Samara, die Kellerassel, lebt glücklich in einem heruntergekommenen Gartenschuppen. Doch plötzlich wirbeln dramatische Ereignisse ihr Leben gehörig durcheinander. Samara und ihre Asselgefährten müssen mutige Entscheidungen treffen, denn es geht um Leben und Tod …
Eine moderne Fabel von Adriana Wipperling
Ein Mensch hätte Samaras neues Heim wohl als echte Bruchbude bezeichnet. Auf dem nackten Steinfußboden klebten Zeitungen, bekleckert mit brauner Ölfarbe. Durch ein Loch in der Decke fiel an manchen Tagen sehr viel Wasser und an anderen Tagen durchschnitten einzelne helle Lichtstrahlen das schummerige Innere des alten Geräteschuppens. Das Mobiliar war alt und verwittert, die Polster begannen zu schimmeln und der Lack blätterte ab.
Alles, was die Besitzer dieses selbst gebauten Schuppens nicht mehr brauchten, stopften sie hinein – immer dann, wenn sie sich neue Möbel kauften und die Abrufkarten für den Sperrmüll nicht finden konnten.
Sogar Computerteile gab es hier: eine weiße Maus mit einer Kugel im Bauch und einem endlos langen, dünnen Schwanz, eine Tastatur, deren Buchstaben, vom Zahn der Zeit abgenagt, kaum noch zu erkennen waren, und auf dem Fußboden lag eine ausrangierte Grafikkarte.
Samara hatte keine Ahnung, was eine Grafikkarte war – oder eine Tastatur. Aber ihre Kinder liebten das unendliche Labyrinth der viereckigen, weißen Tasten: in den Ritzen ließ es sich nämlich herrlich Verstecken spielen.
Der modrige Geruch, die Finsternis und die Feuchtigkeit störten Samara nicht. Im Gegenteil: Es gab nichts Schöneres für sie!
Samara war eine Kellerassel.
Vor nicht allzu langer Zeit hatten zwei riesige Hände den Trittstein angehoben, unter dem sie ihr behagliches, aber ereignisloses Leben gefristet hatte. Obdachlos und in Panik aufgelöst, war sie einfach losgerannt. Ohne Ziel – nur raus aus der brennenden Sonne und weg von den klobigen Stiefel dieses monströsen Zweibeiners, der ihren Stein geraubt hatte.
Der Spalt unter der Schuppentür bot sich ihr als rettender Hafen.
Inzwischen war sie dem Zweibeiner fast dankbar: Ohne ihn hätte sie diesen herrlichen Schuppen mit seinen faszinierenden Möglichkeiten und interessanten Bewohnern nie kennen gelernt. Hier gab es zum Beispiel Baby-Schnecken, mit Häusern, so zart und durchsichtig, wie Glas. Und Tausendfüßler mit unzähligen, winzigen Beinchen.
Was Samara an der neuen Welt am besten gefiel, war das längliche Gebilde aus hellblauem Stoff, zusammen gehalten von einem dicken runden Holzstab und mehreren hölzernen Streben, die am oberen Ende der Stange befestigt waren. Die Falten des Stoffes bargen kuschelige Schlafplätze für hunderte von Kellerasseln – besonders, seit in den letzten Tagen wieder jede Menge Wasser durch das Loch im Dach gefallen war und den Stoff mit Feuchtigkeit durchtränkt hatte. Hier freute sich jede Assel an der anderen und sie bekamen zahllose Kinder.
Ja, so lässt es sich leben, dachte Samara und legte sich schlafen.
* * *
Samara wurde brutal aus ihrem Schlummer gerissen, als die Schuppentür knarrte und die wohlige Dämmerung durch schmerzhaft grelles Mittagslicht vertrieben wurde.
Aber es kam noch viel schlimmer. Der Stoff, in dessen Falten sich Samara mit ihren Asselgefährten häuslich eingerichtet hatte, wurde plötzlich durchgerüttelt wie von einem Sturm – oder der Hand eines gedankenlosen Riesen.
Voller Angst klammerte sich Samara an die vertrauten hellblauen Fasern, als sie mitsamt der ganzen Kellerasselgemeinde hinaus in die Mittagshitze gezerrt wurde.
