Wert darauf, unbemerkt in den Köpfen Ihrer Studenten herumzuspazieren? Das ist nicht fair!”
„Nein, ich möchte vor allem nicht, dass sie Angst vor mir haben …” und nun lächelte er verschwörerisch. Nicht jeder ist so begeistert von der Macht wie Sie.”
„Ihr Geheimnis ist bei mir sicher.“
„Dann wünsche ich Ihnen Frieden und langes Leben, Michelle!“ Andal hob die Hand zum typisch vulkanischen Gruß.
Ich war enttäuscht, dass er sich nicht nach Sitte der Erde verabschiedete. Zu gern hätte ich ihn noch einmal berührt. Aber es ziemte sich nicht, so etwas zu fordern. „Langes Leben und Erfolg!” grüßte ich freundlich zurück … und brachte es wie immer nicht fertig, die Finger in der richtigen Weise zu spreizen.
Die Augen des Professors funkelten wieder amüsiert.


Da draußen ist eine völlig andere Welt … Schulatmosphäre … als wenn irgendetwas davon noch wichtig wäre, relevant für das Cthia … ich bin einem großen Geist begegnet … nicht nur, weil er die Macht hat, auch sonst … und er ist anständig und freundlich … und unglaublich attraktiv … ich spüre, wie ich auf einmal rot werde … das hat mir gerade noch gefehlt …

Drei Augenpaare schauten mich prüfend an.
„Nun hör endlich auf, so einfältig zu grinsen und sag, was uns da drin erwartet!” forderte Hopkins empört. „Du bist wohl durchgefallen und hast jetzt einen Schock …”
„Oh nein”, erklärte ich triumphierend. „Ich muss da nicht wieder rein.”
„Heißt das, der neue Prof benutzt auch das Handbuch?“ fragte Julia hoffnungsvoll.
„Im Gegenteil, er wird von dir verlangen, dass du denkst …”
„Mein Gott, das hat gerade noch gefehlt!“ In Morrigans Augen flackerte jetzt die pure Panik.
„Du wirst es schaffen …” tröstete ich sie.
„Wie kommst du auf so eine absurde Idee?“ fragte Hopkins zynisch.
„Er ist ein Jedi“, antwortete ich feierlich. „Seine Macht wird euch leiten.“
In dem Augenblick ertönte der Gong.
„Du hast eine Meise Michelle, das wusste ich schon immer“, erklärte Hopkins im Brustton der Überzeugung, während er sich der gefürchteten Tür zuwandte.
„Ich schreibe mich jetzt sofort für das nächste Semester ein”, sagte ich zu den beiden Mädchen. „Professor Angdálls Vorlesung wird einmalig … legendär … der reine Kult.”
Warum sollte ich den beiden die Überraschung verderben … sie würden schon noch merken, was dort drin auf sie wartete.
Mit beschwingten Schritten begab ich mich zum Sekretariat. Morrigan und Julia starrten mir entgeistert hinterher …

© 2002 by Anneliese Wipperling

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