Es war ein Horrortrip. Viele der zarten Asselbabys konnten sich nicht länger festhalten und stürzten in eine namenlose Tiefe. Samara weinte still, denn sie ahnte, sie würde die Kleinen nie wieder sehen. Ihre besten Freundinnen Theresa und Georgina waren vor Entsetzen wie gelähmt. Knorrige Äste schrammten über den Stoff und zermalmten auch einige der größeren Asseln. Um ein Haar wären auch Samara, Theresa und Georgina beiseite gefegt und zerquetscht worden. Nach diesem fürchterlichen Schreck stellten sie sich alle tot, versuchten nichts mehr zu fühlen und zu denken.
Samara schrak auf, als ein Sonnenstrahl wie ein glühendes Messer ihren Panzer streifte. Theresa und Georgina verkrallten sich immer noch regungslos in den hellblauen Fasern.
Dann geschah etwas, wogegen alle Asseln machtlos waren: Ein Beben, von Sekunde zu Sekunde heftiger, schüttelte ihr Stoffzelt gründlich durch. Große und kleine Asseln flogen durch die Luft. Manche ruderten hilflos mit den Beinchen, andere rollte sich ängstlich zusammen und regneten zu Boden wie kleine schwarze Hagelkörner. Samara sah Theresa und Georgina in die Tiefe stürzen, sie selbst war eine der letzten, die fielen. Mit einem Mal war sie zu schwach, sich im Stoff zu verkrallen, ihre Heimat festzuhalten, Widerstand zu leisten. Es erschien ihr sinnlos. Mit diesem Gedanken schwand auch die Kraft ihrer zwölf Beinchen, schmolz ihr Kampfgeist in der Hitze der Nachmittagssonne dahin.
Es war ein endloser anmutender, Schwindel erregender Sturz. Alles an ihr verkrampfte sich, rollte sich ein. Ein flüchtiger, trauriger Gedanke galt Theresa, Georgina und ihren vielen Kindern. Dann gab sie auf, verabschiedete sich vom gemütlichen Leben unter Steinen und Blumentöpfen. Und dem faszinierenden, weißen Tastenlabyrinth. Es schien ein für allemal verloren.
Ihr Sturz in die Tiefe endete mit einem harten, schmerzhaften Aufprall. Sie hatte sich den Panzer geprellt, aber nichts gebrochen, wie sie nach kurzer Zeit feststellte. Es gelang ihr sogar, sich wieder auf die Füße zu drehen.
Vor ihr erstreckte sich eine neue Welt … eine alptraumhafte Welt aus Sicht einer Kellerassel. Eine endlose weiße Fläche, unnatürlich flach, ohne jede Unebenheit, ohne Ritzen, in denen man sich verkriechen konnte … und ohne Schatten. Die spiegelglatte weiße Ebene wurde von Sonnenlicht überflutet und die Luft flimmerte vor Hitze.
Samaras erster Impuls war es, zu rennen. Doch dann erkannte sie, dass es um sie herum nur so von Kellerasseln wimmelte. Viele rannten orientierungslos in die nächstbeste Richtung und rempelten sich dabei gegenseitig an. Andere – vor allem die kleinen – lagen auf dem Rücken, die Beinchen eingezogen, und stellten sich tot. Dass war dumm, sehr dumm, wusste Samara. Die Sonne würde sie gnadenlos verbrennen, wenn sie sich nicht schnell in Sicherheit brachten. Mitleid erfasste sie und sie stürzte sich ins Getümmel … rief den eingerollten Kindern Warnungen zu … und einige hörten sogar auf sie.
„Lauft!“ schrie Samara. „Lauft in den Schatten! Lauft bis zum Ende der Welt.“
Eine andere Assel stupste sie mit den Fühlern an. Zuerst dachte sie, es wäre Theresa oder Georgina – aber dann erblickte sie Theodor, einen ihrer liebsten Gefährten.
„Ich hab gesehen, wo Schatten ist“, verkündete er.
„Ist es noch weit?“
„Es geht.“
Samara warf einen Blick zurück. Viele der erwachsenen Asseln hatten sich bereits auf den Weg gemacht, aber die winzigen Baby-Asseln mit ihren weichen, empfindlichen, fast durchsichtigen Panzern, schleppten sich mühsam voran oder lagen einfach leblos herum. Womöglich lebten einige wirklich nicht mehr.
Samara brauchte nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie die Sonne ihre kleinen Körper ausdörrte und sie qualvoll verendeten.
„Theodor, wir müssen die Kinder retten!“
„Gut, nehmen wir jeder drei Babys auf den Rücken. Schaffen wir das?“
„Ich denke, ja.“
Zu ihrer großen Erleichterung stießen sie im allgemeinen Gewimmel auf zwei ihrer größeren Söhne. „Friedolin, Frederik – ihr müsst uns mit den Babys helfen!“ befahl Samara und die beiden halbwüchsigen Asseln marschierten los.
Eine erwachsene Assel flitzte an ihren vorbei und Samara erkannte ihre Freundin Theresa.
Aber Theresa reagierte nicht auf ihre Rufe, sondern rannte nur in Panik vorwärts.
„Von der können wir wohl keine Hilfe erwarten“, meinte Theodor trocken.
„Aber wenigstens lebt sie“, entgegnete Samara. „Hast du Georgina irgendwo gesehen?“
„Als letztes sah ich sie in hohem Bogen durch die Luft fliegen.“
Samara seufzte resigniert.
Unter dem Gewicht dreier Babyasseln brach sie fast zusammen und die Feuchtigkeit wich aus allen Segmenten ihres Panzers. Theodor schien es nicht besser zu gehen. Ächzend vor Anstrengung, halb ausgetrocknet und keines klaren Gedankens mehr fähig, erreichten sie den rettenden Schatten.
Die meisten Asseln schienen wie Theresa nur daran interessiert, ihren eigenen Panzer zu retten. Aber einige folgten Samaras und Theodors Beispiel und nahmen ihre Kinder auf den Rücken. Und manche der Kleinen waren so gewitzt, dass sie den erwachsenen Asseln schnell auf den Rücken krabbelten – ob diese das wollten, oder nicht.
Aber hier im Schatten sammelten sich auch die Faulpelze – diejenigen, die träge auf dem Bauch lagen und schlichtweg froh waren, der Sonne entkommen zu sein.
„Hier könnt ihr aber nicht bleiben“, wandte Samara ein.
„Warum nicht?“ erwiderte eine der trägen Asseln. „Hier ist es schattig und kühl, vielleicht finden wir irgendwo feuchte Erde oder einen Stein, um darunter zu kriechen.“
„Seid nicht naiv! Habt ihr denn irgendwo Erde oder Steine gesehen? Ich nicht!“
„Wart’s doch erst mal ab.“
„Wenn ihr abwartet, kommt die Sonne“, gab Theodor zu bedenken. „Schatten bleibt nie an ein und demselben Ort.“
Die trägen Asseln wackelten abwehrend mit ihren Fühlern, um zu zeigen, dass sie keine unangenehmen Wahrheiten hören wollten.
„Dann bleibt doch hier und lasst euch braten!“ gaben Samara und Theodor genervt zurück.
Sie schleppten sich mit ihren Kindern weiter in jene Richtung, wo ein satter grüner Streifen über dem Horizont aufgetaucht war. Grün war immer gut! Ein Ende dieser unbehaglichen glatten weißen Scheibenwelt schien in Sicht.
Und sie endete schneller, als Samara erwartet hatte.
Von einem Moment zum anderen blickte sie in einen tiefen Abgrund. Aber der Boden der Schlucht war grün. Das beruhigte Samara irgendwie.
„Verdammt, die Welt ist eine Scheibe!“ platzte Theodor heraus.
Da fiel ihnen eine dritte Assel auf, die ängstlich in den Abgrund hinunter starrte.
Samara krabbelte ihr zaghaft entgegen. „Theresa … bist du das?“
„Samara! Theodor!“
„Na, wenigstens erkennst du uns“, entgegnete Theodor unwirsch. „Den Eindruck hatte ich vorhin nicht.“
„Ich … es tut mir Leid!“ wimmerte Theresa.
„Schon gut“, gab Samara widerstrebend zurück. „Wir müssen zusehen, dass wir hier wegkommen.“
„Springen?“ schlug Theodor vor.
„Springen?“ wiederholte Theresa schrill. „Du bist doch wahnsinnig!“
Auch Samara schauderte bei dem Gedanken. Ihr Rücken schmerzte immer noch vom letzten Sturz. Andererseits schien es hier nicht so tief herunter zu gehen. Sie erkannte den Boden. Eine Wiese? Vereinzelte, winzige gelbe Punkte … Blüten vielleicht?
Die Welt dort unten sah irgendwie vertraut aus – wenn auch verfremdet durch die große Höhe, aus der Samara sie betrachtete.
„Du hast recht, Theodor – was bleibt uns weiter übrig.“
„Ohne mich!“ winselte Theresa. „Also, ich bleibe hier. Vielleicht finde ich irgendwo …“
Sie kam nicht dazu, den Satz zu vollenden. Eine schimmelfarbene Wand mit schwarzem Mustern tauchte plötzlich aus dem Nichts auf und schrammte mit atemberaubender Geschwindigkeit über die weiße Fläche … fegte gnadenlos alles beiseite, was ihr in die Quere kam … begrub Theresa unter sich. Und nicht nur Theresa – auch die unzähligen trägen, erschöpften Asseln, die sich vor einer halben Sekunde noch im Schatten ausgeruht und auf wundersame Rettung gehofft hatten.
Samara und Theodor flitzten in die entgegengesetzte Richtung und wurden knapp verfehlt. Sie versuchten nicht an Theresa zu denken, als sie sich – auf ein stummes Zeichen von Theodors Fühlern, gemeinsam vom Rand der Welt stürzten.
* * *
Frederik und Friedolin verfielen in Gleichgültigkeit. Ihre Beinchen trugen sie immer weiter vorwärts, als wären sie Automaten – doch sie wussten nicht, wohin. Diese trostlose Scheibe sah überall gleich aus. Keine Spur von Ritzen … von einer solchen Luxusunterkunft wie Trittsteinen ganz zu schweigen! Jeder von ihnen trug zwei Baby-Asseln auf den Rücken und Frederik spürte, wie der Lebenswille die Kleinen verließ.
„Fred, da kommt was auf uns zu – was Großes, Braunes mit Zacken!“ kreischte Friedolin plötzlich auf.
Frederik wandte sich widerwillig um. Tatsächlich – ein zackiges braunes Ding verfolgte sie! Er kämpfte gegen den Impuls, sich einzurollen und tot zu stellen, zwang sich, noch schneller zu rennen, obwohl er mit seinen Kräften fast am Ende war.
Aber das braune, unförmige Ding mit dem zackigen Rand ließ sich nicht abschütteln, egal, was er und sein Bruder für Haken schlugen.
Es war so nah, dass Frederik seinen Geruch aufnahm. Es roch durchaus vertraut, beinahe wie ein Blatt. Natürlich! Es war ein altes, vertrocknetes Blatt von einem Baum.
Aber das machte die Sache nicht weniger unheimlich. Blätter lagen normalerweise auf dem Boden und ließen sich abnagen. Manchmal tanzten sie auch im Wind. Aber sie verfolgten niemanden mit so furchteinflößender Zielstrebigkeit!
Andererseits versuchte das Blatt auch nicht, sie platt zu walzen oder ihnen weh zu tun. Ab und zu stupste es gegen Frederiks Beine, doch jedes Mal äußerst behutsam. Dazu dröhnte eine Stimme vom Himmel herab, doch es war nicht Frederiks Sprache – nicht die Sprache der Kellerasseln.
Hätten er und sein Bruder die Worte verstanden, wären sie nicht länger davon gelaufen. Und die Stimme von oben hätte nicht ständig wiederholen müssen: „Na komm, du dumme Assel, nun krabbel schon rauf, du dumme Assel …“
Doch ein unbestimmtes Gefühl von Vertrauen beschlich Frederik … ein Gefühl, das ihn genau das tun ließ, was die Stimme befahl: Er kletterte auf das Blatt. Sein Bruder Friedolin kräuselte erst skeptisch die Fühler, dann kam er hinterher.
Auf dem fliegenden Blatt segelten sie zusammen über den Rand der Scheibenwelt und landeten weich auf dem duftigen, noch ungemähten Rasen.
* * *
Es brauchte viel Zeit, aber Samara, Theodor, Frederik, Friedolin und selbst Georgina fanden sich unter dem Blätterdickicht eines Efeubeetes wieder. Nach und nach stießen verlorene Gefährten und Kinder, Brüder, Schwestern und Freunde zu ihnen. Von Theresa fehlte weiterhin jede Spur.
„Mama, woher wusstest du, dass es richtig war, über den Rand der Welt zu springen?“ fragte Frederik neugierig.
„Nun, ganz sicher war ich mir nicht, aber ich was sollte ich sonst machen?“ gab Samara ehrlich zu. „Außerdem sind wir leicht. Wir sterben nicht so schnell, wenn wir irgendwo runterfallen.“
„Trotzdem finde ich es unheimlich mutig“, erwiderte Frederik voller Bewunderung.
„Wenn ich es nicht getan hätte, würde ich vielleicht nicht mehr leben.“ Samara schwieg einen Moment. „Weißt du, mein Kind … manchmal muss man einfach wissen, wann man todesmutig sein muss. Dein Gefühl sagt es dir, dein Verstand sagt es dir und du weißt, es gibt keinen anderen Weg, als dein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Ich sah jede Menge Asseln, die sich im Schatten auf den Bauch gepackt haben und dachten, es wird schon alles gut. Am Ende erging es ihnen ziemlich übel. Diejenigen, die losgelaufen sind und sich über den Rand gestürzt haben, die hatten das meiste Glück.“
„Also soll man sich nicht helfen lassen?“ fragte Frederik irritiert.
„Doch, natürlich. Bei denen, die du kennst und denen du vertraust, kannst du gern Hilfe suchen und irgendwann kommt der Augenblick, wo du dich revanchieren kannst. Aber verlass dich nicht auf höhere Mächte, denn die sind unberechenbar.“
„Aber jemand hat mir geholfen!“ widersprach Frederik leidenschaftlich. „Mir und Friedolin, mit dem Blatt … Es war bestimmt ein höheres Wesen.“
„Das selbe höhere Wesen, das mit der Papierwalze unzählige hilflose Babys auf dem Tisch breit geschmiert hat? Das wahrscheinlich Theresa auf dem Gewissen hat?“ entgegnete Samara bitter. „Glaub mir – du kannst denen, die von oben kommen, nicht trauen. Einmal helfen sie dir, das andere Mal treten sie dich breit. Einfach so. Vielleicht, weil wir ihnen im Weg sind. Weil sie uns eklig und lästig finden. Wahrscheinlich verachten sie uns, weil wir niedere Kreaturen sind in ihren Augen.“
„Aber was haben wir ihnen denn getan?“ rief Frederik, die junge Assel, verständnislos.
„Nichts, gar nichts … aber das spielt keine Rolle.“ Samara dachte eine Weile nach, bevor sie fortfuhr: „Natürlich solltest du deinem Retter dankbar sein, mein Schatz. Aber du musst auch bedenken, dass du mit diesem Wesen großes Glück hattest. Von den Großen, die sich einbilden, sie wären mehr wert als du, solltest du keine Hilfe erwarten.“
* * *
Die beiden „höheren“ Wesen waren froh, als sie endlich die letzte Kellerassel von ihrem Gartentisch befördert hatten, den Sonnenschirm aufspannen und die Kekse hinstellen konnten.
„Vorsicht, Papa. Pass auf, wo du hintrittst – da sind bestimmt noch Asseln!“ warnte das kleinere der beiden.
„Himmelherrgott!“ brummte der größere Zweibeiner. „Ich hab das Theater um die ollen Asseln lange genug mitgemacht – jetzt reicht’s mir. Tierliebe ist ja schön und gut – aber bei allem, was mehr als vier Beine hat und krabbelt, hört die Liebe auf.“
„Trotzdem ist es unsere Schuld, dass die Asseln im Sonnenschirm gewohnt haben! Es wäre nicht richtig, wenn wir sie dafür totmachen.“
„Hast ja Recht, meine Kleine. Nächstes Mal sind wir nicht so bequem und schaffen den Schirm gleich in den Keller. Du weißt doch, dass es in den Schuppen reinregnet, weil das Dach kaputt ist. Und unter der Tür ist ein Spalt, wo Kellerasseln und alles mögliche andere Ungeziefer reinkommen …“
„Du solltest endlich das Dach reparieren, Papa.“
„Ja ja … Der Sommer war so verregnet … hätte nicht gedacht, dass wir den Sonnenschirm noch mal brauchen.“
Der kleine Zweibeiner biss in einen Keks und ein Krümel fiel zu Boden, wo er von der letzten umgesiedelten Kellerassel neugierig beschnuppert wurde.
© 2007 by Adriana Wipperling
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